Das Wetter vor 15 Jahren. Wolf Haas
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Literaturbeilage Na ja. Die haben auch keine gute Fußballmannschaft.
Wolf Haas Gibt’s nicht so was wie Rot-Weiss Essen?
Literaturbeilage Da dürfen Sie mich nicht fragen. Aber ich glaub, die sind längst nur noch Kreisliga oder so.
Wolf Haas Jedenfalls ruf ich den an, und natürlich komme ich zum Anrufbeantworter. Aber es war eindeutig seine Stimme! Er hat so eine ganz eigene Stimme. Ich finde ja, dass die Stimme unglaublich viel über den Charakter eines Menschen aussagt. Meistens mehr als das, was ein Mensch mit dieser Stimme sagt.
Literaturbeilage Kann ich mich jetzt gar nicht erinnern, dass das im Buch so rübergekommen ist mit seiner charakteristischen Stimme.
Wolf Haas Das kommt auch nicht vor. Das geht ja schlecht, wenn der Held seine Geschichte selbst erzählt.
Literaturbeilage Klar, da kann er nicht gut über seine eigene Stimme reflektieren.
Wolf Haas Aber vielleicht hätte ich es auch sonst weggelassen. Ich finde es sehr schwierig, eine Stimme zu beschreiben. Sehr extreme Stimmen kann man noch mit Worten charakterisieren, schrill, sonor et cetera. Darum haben Romanfiguren immer schrille oder sonore oder näselnde oder sonst irgendwie auffällige Stimmen, weil es Begriffe dafür gibt.
Literaturbeilage Fistelstimmen.
Wolf Haas Genau. Aber Herr Kowalski hat eine absolut durchschnittliche Stimmlage. Das wäre schwer, dem was anzudichten. Das Charakteristische ist eher sein Tonfall als seine Stimme an sich. Der Tonfall ist irgendwie, wie soll ich sagen.
Literaturbeilage Verklemmt?
Wolf Haas Würde ich nicht so hart sagen.
Literaturbeilage Gehemmt?
Wolf Haas Irgendwie irreal. Widersprüchlich in sich. Ich bin froh, dass ich das nicht im Buch rüberbringen musste. An so was kann man sich als Autor echt die Zähne ausbeißen.
Literaturbeilage Einen Tonfall hat das Buch selbst natürlich schon. Das Widersprüchliche hat sich mir schon sehr stark vermittelt. Für mich hatte das etwas von einer fast kindlichen Ernsthaftigkeit.
Wolf Haas Das passt jedenfalls nicht schlecht für die Art, wie er seinen Anrufbeantworter besprochen hat. Als hätte er sich vorher noch seinen Konfirmationsanzug angezogen und sich frisch gekämmt, bevor er die Ansage gesprochen hat. »Dies ist der automatische Anrufbeantworter von Vittorio Kowalski. Leider kann ich Ihren Anruf nicht persönlich entgegennehmen. Wenn Sie mir Ihre Nummer hinterlassen, rufe ich Sie gern zurück.«
Literaturbeilage Sie können es auswendig.
Wolf Haas Ich hab’s ziemlich oft probiert. Aber nach zwei Wochen hab ich’s eingesehen, dass das so nichts wird, und bin einfach auf gut Glück hinaufgefahren.
Literaturbeilage Hinauf? Von Östreich ins Ruhrgebiet fährt man doch runter!
Wolf Haas Bei uns geht das mehr nach der Landkarte. In den Norden fahren wir »hinauf«, auch wenn’s hinuntergeht.
Literaturbeilage Na gut, Sie sind also nach Essen »hinaufgefahren«.
Wolf Haas So weit bin ich an einem Tag überhaupt noch nie mit dem Auto gefahren. Aber ich kann’s wenigstens von der Steuer absetzen. Darum bin ich schon froh, dass die Hauptfigur meines Romans aus einer weit entfernten Gegend stammt.
Literaturbeilage Die langen Autofahrten haben ja auch in Vittorio Kowalskis Leben und Lieben eine wichtige Rolle gespielt. Warum lachen Sie? Über mein pathetisches »Leben und Lieben«?
Wolf Haas Entschuldigung, ich lache nicht über Sie. Sondern weil ich innerlich automatisch zum Dreifach-Jackpot aufgestockt habe: »Leben und Lieben und Leiden«.
Literaturbeilage Das passt doch auch. Gerade auf der Autobahn hat er als Kind viel gelitten.
Wolf Haas Das wusste ich da allerdings noch nicht. Für mich war die Fahrt ganz erträglich, ich musste sowieso mein neues Hörbuch Korrektur hören, und das mach ich im Auto am liebsten. Für ihn als Kind aber waren die langen Autofahrten ein Horror.
Literaturbeilage Ich finde, das sind mit die stärksten Stellen in Ihrem Roman. Diese quälend langen Urlaubsfahrten. Und wie sich eben für ein Kind die Zeit noch viel unendlicher und quälender dehnt als für einen Erwachsenen.
Wolf Haas Ich erinnere mich noch gut an seine Schilderungen. Wie er da Sommer für Sommer in den Urlaub gekarrt wurde. Das Auto vollgestopft bis auf den letzten Winkel. Und irgendwo auf der Rückbank zwischen Kühltaschen, Rucksäcken, Campingliegen der kleine Junge, der die Kilometer zählt.
Literaturbeilage Es ist würklich schrecklich, das zu lesen. Ich muss schon sagen, da wurden Erinnerungen wach!
Wolf Haas Haben Sie das auch gemacht? Kilometer runterzählen?
Literaturbeilage Das Zählen nicht. Aber diese Beklemmungen, diese unendlich langen Urlaubsfahrten in den Süden, daran kann ich mich noch gut erinnern. Und vorne die streitenden Eltern, genau wie Sie es bei den Kowalskis schildern. Der Blick auf die Hinterköpfe und schwitzenden Nacken der Eltern. Ich glaub, das ist ein kollektives Trauma einer ganzen Generation! Aber Kilometer runtergezählt wie Vittorio hab ich nicht unbedingt, also auf keinen Fall in dieser Besessenheit. Ich hab mich eher in Traumwelten geflüchtet.
Wolf Haas Jedes Kind entwickelt so seine eigene Überlebensstrategie. Bei ihm war’s eben das Zählen. Das Umrechnen der Kilometer in Stunden und Minuten. Im Lauf der Jahre sind seine Berechnungen so gut geworden, dass er oft schon auf der Höhe von Frankfurt die Ankunftszeit in Farmach auf zehn Minuten genau voraussagen konnte.
Literaturbeilage Wie heute in den Flugzeugen, wo einem die Computerbildschirme anzeigen: Noch fünf Stunden und 47 Minuten bis zur Landung auf dem »JFK«.
Wolf Haas Für mich war das natürlich sehr reizvoll. An sich gibt’s ja nichts Langweiligeres als so eine Urlaubsfahrt. Also für einen Romananfang ist das alles andere als ideal. Und durch das Runterzählen hat man dauernd das Gefühl, da kommt jetzt mal was. Und es kommt aber nichts! (lacht)
Literaturbeilage Man hat ja fast den Eindruck, dass er in der Hitze und in der quälenden Langeweile zu halluzinieren anfängt.
Wolf Haas Was meinen Sie jetzt?
Literaturbeilage Zum Beispiel die Luftmatratze hinten im Auto.
Wolf Haas Da wurde mir ja zum Teil vorgeworfen, ich hätte mich etwas zu sehr verkünstelt mit der Luftmatratze.
Literaturbeilage Ein Kritiker hat sogar gekalauert, Sie hätten diese Metapher etwas zu sehr aufgeblasen.
Wolf Haas Ja haha. Dabei ist’s gar keine Metapher.
Literaturbeilage Ich hatte beim Lesen schon etwas den Eindruck, hier spricht nicht mehr unbedingt Herr Kowalski, der bis hierher so schön beflissen und ernsthaft erzählt hat. Also wie die Familie Jahr für Jahr immer wieder dieselbe Strecke »runterfährt«. Immer wieder dieselben Stationen. Da leidet man ja würklich mit dem Kind mit! In der extremen Hitze! Aber bei der Luftmatratze wird’s vielleicht eine Spur too much.
Wolf Haas Darum geht’s doch! Ihm war es auch zu viel.
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