Baskische Tragödie. Alexander Oetker
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Der alte Jaguar gluckste, als genösse er die Fahrt unter diesem sonnigen Himmel, der Commissaire aber konnte sich an der Kulisse von Biarritz nicht erfreuen. In seinem Kopf ging alles durcheinander.
›Ruhig bleiben‹, mahnte er sich seit Stunden, ›bleib ganz ruhig.‹
Von außen musste er den Anschein eines gelassenen Mannes machen, eines Mannes, der mit sich im Reinen war: Er hatte das Fenster heruntergekurbelt, der Ellbogen lag auf dem Rahmen, der Fahrtwind kühlte die schon warme Frühsommerluft. Auf France Culture erklangen die letzten Takte von Pachelbels Kanon, doch Luc war nicht bei der Sache.
Wegen des offenen Fensters hörte er das Aufheulen des Motors hinter sich, noch bevor der Peugeot 307 mit der unverkennbaren Banderole neben ihm war, auf gleicher Höhe, zwei Männer schauten finster herüber, dann setzte sich der Wagen vor ihn, das Blaulicht und die Sirene wurden eingeschaltet und Luc im selben Moment ausgebremst.
»Was soll denn das jetzt?«, murmelte er, doch dann ging er in die Eisen, so heftig zwang ihn der Polizeiwagen zum Anhalten. Der Jaguar spurte sofort und kam auf dem Seitenstreifen hinter dem Kleinwagen zum Stehen, der sein blinkendes Licht auf dem Dach anbehielt wie eine Warnung.
Links und rechts öffneten sich die Türen, die zwei Uniformierten stiegen aus und kamen auf seinen Wagen zu, beide hielten die Hand am Holster. Luc ließ das Fenster herunterfahren.
›Lass die Hände auf dem Lenkrad liegen‹, mahnte er sich, so wie er es auf der Polizeischule gelernt hatte, ›ruhig bleiben, dann fahren sie wieder.‹
Der eine blieb vor seinem Auto stehen, immer noch die Hand an der Waffe. Der andere trat an die Scheibe heran, Luc hörte seine schweren Stiefel auf dem Splitt knirschen. Der Mann war riesig, ein Hüne, er trug eine dunkle Sonnenbrille, sodass seine Züge nur zu erahnen waren. Seine Glatze war schweißnass.
»Steigen Sie aus dem Auto aus«, sagte er im Befehlston.
»Bonjour, Brigadier«, erwiderte Luc, der den roten Streifen auf dem Schulterstück der Uniform ausgemacht hatte, »was ist denn los?«
»Steigen Sie aus dem Auto aus, Monsieur.«
Luc betrachtete den Polizisten nachdenklich, doch der verzog keine Miene. Langsam nahm Luc die Hände vom Lenkrad und hielt sie offen zu dem Beamten hin, dann betätigte er den Türgriff und öffnete die Tür. Er sah, wie der Polizist einen Blick mit seinem Kollegen wechselte. Der Mann, der vor der Motorhaube stand, nickte. Luc stieg aus und sagte an den Brigadier gewandt:
»Mein Name ist Luc Verlain, ich bin Commissaire bei der Police nationale in Bordeaux.«
Es war, als hätte der Polizist Luc gar nicht gehört.
»Drehen Sie sich um, und legen Sie die Hände auf das Autodach.«
»Ich …«
»Die Hände aufs Auto.«
Es war der Mann vorne am Wagen, der nun laut geworden war, er hatte seine Waffe gezogen und richtete sie auf Luc. Der Commissaire sah noch einmal hin, weil er es nicht glauben wollte, dann mahnte er sich wieder zur Ruhe, zuckte die Schultern, drehte sich um und legte die Hände auf das warme Dach seines Jaguars.
Was dann geschah, war merkwürdig. So merkwürdig, dass er sich später ärgerte, nicht genauer aufgepasst zu haben. Dieses Gefühl zu spüren, einmal auf der anderen Seite zu sein. Wie es war, wenn Polizistenhände einen packten, die eigenen Hände zusammennahmen, die metallene Kälte, wenn die Handschellen sich fest um die Handgelenke legten. Die anschließende Durchsuchung, grob und entwürdigend. Der Polizist zog triumphierend die Waffe aus dem Holster, das Luc unter der leichten Lederjacke trug.
»Na, was haben wir denn da?«
»Brigadier, wie ich schon sagte, ich bin …«
»Wir wissen, wer Sie sind.« Der Kollege des Hünen war um den Wagen herumgekommen und stand nun auch hinter ihm. »Wir wissen, dass Sie Luc Verlain sind, und deshalb nehmen wir Sie nun fest. Es gibt einen Haftbefehl auf Ihren Namen, Monsieur, wegen des Verdachts der schweren Körperverletzung mit Todesfolge, der Entführung und des Drogenhandels in gewerbsmäßigem Umfang.«
»Was? Was erzählen Sie denn da?«
Luc wollte herumfahren, doch die Hände des grobschlächtigen Polizisten hielten ihn fest.
»Schön ruhig, Monsieur, Sie wollen doch nicht, dass wir Zwangsmaßnahmen anwenden müssen. Sie kommen mit, der Commissaire général wird Sie verhören, er ist schon auf dem Weg.«
Er sagte kein Wort mehr, sie rissen ihn mit sich, öffneten die hintere Tür des Streifenwagens, ließen ihn einsteigen, indem sie seinen Kopf herunterdrückten, dann setzte sich der kleine Polizist neben ihn, während der Riese den Wagen startete und mit Blaulicht und Sirene anfuhr zurück in Richtung Biarritz. Luc fragte sich, wie der Commissaire général schon auf dem Weg sein konnte – sie hatten ihn doch eben erst erwischt. Verdammt, was war hier los? Wie konnten sie so schnell gewesen sein? Er war doch fast am Ziel.
Er sah den Jaguar, der am Straßenrand stand, in der Rückscheibe immer kleiner werden, bis er nach der nächsten Kurve aus seinem Blickfeld verschwand.
Mardi – Dienstag Jäger oder Gejagter?
Commissariat de Police, Biarritz Mardi 30 mai, 9:30
Luc legte den Kopf in den Nacken und übte sich darin, seine Atmung zu kontrollieren. Einatmen, ausatmen, immer wieder, dann den gleichen Vorgang wiederholen, die einzelnen Atemzüge verlängern, genau wie die Pause dazwischen. An nichts denken. An gar nichts.
Er schaffte es höchstens vier Sekunden, dann sprang seine Gedankenmaschine wieder an. Verdammt. Er schloss die Augen, weil er es nicht mehr ertrug, hier zu sein. In diesem Raum, der all den Räumen so sehr glich, in denen er schon Vernehmungen durchgeführt hatte.
Eine karge, fensterlose Zelle, in der sich nur ein schlichter Resopaltisch und zwei Stühle befanden. Die eigentlich obligatorische Spiegelwand fehlte hier. Dafür hing in der Mitte des Raumes eine kleine Kamera an der Decke. Sie beobachteten ihn, da war Luc sicher. Er bemühte sich wieder um Konzentration. Versuchte, die Gelassenheit, die ihn sonst auszeichnete, herbeizuzaubern. Aber das hier war anders. Ganz anders.
Sie waren wortlos mit ihm durch die Stadt gefahren, hatten sich immer wieder Blicke zugeworfen, die irgendwo zwischen wissend und finster lagen. Sie hatten das Blaulicht angeschaltet, sodass sie durch die kleinen Gassen rasen konnten, vorbei an der Markthalle, durch die Einkaufsstraße, dann waren sie kurz vor dem Casino nach rechts abgebogen. Das Commissariat war ein schlichter Zweckbau, ein weißes Ungetüm aus den Siebzigern. Sie hatten vor der Tür gehalten, dann hatten sie ihn in eine kleine Zelle im Untergeschoss geführt. Er hatte sich auf die Pritsche gelegt, irgendwann kamen sie mit Baguette und Tee. Er hatte nichts angerührt. Nach einer schlaflosen Nacht, in der fahles Licht durch das Souterrainfenster gefallen war, hatten sie ihn in diesen Raum gebracht. Es gab keine Uhr an der Wand, deswegen konnte er nur schätzen, wie lange schon. Zwei Stunden, mindestens. Möglicherweise drei. Weil es hier kein Tageslicht gab, wusste er nicht, wie spät es war. Vielleicht war gerade die schönste Stunde für das Petit Déjeuner. Merkwürdig, dass ihm jetzt dieser Gedanke kam. Ein Frühstück in Biarritz. Mit wem sonst als mit Anouk. Wo sie wohl war? Wie es ihr ging?
Vor zweieinhalb Tagen hatte er sie zuletzt gesehen.