Omnipotens. Thorsten Klein
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Er hatte alles dafür vorbereitet und das Attentat auf den Minister konnte stattfinden. Heute. Hier im Schwarzwald.
Ort: Psyche, Moskau, Kreml
In Moskau bewohnte der Genosse Bolschoi den Kreml. Warum auch nicht? Mit der Ermordung der Zarenfamilie war diese Immobilie frei geworden. Es wäre schade, sie leer stehen zu lassen. Bolschoi schien um Jahre gealtert zu sein. Seine Haut wirkte grau und eingefallen, seine Augen waren umschattet und seine Stimme klang rau.
Er begrüßte Alexandra mit seltsamen Worten: „Ich fühle mich schon seit Wochen, als sei ich bereits gestorben. Nach dem ich dich gesehen habe, weiß ich, dass es stimmt.“
„Was stimmt? Dass du gestorben bist? Warum?“
Bolschoi versuchte, seine Stimme ironisch klingen zu lassen. Aber die ließ in ihrer Rauheit so etwas nicht zu. „Weil ich dich sehen und mit dir sprechen kann. Aber du bist tot. Ich habe es gelesen. In deutschen und in russischen Zeitungen. Sogar in der Prawda. Also muss es wahr sein.“
Alexandra überlegte eine Weile, bevor sie antwortete: „Meine Freunde haben beschlossen, meinen Tod vorzutäuschen, um mich zu beschützen. Für die Menschen in Deutschland bin ich gestorben. Es war nicht schwer, eine mir ähnelnde Leiche zu finden, welche die Deutschen beweinen und begraben konnten.“ Alexandra sah ihn aufmerksam an, um eine Reaktion zu erkennen.
Aber Bolschoi sah nur genauso aufmerksam zurück. Deshalb fuhr sie fort: „Den Menschen in Russland möchte ich meine Hilfe anbieten. Dir möchte ich meine Hilfe anbieten. Für euch und eure Revolution möchte ich in Psyche weiterleben.“
Nun musste Bolschoi eine Weile überlegen, bevor er antwortete. Alexandra hörte nur Bitterkeit in seiner Antwort. „Du bietest deine Hilfe an? Hast du dieser Welt nicht schon genug geholfen? Deine Revolutionen haben doch stattgefunden. Genauso, wie du sie wolltest.“
„Wie ich sie wollte?“
„Wie du sie wolltest. Ich bin mir sicher, dein Wille ist geschehen. Ich wollte nie, was nach der Revolution in diesem Land geschehen ist.“
„Du wolltest keine Revolution? Dein ganzes Leben hast du für sie gekämpft.“
„Für diese Art von Revolution habe ich bestimmt nicht gekämpft. Das Land ist zerrissen und fast nur noch halb so groß, wie es unter dem Zaren war. Die Menschen hungern noch mehr, als unter dem Zaren. Die Bauern verweigern den Anbau von Nahrung. Die Arbeiter verweigern die Arbeit und die Soldaten wollen Soldatenräte, aber bitte ohne die Bolschewiki. Alle wollten unsere Revolution, aber keiner will uns. Es sollte alles besser werden, aber alles ist schlechter geworden.“
Ein Hustenanfall nach diesen Worten wies deutlich darauf hin, dass es auch um die Gesundheit des Genossen Bolschoi schlecht bestellt war. Er hatte also durchaus Ursache, verbittert zu sein.
„Darüber beschwerst du dich? Was hast du erwartet? Sofortigen Frieden und Eintracht nach einer Revolution? Denk doch mal an die Großfränkische Revolution. Danach hat es fünfundzwanzig Jahre gedauert, bis die Menschen wieder so zueinander gefunden hatten, dass sie miteinander leben konnten und wollten“, antwortete Alexandra.
„Fünfundzwanzig Jahre? Dann kann ich ja getrost weiter wursteln wie bisher. Fünfundzwanzig Jahre werde ich nicht mehr leben.“
Alexandra scannte Bolschoi, ohne dass sich das Ergebnis dieser Untersuchung in ihrer Mimik widerspiegelte.
Er würde kein Jahr mehr leben, erkannte sie. Denn er hatte Arterienverkalkung. Überall. Aber zuerst würden die Blutgefäße im Gehirn ihre Durchlassfähigkeit verlieren. Das sah sie ebenfalls.
Arterienverkalkung, dachte Alexandra. Was für altmodische Krankheiten die Menschen auf Psyche hatten. Warum verhinderten sie diese Krankheiten nicht? Die Prophylaxe dagegen war so einfach. Aber Bolschoi wusste sicherlich nicht einmal, wie es um ihn stand. Geschweige denn, dass er in der Lage gewesen wäre, die ihm drohenden Schlaganfälle zu verhindern.
Am Leben erhalten konnte sie ihn nicht mehr. Aber etwas Anderes konnte sie für ihn tun. Eine Hilfe, die er verstehen und annehmen würde. „Du hast die Revolverkugel, die dich im letzten Jahr getroffen hat, immer noch in dir. Spürst du keine Schmerzen?“
„Ob ich Schmerzen spüre?“, fragte er mit einem krächzenden Lachen. „Ich weiß nicht, wo ich in meinem Körper keine Schmerzen spüre.“
„Lass dir die Revolverkugel entfernen. Sie enthält Blei und das ist giftig. Es frisst dich langsam von Innen auf.“
„Ich habe schon darum gebeten, aber unsere Ärzte weigern sich. Sie sagten, es sei zu gefährlich. Ich weiß, sie haben nur Angst, mein Nachfolger könne sie umbringen, wenn sie versagen. Wenn Wissarew mein Nachfolger wird, haben sie mit ihrer Angst höchstwahrscheinlich recht.“
„Ich kann die Revolverkugel entfernen. Ich bin Ärztin und Wissarew kann mich nicht umbringen.“
„Du bist auch Ärztin?“ Bolschoi musterte sie. Nicht ungläubig, auch nicht überrascht. Eher so, als habe er erwartet, sie trage noch mehr Qualitäten in sich, als die ihm bekannten.
Alexandra spürte diese Bewunderung. „Kann ja sein, deine Vorwürfe sind berechtigt und ich bin eine schlechte Revolutionärin. Als Ärztin bin ich besser. Helfen kann und werde ich dir. Von meiner Seite hast du keine Weltverbesserungen mehr zu erwarten. Nur noch die Heilung der Menschen. Hätte ich mich schon eher auf meine heilenden Stärken beschränkt, wäre mein Mann vielleicht nicht gestorben.“
Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald
Der Herr Minister sollte sterben. In dieser Minute noch. Es war beschlossen. Alle Vorbereitungen dafür beendet. Nichts hielt sie mehr auf.
Sie hatten sich im Wald verteilt. So, wie sie es einst für den Krieg gelernt hatten. Deutsche Sturmtruppen waren bis zum Ende des Krieges in der Lage gewesen, Schrecken unter ihren Feinden zu verbreiten. Nach dem Krieg waren sie immer noch dazu in der Lage. Denn Deutschland hatte immer noch Feinde. Diesmal waren es deutsche Feinde.
Der sich das gerade einredete, um seine Nervosität zu überspielen, war ein Hauptmann des Deutschen Reichsheeres. Mit diesem Dienstgrad ließ er sich immer anreden. Bei militärischen Titeln wusste man wenigstens, woran man war. In dieser neuen Zeit nach dem Krieg wusste man sonst nie, woran man war.
Er sah zu seinen Kameraden. Die waren so verteilt, dass man die Zielperson ins Sperrfeuer nehmen konnte. Keine Chance also, zu entwischen. Die Kameraden nickten ihm zu. Nach dieser Zustimmung sah er über sein Visier und wartete. Bis die Zielperson auftauchte.
In Begleitung. Wie geplant.
Pech für die Begleitperson. Auch sie würde sterben.
Darum hatte ihn sein Freund, Oberst von Krüger, gebeten. Lächelnd, weil alles so gut lief, sah der Hauptmann weiter durch das Dioptervisier.
Ort: Psyche, Berlin, Büro des Reichskanzlers
Herr Brandenburger sah immer noch aus dem Fenster. So konnte man einfach besser nachdenken.
Seinem