Die Gentlemen-Räuber. Marianne Paschkewitz-Kloss

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Gentlemen-Räuber - Marianne Paschkewitz-Kloss страница 6

Die Gentlemen-Räuber - Marianne Paschkewitz-Kloss Lindemanns Bibliothek

Скачать книгу

ihr Unvermögen zurück. Ihre Hoffnung auf einen Ehemaligenbonus, gewissermaßen der Strohhalm, an den sie sich klammerte, konnte sie vermutlich auch knicken. War sie wirklich so naiv zu glauben, dass sich in den heutigen Führungsriegen noch irgendjemand an die Polizei- und Gerichtsreporterin Wiebke Wolant von vor 20 Jahren erinnerte? Sachlich betrachtet lag eine ganze Generation dazwischen.

      Eine Stunde später hatte sie den Zeitungsstapel durchgearbeitet. Alle Blätter titelten an diesem Morgen mit der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Entlassung eines Straftäters aus der Sicherungsverwahrung erneut abgelehnt und damit einmal mehr die Sicherheit der Allgemeinheit über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestellt hatte. Wiebke verfolgte das juristische Tauziehen mit beruflicher Neugier, es tangierte ihren Themenkreis um Kriminalistik und Strafjustiz.

      In diesem Zusammenhang war sie auch auf einen Banküberfall gestoßen, der am Vortag in Karlsruhe verübt worden war. Am ausführlichsten berichtete die Oberrheinische Tageszeitung als auflagenstärkste Regionalzeitung darüber. Neuer Coup der Gentlemen-Räuber bei alter Bank / Phantome wieder aktiv, titelte sie. Nach der Lektüre aller Berichte in verschiedenen Ressorts war Wiebke klar, dass es sich um Wiederholungstäter handeln musste. Einem Mann und einer Frau. Betroffen war eine kleine Bankfiliale, Menschen waren nicht zu Schaden gekommen, die Beute belief sich auf einige tausend Euro. Bemerkenswert fand sie, dass es sie noch gab: Bankräuber des alten Schlags, die sich zeigten und Barkasse bevorzugten. Sich obendrein wie Bonnie und Clyde gerierten, aber allem Anschein nach unblutig. Trotzdem riskant. Soweit sie wusste, lag die Aufklärungsquote bei diesen Raubdelikten doch recht hoch. Waren ein paar Tausender das wert? Im Cyberspace ließ sich das Geschäft doch längst eleganter über die Bühne bringen. Moderne Bankräuber operierten geräuschlos im World Wide Web, bei weitaus geringerem Risiko und potentiell höherer Beute. Offenbar lebten diese Gentlemen-Räuber außerhalb der modernen Computerwelt. Wie alt wurden sie geschätzt? Wiebke fand dazu keine Angaben.

      Am späten Vormittag rang sie sich endgültig durch. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, entschied sie, muss der Berg eben zum Propheten. Die Redaktionsliste steckte zusammengefaltet und griffbereit in ihrer Brieftasche neben Personalausweis und Führerschein. Sie behandelte das Papier wie eine Eintrittskarte in eine geschlossene Gesellschaft. Jeden dieser Ignoranten würde sie jetzt behelligen. Schuldeten sie ihr nicht schon aus Höflichkeit eine Antwort?

      Wiebke hielt inne. Da war er wieder, dieser schleichende Anfall von innerer Hitze, der ihr vom Oberkörper bis unter die Haarwurzeln kroch, ihr den Schweiß ins Gesicht trieb. Die Unberechenbarkeit dieses lästigen Altersphänomens nervte sie am meisten. Eine ihrer silbern durchwirkten, brünetten Locken fiel ihr schlaff ins Gesicht. Wiebke setzte sich auf die Couch und wartete darauf, dass ihr Körper wieder auf Normaltemperatur herunterkühlte. Sie strich über die Armlehne ihres rindsledernen Erbstücks mit den unvollzähligen Nietenbeschlägen, das sie bei nächster Gelegenheit wie einen Kinosessel vors Panoramafenster rücken würde. Kritisch betrachtete sie ihre Handoberfläche. Waren es noch Sommersprossen oder schon Altersflecken, die sie übersäten? Sei’s drum.

      Nachdem sie sich im Bad erfrischt und ein Glas Leitungswasser getrunken hatte, fühlte sie sich insoweit gestärkt, als dass sie ihren Rundruf von Neuem starten konnte. Sie wählte Nummer um Nummer und erreichte keinen der gewünschten Ressortleiter. Beim sechsten Versuch bestätigte ihr unerwartet eine hektische Männerstimme, dass sie richtig verbunden und er ihr Ansprechpartner sei. Bedauerlicherweise suchten sie derzeit keine Redakteurin, teilte er ihr emotionslos mit. Alternativ böte sich eventuell eine freie Mitarbeit an.

      „Liegen uns Arbeitsproben vor?“, wollte er wissen.

      „Das ist etwas schwierig“, wich sie aus.

      „Wieso das?“, hakte er argwöhnisch nach.

      Sie zögerte kurz. Dann erklärte sie ihm mit ruhiger, dunkler Stimme, dass sie zehn Jahre beruflich pausiert habe. Den Bruchteil einer Sekunde hatte sie noch die Formulierung etliche Jahre in Erwägung gezogen – tatsächlich waren es 20 – doch es wollte ihr einfach nicht über die Lippen kommen.

      „Gute Frau“, prustete er los, „ stehlen Sie mir bitte nicht die Zeit. Wie soll das funktionieren? In diesem Beruf muss man dranbleiben, anders geht das gar nicht. Ich kann Ihnen bei Ihrer Suche nur Glück wünschen.“

      Dann war die Leitung tot.

      Wiebke rang um Fassung. Eine Absage hatte sie ins Kalkül gezogen, nicht jedoch eine derartige Abfuhr. Schamvoll malte sie sich aus, wie er nun lauthals im Kreis seiner Kollegen über sie herzog: Stellt euch mal vor, da wollte sich eine Hausfrau bewerben!

      Gute Frau. Wie war das zu verstehen? Despektierlich oder typisch badisch? Sie war sich nicht sicher. Trotz allem war sein alternativer Vorschlag, frei mitzuarbeiten, durchaus zu ihr vorgedrungen. Warum hatte sie nicht eher daran gedacht, ärgerte sie sich. Vor lauter Sicherheitsbestreben hatte sie diese Form der Berufsausübung völlig ignoriert. Dabei hatte sie vor 20 Jahren nichts anderes gemacht, und zwar erfolgreich.

      Sie änderte ihre Gesprächsstrategie nun dahingehend, dass sie bei jedem Telefonat auch ihr Interesse an einer freien Redak-

      tionstätigkeit bekundete. Wie sich nach einer Stunde herausstellte, mit kläglichem Erfolg. Der Markt an freien Mitarbeitern war offensichtlich gesättigt. Jedenfalls im Dunstkreis jener Regionalzeitungen und Agenturen, für die sie einst geschrieben hatte, war nichts zu holen. Vielleicht lag es ja tatsächlich an der Insolvenz eines privaten Landessenders, auf die sie von einem Ressortleiter hingewiesen worden war.

      „Viele Redakteure von dort tummeln sich jetzt auf dem freien Markt“, hatte er sie wohlmeinend gewarnt.

      Dies bestätigte sich denn auch in einer ersten Bilanz ihrer Bemühungen. Die meisten Adressen waren durchgestrichen, wenige mit WW gekennzeichnet, was für Wahlwiederholung stand. RR hatte sie sich hinter die Kontaktdaten des zuständigen Ressortleiters bei der Oberrheinischen Zeitung notiert.

      Der Rückruf kam abends gegen 19 Uhr.

      „Wiebke Wolant!“

      „Ansgar Schroeder, Oberrheinische Tageszeitung“, meldete sich eine ältere, sonore Stimme mit unverkennbar norddeutschem Akzent. Sie erinnerte Wiebke an einen Tagesschausprecher. „Ich sollte zurückrufen.“

      „Ja, das ist sehr freundlich!“ Ihre dunkle, warme Stimme war nicht weniger markant. „Lassen Sie mich gleich mit der Tür ins Haus fallen: Ich bin an einer Mitarbeit in ihrer Redaktion interessiert.“

      „Das sind derzeit ziemlich viele. Kommt darauf an“, antwortete Schroeder gedehnt. „Worüber schreiben Sie bevorzugt?“

      „Ich war ... ich meine, ich bin Polizei- und Gerichtsreporterin.“

      „Ist selten, dass das eine Frau macht.“ Wiebke hörte feine Atemzüge. Ob er rauchte? „Kommen Sie morgen um zehn zu mir in den Verlag“, sagte er knapp und legte auf.

      Ein freundlicher Pförtner wies ihr am nächsten Morgen zur verabredeten Zeit den Weg durch das Verlagsgebäude in der Innenstadt. „Herrn Schroeder finden Sie im zweiten Obergeschoss, links auf der Stirnseite. Da drüben ist ein Fahrstuhl.“

      Sie nahm die Stufen durchs enge Treppenhaus des schmucklosen, verlebten Baus aus der Nachkriegsmoderne – ein sicheres Zeichen ihrer Nervosität, denn normalerweise vermied sie unnütze Fußwege. Auf dem letzten Treppenabsatz hielt sie inne. Unverwechselbar schallte Schroeders Stimme über das Stockwerk. „Herrgott, Ulli! Einen schlechteren Zeitpunkt konntest du dir für deine Krankmeldung nicht aussuchen. Du krank, unser Chefreporter auf Fortbildung. Mir bricht die halbe Redaktion weg. Ist dir das klar? ... Mach, dass du auf die Beine kommst. Tschüss.“

Скачать книгу