Baskische Tragödie. Alexander Oetker

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Читать онлайн книгу Baskische Tragödie - Alexander Oetker страница 9

Baskische Tragödie - Alexander Oetker Luc Verlain ermittelt

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beugte sich herüber und schloss Luc, der immer noch stumm neben ihm saß, die Handschellen auf.

      »… Sie werden jetzt aussteigen. Sie haben fünfzehn Minuten, um zu verschwinden. Danach werde ich Alarm schlagen. Ich werde aber sagen, dass Sie auf Höhe des Flughafens von Biarritz aus dem Auto gesprungen seien. Damit haben Sie ein wenig Zeit, um sich auf den Weg zu machen. Ich wünsche Ihnen … tja, was eigentlich? Nun, vielleicht wünsche ich Ihnen am besten eine gute Reise, wohin Ihr Weg Sie auch führen wird, Commissaire. Und nun gehen Sie.«

      »Mein Handy?«, fragte Luc heiser.

      »Das ist bei mir gut aufgehoben. Aber hier, Ihr Portemonnaie. Ohne Carte d’identité natürlich. Wir wollen ja nicht, dass Sie verschwinden können.«

      Luc spürte, dass es sinnlos wäre, weitere Fragen zu stellen. Das alles war ohnehin komplett absurd. Also rieb er sich die schmerzenden Hände, dann öffnete er die Tür und stieg langsam aus. Er ging in den kleinen Park, in dem auch das historische Karussell stand. Er drehte sich noch einmal zu dem Wagen um. Schneider saß da und sah ihm nach. Nein, das stimmte nicht. Schneider hielt beide Hände hoch und zeigte ihm etwas. Luc kniff die Augen zusammen. Der Commissaire zeigte irgendetwas an. Er hielt fünf Finger der einen Hand hoch und zwei der anderen. Dann grinste er, Luc hörte, wie Schneider den Motor anließ, die Limousine machte einen schnellen Satz nach vorne, dann war sie hinter der nächsten Ecke verschwunden.

      Was hatte er ihm sagen wollen? Fünf. Zwei. Sieben. Es ergab sieben. Und nun? Was sollte er damit? Luc sah auf die leere Straße, dann riss er sich los und lief zum Strand hinüber, durchatmen, nur durchatmen.

      Grande Plage von Biarritz Mardi 30 mai, 11:30

      Luc setzte sich auf die weiße Bank, die oberhalb der Strandpromenade in dem kleinen Park stand. Von der Straße aus war die Bank nicht einsehbar, er aber konnte von hier aus gut beobachten. Noch hörte er keine Sirenen, aber sie würden wohl ohnehin erst in der Nähe des Flughafens suchen, wenn Schneider sein Wort hielt.

      Die Frühsommersonne wärmte die Luft schon ein wenig, doch der Wind vom Meer war noch kalt, die Gischt der Wellen legte sich wie ein feiner Nebel in die Luft, sodass das Licht überm Strand ganz diffus war, kleine Salzwassertropfen tanzten im Blau des Himmels, es war ein atemberaubender Anblick – Biarritz wie hinter einem Schleier. Rechts, hinterm altehrwürdigen Hôtel du Palais mit seinen roten Mauern, stand der weiße Leuchtturm auf der Landspitze, schroffe Felsen vor tiefblauem Meer.

      Die Basken würden selbst Ende Mai niemals baden gehen, deshalb waren es nur ein paar blasse Touristen, die in den Wellen spielten, im Bereich zwischen den beiden blauen Fahnen, die am Strand im Sand steckten. Diese Zone wurde im Sommer von vier muskelbepackten Rettungsschwimmern bewacht, die Rückströmungen in den sogenannten baïnes, den flachen Wasserbecken, waren hier so gefährlich wie nirgendwo sonst an der Küste. Weiter hinten warteten die Surfer auf ihre perfekte Welle – die hohen Brecher krachten mit ohrenbetäubender Gewalt in die Sichelbucht, die Biarritz berühmt gemacht hatte. Einer hatte eben eine grüne Welle weit draußen erwischt, nun ritt er sie parallel zum Strand, immer wieder fuhr er zurück in die Gischt, die Welle schob und schob, bis er sich schließlich mit ausgestreckten Armen ins Wasser warf.

      Luc betrachtete gedankenverloren die Felsen, die wie zufällig im Meer lagen, große runde Steine, die der Bucht ihr unverwechselbares Aussehen gaben.

      Der Richter würde entscheiden – hatte Schneider das wirklich gesagt? Was passierte hier gerade? Luc spürte den Schweiß auf seiner Stirn, kalten Schweiß. Drohte ihm das wirklich? Ein Prozess. Die Anklagebank. Das Gefängnis. Was würde Anouk zu all dem sagen? Würde sie ihm glauben? Oder ihn verurteilen? Wenn Luc die puren Fakten gehört hätte und es nicht um ihn gegangen wäre, dann würde er vielleicht ähnlich reagiert haben wie Commissaire Schneider. Doch wie kamen diese beschissenen Drogen in seinen Bungalow? Und warum hatte er eine Tochter? Für Luc war es in diesem Moment, als stürzte der sonnige Himmel über seinem Kopf zusammen.

      Er nahm das Portemonnaie aus seiner Hosentasche und sah hinein. Gott sei Dank. Er hatte fast zweihundert Euro in bar dabei, er hatte vorgeplant. Die Kreditkarte konnte er nicht mehr benutzen, sie würden ihn darüber aufspüren. Er hätte gern Anouk angerufen – aber was hätte er ihr sagen sollen? Er hätte sie anlügen müssen, denn er hatte keine Erklärungen für all die Vorwürfe – keine einfachen, guten Erklärungen zumindest.

      Und sein Handy lag sicher verwahrt in einer Beweistüte im Polizeirevier von Biarritz. Oder steckte in der Jackentasche von Commissaire Schneider, was noch schlimmer wäre.

      Er fühlte sich mit einem Mal nicht mehr sicher hier, er stand auf, er hatte das Gefühl, sich nun schnell bewegen zu müssen, erst mal keine öffentlichen Verkehrsmittel, zu gefährlich, er würde laufen, im Laufen würden sie ihn am schwersten kriegen – wer waren sie? Die Guten? Die Bösen? Und zu welcher Kategorie gehörte er? Er wusste es nicht, für einen Moment wusste er es nicht mehr.

      Luc stand auf und ging langsam die Promenade entlang. Ein scannender Blick, zu viele Gäste im Grand Café am Fuße des Casinos, deshalb zog er die Schuhe aus und ging hinunter zum Strand. Seine Füße in dem warmen Sand ging er Richtung Süden, dabei beobachtete er unauffällig die Umgebung. Niemand schien auf ihn zu achten.

      Oben am Quai das Antlitz der Stadt: der große helle Block des Casinos, rechts darüber begann die Altstadt von Biarritz. Luc querte den Strand, noch war der Turm der Rettungsschwimmer unbesetzt, es war zu früh im Jahr.

      Gerade, als er die Hauptstraße erreichte, nahm er die Sirene wahr, eine Sekunde zu spät. Das Polizeiauto raste schon um die Ecke, über den Boulevard Général de Gaulle. Luc versteckte sich schnell hinter dem Eiswagen, der auf dem Platz stand. Als der Wagen außer Sicht war, ging er rasch die steile Anhöhe hinauf, die ihn zur Galeries Lafayette führte, dann rechts zum Bellevue. Von hier konnte er alles überblicken, alle Verfolger sehen, jede Bedrohung. Doch die Stadt schien wieder im touristischen Frühling zu verschwinden, alles wirkte harmlos. Dafür war der Ausblick so phänomenal, dass Luc kurz den Atem anhielt. Die wilden Oleanderbüsche beherrschten die Klippen, dann dahinter der weite Ozean und der feine Wassernebel, hier nun klar erkennbar, weil er tropfenförmig durch die Luft schwebte. Links die weiße Fassade des Kongresscenters, hoch und rund, im Wasser die Felsen, an die die Wellen schlugen, dass die Gischt nur so spritzte. Keine Stadt der Welt, die einen Ausblick hatte wie diesen, von den Mächten der Natur geprägt. Ozean und Stein.

      Luc löste sich von dem Anblick und ging langsam und bedächtig durch die alte Stadt. Er wollte wirken wie ein Tourist. Er nahm die in den Stein gehauenen Treppen und kletterte hinunter, bis er an den Klippen ankam, die hinunter zum Meer führten. Er spürte etwas im Rücken. Aber als er sich umdrehte, war da niemand, außer einem älteren Paar, das händchenhaltend über die Promenade ging. Dennoch wurde Luc das Gefühl nicht los, dass ihn jemand im Visier hatte.

      Unter ihm befand sich der alte Fischerhafen. Waren es daheim in Arcachon die Austernzüchter, die das Meer bewirtschafteten, waren es hier die kleinen Fischereibetriebe, die meist in Familienbesitz mit ihren Jollen allmorgendlich hinausfuhren, um den Fang des Tages einzuholen. Hier waren das vor allem Wolfsbarsche, Doraden und der Steinbutt. Nun lagen die Fischerboote schon wieder im Hafen, und die Seeleute verkauften ihren Fang in der Markthalle. Es war ein friedliches Bild, wie die Boote jetzt bei Ebbe leicht geneigt im flachen Wasser lagen, ein Bild, das sich wohl seit Jahrhunderten nicht verändert hatte. Luc liebte es.

      Er hätte gerne verweilt, doch er musste weiter nach Süden laufen, aus der Stadt hinaus. Am Ende des Boulevard du Maréchal Leclerc begann der Tunnel, der unter den steilen Felswänden hindurch in den alten Teil der Stadt führte. Luc hielt sich weit rechts auf dem schmalen Fußgängerweg, er musste die paar Hundert Meter schnell bewältigen, denn wenn er hier auf ein Polizeiauto traf, war er gefangen. In dem alten Tunnel

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