Baskische Tragödie. Alexander Oetker

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Baskische Tragödie - Alexander Oetker Luc Verlain ermittelt

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in das aufgeheizte Zimmer, und trotzdem spürte Luc schon, dass der Winter nun wirklich vorbei war. Die Sonne zeigte sich hinter dem Sprossenfenster. Von draußen war das geschäftige Samstagvormittagstreiben auf der Place Canteloup zu hören.

      Sie waren lange aus gewesen, hatten Freunde von Anouk getroffen, die mittlerweile auch seine Freunde geworden waren. Ein junges Paar, sie war Malerin, er Weinhändler, sie wohnten nicht weit von hier hinter der Kathedrale.

      Etliche Stunden hatten sie im Blisss zusammengesessen, draußen in Mérignac, einem ganz angesagten Restaurant mit Molekularküche, die Luc immer ein wenig zuwider war. Aber gut, sie waren eingeladen worden, und es war wirklich gut gewesen. Dann, nach einem kleinen Abendspaziergang, hatten sich die beiden Freunde verabschiedet. Anouk und Luc aber waren weitergezogen, wie sie es gerne taten. Einfach wild drauflos durch die Stadt, über die dunklen Straßen mit den altertümlichen roten Laternen, über das Pflaster der kleinen Gassen und großen Plätze. Früher waren sie oft eingekehrt, hier auf ein kleines Glas Rotwein, dort auf einen Coupe de Champagne, um schließlich in ihrer Stammbar zu versacken, in der Bar à Vin, ganz in der Nähe des Quinconces. Doch jetzt liefen sie einfach durch die alte Stadt, sahen den Leuten in den Bars zu, Luc streichelte Anouks Bauch, wann immer sie stehen blieben, und sie malten sich ihr Leben zu dritt aus.

      Am Ende des Spaziergangs waren sie doch noch in ihre alte Stammbar gegangen. Anouk hatte einen Tee getrunken und Luc ein kleines Glas Château Talbot und ein Eau de Vie. Dann waren sie beide in ein Taxi gesprungen, für einen Fußmarsch hatten sie keine Ruhe mehr, sie waren zu erregt, zu angestachelt, und dann hatten sie sich zu Hause noch in der Küche geliebt, atemlos, hektisch, schnell, um dann im Schlafzimmer weiterzumachen, ruhiger, sinnlicher, tiefer, um dann in einer einzigen Umarmung in einen Dämmerschlaf zu sinken.

      Heute stand nichts an. Sie wollten nachher gut mittagessen und dann in den Park. Luc hatte eine Ausgabe von Le Point gekauft, und Anouk freute sich auf die Marie Claire und eine Reisezeitschrift, sie wollte den Sommerurlaub planen, bevor sie erst einmal eine Weile nicht reisen würden.

      »Los, raus aus dem Bett jetzt, Schlafmütze!«, rief Anouk durch die offene Tür und riss Luc aus seinen Tagträumen. Gut so.

      Unter der Dusche ließ Luc die letzten Monate Revue passieren: Nach den schrecklichen Ermittlungen im Austernmord war es vergleichsweise ruhig geworden. Im Januar hatten sie in einer Reihe von Taschendiebstählen in Arcachon ermittelt und – weil gar nichts los war – dem Drogendezernat in einem Vorort von Bordeaux geholfen.

      Und zwischen Anouk und Luc? War es wunderbar verlaufen. Harmonie, gute Gespräche, toller Sex. Und es hatte sich der Alltag eingestellt. Ein wunderschöner Alltag. Die Form von Alltag, die sie beide hatte durchatmen lassen. Den anderen wirklich kennenlernen. Alltag, in dem es Luc bei anderen Frauen immer langweilig geworden war. Bei Anouk war von Langeweile keine Spur. Er war sich sicher: Das war seine Liebe. Die Frau, die er über alle Maßen begehrte und die er in seinem Leben wollte. Und nun war sie schwanger.

      Und Luc? Er spürte sich. In einer Tiefe, die er so von sich noch nicht gekannt hatte. Seine Angst war verschwunden. Die Angst vor Verlust, vorm Verlassenwerden. Er hatte stärkeren Zugang zu seinen Gefühlen gefunden. Und konnte endlich zulassen, all die schönen Momente in seinem Leben zu teilen. Schließlich wurden sie dadurch noch schöner.

      Als sie vor der Wohnungstür standen, beide in Wochenendklamotten – Luc trug eine Chino und ein graues Sweatshirt gegen die Kälte, Anouk ihre abgewetzte Lieblingsjeans und eine blaue kurze Jacke –, da trat sie noch mal an ihn heran, küsste ihn lang und zärtlich und sagte: »Und, Monsieur le Commissaire? Bereit für den Samstag?«

      »Bereit für den Samstag und für dich.«

      Jetzt küsste er sie neckender als vorhin, und dann öffnete sie die Tür.

      »Was ist das?«

      Luc schob sich an ihr vorbei.

      »Was denn?«

      Sie zeigte mit dem Finger auf das große Kuvert, das mit einem groben dunklen Paketband an die Wohnungstür geklebt worden war.

      »Luc Verlain« stand darauf, in feinen Lettern, die Luc von irgendwoher zu kennen glaubte. Er nahm den gelben Umschlag und sah Anouk fragend an. Die zuckte mit den Schultern.

      »Willst du ihn wirklich einfach so aufmachen? Oder wollen wir lieber das Sprengstoffkommando holen?«

      Luc grinste, dabei war ihm gar nicht komisch zumute. Aber eine Briefbombe? Eher unwahrscheinlich. Woher kannte er diese Schrift? Das Kuvert trug keine Briefmarke, keinen Poststempel, nichts. Der Absender hatte es offenbar persönlich zugestellt, in der Nacht, als sie geschlafen hatten, oder jetzt am Morgen.

      Luc befühlte den Umschlag. Nur Papiere. Er öffnete ihn vorsichtig.

      Er entnahm dem Kuvert ein A4-Blatt mit einem offiziellen Aufdruck.

      Laboratoire médical de Bayonne stand ganz oben. Merkwürdig. Was sollte das?

      Und dann las Luc die Zeilen, die sein Leben verändern sollten.

      »Lea Poulain, geboren am 21. September 2009 in Paris, Tochter von Aurore Poulain – ausgewiesen durch einen DNA-Test –, ist ausweislich dieses Testes und durch den Vergleich mit einer Haarprobe, übergeben am 11. Februar 2016 an unser Labor in Bayonne, mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99 Prozent die Tochter von Luc VERLAIN, geboren am 28. Oktober 1977 in Bordeaux.

      gez. Weber, Maître de Laboratoire«

      Luc ließ das Schreiben fallen. Dabei löste sich aus dem Kuvert ein Post-it. Luc hob es auf. Die Zeilen waren mit blauer Tinte geschrieben worden, in dieser fein ziselierten Schrift, von der Luc wieder einfiel, wo er sie nun schon zweimal gesehen hatte.

      »Commissaire Luc Verlain. Ich habe das mal für Sie erledigt. Herzlichen Glückwunsch. Wir sehen uns.

      Salut de San Sebastián.«

      Die Schrift. Sie hatte auf der Karte gestanden, letzten Sommer, der Karte, die ihn in der Aquitaine willkommen geheißen hatte, kurz nachdem er seinen ersten Fall im Südwesten gelöst hatte. Es war dieselbe Schrift wie auf der Karte, die Anouk erhalten hatte. Die sie vor Luc warnen sollte. Und Luc fiel der Einbruch wieder ein. Der Einbruch in seiner Cabane. Letzten Herbst. Als sie Gaston, den alten Restaurantbesitzer, niedergeschlagen hatten. Dabei hatten sie seine Haarbürste gestohlen. Für die Haarprobe. Wer wollte ihn hier vorführen? Wer wusste von einer Tochter?

      Er hatte eine Tochter. Lea. Die Tochter von Aurore. Natürlich erinnerte er sich an Aurore. An ihre kurze Beziehung. Viel eher war es nur eine Affäre. Wer hatte davon gewusst? Wer hatte geahnt, dass es Lucs Tochter war? Warum sollte Aurore es ihm auf diesem Wege mitteilen? Das hier, da war er ganz sicher, war nicht ihre Schrift.

      Der Hausflur verschwamm vor seinen Augen, er musste sich an der Wand abstützen.

      »Luc«, sagte Anouk, die seine Privatsphäre gewahrt hatte, die gar nicht auf die Idee gekommen war, das Schreiben mitzulesen, ohne dass er es wollte. »Luc? Was ist los?«

      Er schaute sie an, schüttelte den Kopf, wies nach draußen.

      »San Sebastián. Ich muss nach San Sebastián.«

      Lundi – Montag Auf der anderen Seite

      Ortsausfahrt von Biarritz Richtung Süden Lundi 29 mai, 17:00

      Luc

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