Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten. Ernst-Otto Constantin

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Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten - Ernst-Otto Constantin

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war ein glühender Anhänger der Land-SA, einer fürchterlichen Nazi-Organisation. Im August 1940 ging es für ihn von Wuppertal aus an die Front nach Frankreich. Dort angekommen war er eine halbe Stunde später tot.

      Er wurde von seinen Kameraden an einem Straßenrand verscharrt und später von Franzosen auf den ortseigenen Friedhof umgebettet. Bis heute denkt Fritz mit Respekt und Dankbarkeit an die Großmut der Franzosen. Wärme breitet sich in seinem Herzen aus, wenn er bedenkt, dass die damaligen Feinde so viel menschliche Größe zeigten und einem ihrer Gegner, seinem Vater, ein würdiges Grab auf ihrem Friedhof schenkten. Fritz war 3 Jahre alt, als der Vater fiel. An Vater hat er keine Erinnerungen mehr. Später berichtete Mutter, dass Vater in seinem letzten Feldpostbrief aus Wuppertal schrieb: „Hitler ist ein Verbrecher. Wir müssen ihn loswerden.“ Er hat in Wuppertal wohl von den KZs erfahren und glaubte jetzt seinem Bruder, mit dem er sich so oft wegen der SA und der Naziherrschaft heftig stritt.

      Diese Zeit hat der Nebel des Vergessens verdunkelt und fast aus seiner Erinnerung getilgt. Nur dunkel erinnert er sich auch an die Geburt seiner Schwester im März 1940. Vater hat sie nie gesehen. So richtig lieb hatte er seine Schwester schon damals nicht. Die klaute ihm die frisch gepflückten Himbeeren und ärgerte ihn, wo es nur ging. Es ging ihm wirklich gut, wenn er ihr aus dem Weg gehen konnte.

      Mutter stand jetzt mit ihren 22 Jahren alleine da. Die große Landwirtschaft, zwei kleine Kinder und die vielen Sorgen waren für sie eine schwere Last. Ihre Mitarbeiter wurden einer nach dem anderen zur Front eingezogen. Dabei brauchte sie doch jeden Einzelnen. Mutter bekam 16 belgische Kriegsgefangene, die auf dem Hof arbeiten mussten. Sie wurden von einem Soldaten bewacht. Sein kugelrunder Bauch wurde offensichtlich nur mit Mühe von einer breiten schwarzen Koppel und einem imposanten Koppelschloss zusammengehalten. Ein grimmiges Gesicht und dicke rote Wangen machten diesen Fettwanst nicht sympathischer. Ein geschultertes Gewehr trug er beständig mit sich herum. Fritz mochte diesen Kerl nicht. Kontakt zu den Gefangenen war ihm selbst streng verboten. Morgens mussten sie sich vor der Hecke, die den Hof vom Gutshaus trennte, zur Arbeitsverteilung aufstellen. Der „Herr Soldat“, so sprach Fritz ihn stets an, stand jeden Morgen – wie die Gefangenen auch – mit dem Rücken zur Hecke. Er war der Erste der Reihe. Das ging Tag für Tag so. Fritz hatte eine kleine Steinschleuder. Das breite Hinterteil des Herrn Soldaten schien Fritz, der hinter der Hecke kauerte, ein kaum zu verfehlendes Ziel zu sein – und zack, getroffen. Der Soldat rieb sich die Hinterbacke. Er drehte sich etwas um, aber seine Bauchkugel erlaubte ihm nur eine leichte Drehung. Fritz konnte sehen, wie er sein Gesicht verzog und sich augenfällig nicht erklären konnte, was das war. Kurz und gut, dieser Mensch in Uniform war ihm unangenehm. Nein, er mochte ihn überhaupt nicht.

      Die Gefangenen wohnten im Dorf. Fritz schlich sich gelegentlich im Dunkeln zu ihnen. Er fand sie alle sehr nett und fühlte sich unter ihnen wohl. Manchmal brachte er ihnen ein Körbchen voller Eier, die er frisch aus den Nestern der Hühner klaute. Er mochte diese Menschen. Später beschlagnahmte die SS ein Pferd nach dem anderen. 1944 im Dezember erschien der Reichsgauleiter Koch und wollte Mutter die letzten beiden Pferde wegnehmen. Dieser Koch war ein berüchtigter, gefürchteter, übler, skrupelloser Nazi-Scherge. Er führte eine Schreckensherrschaft über Ostpreußen. Mutter hatte ihn mit gezogener Pistole voller Zorn vom Hof gejagt. „Ihr habt mir meinen Mann genommen und fast alle meine Mitarbeiter. Verschwinden Sie!“ Er zog ohne Pferde ab. Es ist ein Wunder, dass das für sie ohne Folgen blieb.

      Fritz liebte die Sommer. Barfuß lief er über den Hof zu seinen Pferden. Er umarmte ihre Beine, streichelt sie und war glücklich. Nie hat ihn eines der Pferde getreten. Immer vier starke Kaltblüter gehörten zu einem Gespann. Der Acker war sehr schwer. Deshalb wurden zum Pflügen stets vier Pferde benötigt. Den Gespannführern blieb fast das Herz stehen, wenn sie ihn unter den Pferden sahen. Und dann gab es Lisa, eine schwarze Stute, die vor die Kutsche gespannt wurde, wenn es mit ihr durch die Felder oder nach Trömpau zu Großvater ging. Fritz war unsterblich in sie verliebt. Eines Tages holte er sie ohne Halfter aus dem Stall. Keiner merkte das. Sie folgte ihm wie ein Hund zur Kutsche, sodass er von dort aus auf ihren Rücken steigen konnte. Er hielt sich an ihrer langen Mähne fest. Los ging es. An den Feldern vorbei, auf denen das Korn in einem sachten Wind wogte. Er lauschte dem Gesang der Lerchen. Es ging vorbei an Wiesen und Weiden. Die Sonne tauchte das ganze Land in herrliche Farben. Es war wunderbar warm. Fritz war glücklich. Lisa verstand ihn offenbar. Wenn Fritz sagte „Halt“, blieb sie stehen, bei „Geh“ ging sie weiter, und bei „Lisa, zurück“ drehte sie um. Sie ging zurück auf den Hof. Es mussten Stunden vergangen sein, denn Fritz und Lisa wurden bereits sorgenvoll gesucht. Einer der Arbeiter hob Fritz vom Pferd. Lisa folgte ihm ohne Zaumzeug in den Stall. Die Standpauke von Mutter beeindruckte ihn überhaupt nicht. Sie störte nur sein Glücksgefühl und die Liebe zu diesem Pferd.

       Der Schmied und die Tiere

      Der Hof hatte eine eigene Schmiede. Davor stand, wie schon gesagt, der Trecker, ein Lanz Bulldog. Das war das Reich von „Schmittchen“, dem Schmied. Jeden Tag führte Fritzens Weg schon morgens zur Schmiede. Schmittchen war sein bester Freund. Er beschlug die Pferde, zog den Bullen Ringe durch die Nase, schmiedete Pflugscharen. Fritz war fasziniert von der Glut in der Esse und davon, wie Schmittchen das glühende Hufeisen auf dem Amboss formte, um damit die Pferde zu beschlagen.

      Das absolute Glücksgefühl überfiel Fritz regelmäßig, wenn Schmittchen den Lanz Bulldog anschmiss. Dazu musste das Steuerrad abgenommen werden. An der Seite wurde es eingesteckt. Mit zwei bis drei Halbumdrehungen setzte sich der Motor stöhnend in Gang. Fritz liebte den Geruch des Dieseltreibstoffs. Er war begeistert von den blauen Ringen, die jeweils mit Getöse aus dem Auspuff über dem Motorstand entwichen. Blitzschnell war Fritz auf dem Schoß von Schmittchen. Raus ging es zum Pflügen, zum Eggen oder Säen auf die Felder.

      Schmittchen wohnte im Dorf. Eine Frau hatte er wohl nicht. Er nahm den Jungen oft auf seinem Fahrrad mit. Da saß er dann auf der Stange des Herrenrades. Das tat zwar seinem Hinterteil weh, wenn Schmittchen über den holprigen Weg zu seinem Haus fuhr. Die Aussicht auf ein köstliches Zuckerbrot vertrieb jedoch jeden Schmerz. Außerdem schnitt Schmittchen ihm regelmäßig die Haare.

      Dann gab es Bello. Das war ein stattlicher Rottweiler. Er lebte draußen angekettet in einer Hundehütte. Wie oft wurde Fritz gesucht und bei Bello in der Hundehütte gefunden. Beide waren ein Herz und eine Seele. Eines Tages war Bello nicht mehr da. Er sei von Soldaten abgeholt worden. Es hieß, er sei im Baltikum. Vier Wochen später war er wieder da. Spindeldürr und winselnd kroch er in seine Hütte. Fritz legte sich zu ihm. Er versprach: „Jetzt passe ich auf dich auf, die kriegen dich nicht wieder.“

      Auf dem Kutschstall befand sich ein Storchennest. Jedes Jahr kamen die Störche wieder. Fritz war begeistert, wenn die Störche im Frühjahr das Nest bezogen. Er konnte ihnen stundenlang zusehen, wenn sie anflogen, den Kopf mit dem langen roten Schnabel klappernd nach hinten beugten und sich begrüßten.

      Nein, die Kühe mochte er nicht und den Bullen schon gar nicht. Es war wohl der penetrante Gestank, der aus dem Stall entwich.

      Eines Tages kam Großvater Overkamp (Mutters Vater). Seine Frau war bei der Geburt ihres dritten Kindes gestorben. Fritz hat diese Großmutter nie erlebt. Trömpau hieß sein durchaus hochherrschaftliches Gut. Das war größer als Wargienen. Fritz suchte Großvaters Nähe nicht. Er sah immer etwas ernst und grimmig aus. Aber dieses Mal war alles anders. Großvater kam mit einem Pony und einer kleinen Kutsche. „Fritz, komm, das Pony Ella gehört jetzt dir.“ Das Ansehen von Großvater stieg in ungeahnte Höhen. Ella und Fritz verstanden sich sofort. Eine tiefe Liebe und Zuneigung empfanden wohl beide füreinander. Fritz füttert und tränkte Ella jeden Tag. Sie wurde immer liebevoll gestriegelt. Fritz sprach mit Ella oft so, als sei sie eine verständige Schwester, der man alles erzählen konnte. Ella wieherte, wenn Fritz in den Stall kam, weil dem immer eine Umarmung folgte. Er kraulte und streichelte sie zärtlich.

      Wochen später kam Großvater mit seinem Mercedes wieder auf den Hof. „Wie geht es dem Pony?“ Großvater wollte

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