Die Gentlemen-Räuber. Marianne Paschkewitz-Kloss

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Die Gentlemen-Räuber - Marianne Paschkewitz-Kloss Lindemanns Bibliothek

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Er drückte die alte Eisenklinke des schweren Holztors herunter. Seinen Freund entdeckte er zwischen der Scheune und dem ehemaligen Stall im Innenhof des malerischen Vierseitgehöfts. Radek war dabei, drei frisch geschlachtete, bereits entblutete, nackte Kaninchen von den Schlachthaken zu nehmen. Diese hingen an einem leidlich gespannten, krummen Draht zwischen zwei eingerammten Holzstangen.

      „Ah, Butch! Ich muss nur eben die Kaninchen kühl lagern.“ Mit diesen Worten verschwand Radek hinter der Steinmauer des alten Stalls.

      Im Hof staute sich bereits die Julihitze. Von allen Vorsprüngen der abblätternden Sprossenfenster zum Hof rankten Petunien – lila, weiß und rosa leuchtend. Das war Marias Werk. Geschickt kaschierte sie mit der blühenden Pracht das brüchige Mauerwerk der alten Funktionsgebäude. Kurz zuvor hatte sie wohl gegossen, denn die Steine unter den Blumen glänzten feucht.

      „Hast du was verkauft?“, erkundigte sich Butch, als Radek wieder auftauchte.

      Butch kannte keinen Menschen, der mit größerer Leidenschaft Hasen züchtete. Den Grund hierfür hatte er im Lauf der Zeit erfahren. Als Radeks Familie auf Geheiß der Kommunisten sämtliches Vieh zugunsten einer Kolchose genommen worden war, hatte er mit der Hasenzucht begonnen. So hatten sie wenigstens Fleisch und Radek seine geliebten Tiere um sich. Inzwischen päppelte er seine mickrige Rente damit auf.

      Radek grinste übers pausbäckige Gesicht und wischte sich die derben Hände an der ausgebeulten Arbeitshose ab. „Man tut, was man kann“, antwortete er verschmitzt und zog seine Hosenträger zu einer prahlerischen Pose nach vorn. „Darauf ein Bier?“, fragte er, während er zu der Kastanie auf der kleinen Rasenfläche im hinteren Teil des Hofs vorausging.

      „Lieber nicht“, winkte Butch ab und setzte sich zu Radek an den wackligen Biertisch, „wir werden gleich nach Prag fahren. Geschäftlich.“

      Radek lächelte vielsagend: „Ihr habt wieder ein anderes Auto?“

      „Stimmt, aber nur einen Leihwagen. Dana hat in den Golf eine ziemliche Delle gefahren. Jetzt lassen wir das reparieren, damit nichts rostet“, gab sich Butch besorgt.

      „Dann war das vorhin wohl wieder eine Probefahrt von Dana?“

      Butch rieb sich die Kopfhaut und ging nicht weiter darauf ein. Seine Armbewegung hatte einen großflächigen Schweißfleck auf dem langärmligen Baumwollshirt bloßgelegt.

      „Morgen spielt Prag gegen die Letten, die WM kann man ja abhaken“, wechselte er schnell das Thema.

      „Ach Butch, du weißt doch, dass ich davon nicht viel verstehe. Konnten unsere bei der Weltmeisterschaft denn wenigstens was reißen?“, fragte Radek unsicher.

      „Ach was! Wir haben nicht mal die Quali für die WM geschafft“, höhnte Butch.

      Radek, der Bauer, der seit ein paar Jahren aus Altersgründen keine Landwirtschaft mehr betrieb, bewunderte den Buchmacher für seine Fußballkenntnisse, der selbst die Namen ausländischer Clubs und Ranglisten aus dem Effeff kannte. Nur fragte Radek ihn viel zu selten danach.

      Beide Männer horchten auf. Über die geschlossene Vorderfront des Bauernhofs war ein Auto zu hören. In unmittelbarer Nähe verstummte der Motor.

      „Wahrscheinlich ist Lenka gekommen. Sie wird sich ums Haus und die Tiere kümmern, bis wir wieder zurück sind.“ Butch schaute dabei zum Hoftor, als ob er hindurchschauen könnte. „Tut mir leid, dass ich so ungemütlich bin“, entschuldigte er sich und streckte Radek die rechte Hand entgegen. „In ein paar Tagen sind wir wieder da. Und dann gibt’s einen Cognac“, kündigte er augenzwinkernd an.

      Radek wischte sich schnell die Hand an der Hose ab, bevor er den Händedruck erwiderte.

      Mit einem: „Wir seh’n uns, und grüß mir Maria“ klopfte Butch auf den verwitterten Tisch und eilte über das bucklige Kopfsteinpflaster zum Ausgang.

      Eine halbe Stunde später reisten die Svobodas ab.

      Kurz hinter Krumlau hatten sie sich an einer Würstchenbude gestärkt. Jetzt fuhren sie entlang der Moldau, die im Hochsommer rudernde Kanu- und Kajakfahrer bevölkerten. Orange und gelbe Schwimmwesten tanzten wie Leuchtpunkte übers unruhige Wasser. Dana beobachtete vom Beifahrersitz aus das bunte Treiben auf dem sich quirlig schlängelnden Fluss. Die Klimaanlage des Wagens blies leise auf Hochtouren.

      „Wir fahren aber nicht nach Mannheim?“, durchbrach Dana die schweigsame Fahrt.

      Butch sah sie überrascht an. „Was wäre so schlimm daran?“

      „Du hast Nerven“, entgegnete Dana verärgert.

      „Genau betrachtet, wäre es nicht einmal die schlechteste Idee. Kein Mensch würde damit rechnen“, amüsierte sich Butch.

      „Wie kannst du so reden? Es war eine einzige Katastrophe!“ Danas Stimme wurde lauter.

      „Schätzchen – keine Katastrophe, sondern Berufsrisiko“, neckte er sie.

      „Weißt du eigentlich, dass ich deshalb immer noch schlechte Träume habe?“

      „Was gibt es da zu träumen?“, fragte Butch ungerührt.

      „Was gibt es da zu träumen?“, äffte Dana ihn nach.

      „Du dramatisierst“, versuchte Butch das Thema zu beenden. Er hatte den Vorfall längst abgehakt. Weder beschäftigte noch interessierte es ihn mehr, dass er bei ihrem letzten Ding kurzfristig geglaubt hatte, im Kellertresor eingeschlossen zu sein, und sämtliche Bankangestellten die Gunst des Augenblicks zur Flucht genutzt hatten. Dass sie Dana dabei umgeschubst hatten – ja und? „Ist doch Schnee von gestern.“

      Dana ließ nicht locker. „Sei ehrlich: Würdest du es nochmal tun?“

      „Was?“

      „Na, einem Passanten auf offener Straße die Pistole vor die Nase halten und ihm das Auto klauen?“

      Butch wollte darauf nicht eingehen. Nach seinem Dafürhalten hatte es die Situation erfordert.

      Dana beugte sich nach vorn, um Butch in die Augen zu

      sehen. „Ist dir eigentlich klar, wie gefährlich das war, du

      Gentleman?“ In ihrer Stimme lag ein bedrohlicher Unterton.

      „Schätzchen, beruhig dich“, beschwichtigte Butch, ohne seinen Blick von der Fahrbahn abzuwenden, „ist doch alles gutgegangen.“ Besänftigend strich er ihr über den linken Oberschenkel. Der leichte Stoff ihrer Sommerhose fühlte sich heiß an.

      Butch drückte sich in seinen Sitz und umklammerte nun mit beiden Händen das Lenkrad. Mit diesem Nachspiel hatte er nicht gerechnet, denn nach den Vorkommnissen hatten sie nie wieder darüber geredet. Nicht einmal, nachdem sie das gekaperte Auto abgestellt und die Fahrt in ihrem eigenen Pkw fortgesetzt hatten. Vielleicht hatte sich dazu keine Gelegenheit geboten, als sie entlang der B 38 bis Neustadt konzentriert den krächzenden Ansagen der Polizeifunkzentrale auf dem kompakten Handgerät gelauscht hatten. Doch spätestens ab Speyer Richtung Heilbronn, auf der A 6 gen Osten, wäre Zeit zur Reflektion gewesen. Aber auch da hatten sie kein Wort mehr über das Fiasko gewechselt.

      „Dana, sieh es doch mal so: Hunderttausend sind damals rausgesprungen. War doch richtig cool“, versuchte Butch einzulenken. „Und keine Sorge,

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