Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten. Ernst-Otto Constantin

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Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten - Ernst-Otto Constantin

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erklärte oft, sie wisse nicht, was sie zu Mittag machen könne. Sie habe nichts. Brot und etwas Margarine habe sie noch. Das ging immer öfter so. Sie war zunehmend traurig und hilflos.

      Beim Holzhacken passierte es. Das Beil traf seinen linken Zeigefinger. Das untere Gelenk sprang aus dem Knochen und hing an einem Hautlappen. Es blutete fürchterlich. Einen Arzt gab es nicht. Mutter nahm den abgetrennten Knochen, drückte ihn wieder in das Gelenk und schmierte ganz dick Lebertransalbe um den Finger. Die Schmerzen ertrug er unter Tränen. Täglich wechselte sie den Verband. Das Verbandmaterial schnitt sie aus einem ihrer Unterhemden. Tatsächlich wuchs das Fingerteil wieder an. Es bildete sich eine große Fingerkuppe. Diese Verunstaltung des Fingers ist bis heute geblieben und Zeugnis des damaligen Dramas.

      Immer öfter ging Mutter mit seiner Schwester in den Wald, um Beeren und Brennholz zu suchen. Fritz erbettelte sich bei Bauern etwas Milch. In der Zeit der Kartoffelernte ging Fritz über die abgeernteten Kartoffelfelder. Er fand immer genug übriggebliebene Knollen, die vergessen worden waren. Sein Beutel füllte sich ordentlich.

      Mutter wurde krank. Sie hatte hohes Fieber und Ruhr. Eine entsetzliche Situation. Es passierte ihr öfter, dass ihr Stuhlgang auf dem Weg zum WC verloren ging und sich auf dem Fußboden wiederfand. Manchmal ging das Ganze auch ins Bett. Fritz war verzweifelt. Mit Massen an Wasser sich selbst übergebend machte er die Fußböden sauber. Er wusch seine Mutter und sorgte für frische Bettwäsche. Mit der Hand versuchte er das Bettzeug zu waschen. Es gab auch nichts mehr zu essen. Hunger trieb ihn in den kleinen Kaufmannsladen, in dem ein paar Leute was auch immer einkauften. Fritz hatte gerade 10 Pfennige. Hinter ihm in einem Regal lag ein duftendes Brot. Blitzschnell griff er danach und wollte, so schnell er konnte, aus dem Laden raus, – vergeblich. Die Ladenbesitzerin zog ihn an den Ohren hinter den Tresen in einen kleinen Raum. „Was machst du da, warum tust du das?“

      Fritz zitterte am ganzen Körper. Weinend und schluchzend sagte er, dass Mutter sehr krank sei und man nichts mehr zu essen habe.

      Die Kaufmannsfrau hielt ihn fest an seinem Arm und wollte wissen, wo er wohnt. Sie ging ihn immer noch festhaltend mit ihm nach Hause. Was sie sah, erschütterte sie. Sie umarmte Fritz, half Mutter und sorgte für Essen. Es war eine gottesfürchtige Familie. Heidmann hießen sie.

      Mutter kam langsam wieder auf die Beine. Sie war anfangs sehr schwach und tat, was ihr möglich war. Irgendwoher trieb sie Lebertran auf. Davon nahm sie reichlich. Die Kinder bekamen auch täglich einen Teelöffel davon. Das Zeug schmeckte scheußlich.

      Mutter war mal wieder im Wald. Die Bauern riefen aufgeregt: „Die Russen kommen!“ Fritz alleine zu Hause überfiel eine unvorstellbare Angst, waren sie doch so viele Monate vor denen weggelaufen.

      Mutter hatte etwas Schmuck und eine Mappe mit wichtigen Papieren. Fritz nahm das alles samt einem Reisewecker und steckte es in den Aschekasten des Kachelofens.

      Vom Wohnzimmer aus gelangte man über vier Treppenstufen ins Schlafzimmer. Diese Treppe konnte man anheben und gelangte so in einen Keller. Fritz schloss den Einstieg über sich. Es war stockfinster. Er hockte vor Angst schlotternd in einer Ecke. Feuchtigkeit und Kälte krochen in ihm hoch. Keller und Haus bebten, als die Panzer ins Dorf fuhren. Er hörte Stimmen über sich und einige Schüsse. Dann wurde es ruhig. Er betete: „Lieber Gott, gib mir meine Mama wieder.“ Stunden vergingen. Plötzlich wurde angstvoll nach ihm gerufen. Fritz stieg aus dem Keller aus und fiel in die Arme seiner Mutter. Noch immer sorgten Heidmanns so gut sie konnten für Mutter und ihre zwei Kinder.

      „Kinder, morgen ist Nikolaus.“ Hätte sie das doch bloß nicht gesagt. Fritz hing natürlich einen Strumpf an die Tür. Morgens fand er den Strumpf schlaff an der Türklinke. Nur unten in der Spitze befand sich etwas.

      Heraus kam ein halbes knochentrockenes Brötchen. Tränen schossen ihm in die Augen, Tränen der Enttäuschung und Wut, dass man nicht in Wargienen geblieben sei. Von da an hing er nie wieder zu Nikolaus einen Strumpf an die Türklinke.

       Die zweite Flucht

      Noch vor Weihnachten packte Mutter alle Habseligkeiten. Sie müsse mit uns vor den Russen fliehen, weil Stiefvater bei der SS war. Sie fürchtete Konsequenzen, wenn das entdeckt würde. Zuvor entsorgte sie ihre in einem Tuch eingewickelte Pistole in einer Röhre, die beide Gräben einer Straße links und rechts miteinander verband. Das sollte später verhängnisvolle Folgen haben.

      Vater Heidmann brachte Fritz mit Mutter und Schwester auf einem Leiterwagen zur Grenze. Viele Jahre später erfuhr Fritz eine grausige Geschichte der hilfsbereiten Heidmanns: Vater Heidmann fand nach ihrer Flucht bei einer Grabenreinigung diese Pistole. Das wurde von jemandem beobachtet. Die Folge waren acht Jahre Zuchthaus in Bautzen. Er hatte sie abgesessen. Sechs Monate nach seiner Entlassung starb er.

      Die kleine Familie landete bei der zweiten Flucht in Baracken, voll mit andern Menschen, die über die Grenze nach Westen wollten. Qualvolle Tage voller Angst vergingen. Es stank, Hunger machte sich bemerkbar. Dann endlich ging es los über die Grenze am Harz in ein Lager der Engländer. Alle wurden von einem Arzt untersucht, desinfiziert und entlaust. Wenige Tage später ging es Fritz sehr schlecht. Abgemagert, schwach und fiebernd fand er sich zusammen mit fünf anderen Kindern im Zimmer eines Krankenhauses in Goslar wieder. Er hatte Diphterie. Jeden Tag starb eines der Kinder. Es gab täglich warme Milch mit Honig. Die Haut darauf ekelte ihn, aber er musste sie zu sich nehmen. Sie sei sehr wichtig, um wieder gesund zu werden.

      Auch seine Schwester wurde wie er mit Diphterie eingeliefert. Sie hatte es wohl nicht ganz so schlimm erwischt. Langsam kam Fritz wieder auf die Beine. Mutter kam und erklärte: „Wir werden heute von den Engländern abgeholt.“

      Die luden Mutter mit den Kindern zusammen mit anderen Menschen auf einen Militärlastwagen und fuhren stundenlang zum Teil über holprige Straßen.

       Flüchtlingskind auf einem norddeutschen Bauernhof

      Es war kalt. Schnee lag über dem fremden Land. Endlich hielt der Wagen vor der Hofeinfahrt eines Bauernhauses mit einem Reetdach und einem großen grünen Tor an der Giebelseite. Sie standen wie angewurzelt in einer Schneewehe. Fritz hatte Kniestrümpfe an. Seine Zähne klapperten vor Kälte. Da ging die Tür auf. Eine alte Frau mit Kopftuch und einer erhobenen Mistgabel schrie: „Haut ab, ihr Polacken!!“ Die Frau wurde von dem Jungbauern, Gott sei Dank, eingefangen. Sie durften über die Tenne an Kühen und Pferden vorbei ins Haus. Es war warm, Fritz bekam kein Wort heraus. Die Alte verlor er nicht aus den Augen. Sie bekamen ein Zimmer zugewiesen. Die Betten waren mit dicken Federkissen ausgestattet. Sie wärmten gut. Varenesch bei Goldenstedt im Südoldenburger Land, – bei einer Familie Huntemann war man gelandet.

      Mutter arbeitete als Magd auf dem Hof. Sie molk die Kühe, mistete den Stall aus und half im Haushalt. Fritz freundete sich mit Werner, dem Jungbauern, an. Seine Mutter hieß Tante Frieda, – eine warmherzige, sehr liebe Frau, sie ganz anders als die Altbäuerin, die sie so unfreundlich empfangen hatte. Sie durften in der Küche mit allen andern essen. Beeindruckend war das riesige viereckige Schwarzbrot. Zuerst wurde in der Mitte der Stirnseite des Brotes ein tiefer Schnitt gesetzt. Das Abschneiden der Scheiben erfolgte immer wechselseitig. Es schmeckte hervorragend. Ein so gewaltig großes Brot hatte Fritz noch nie gesehen. Die Sprache war aber so ganz anders. Das meiste verstand Fritz anfangs nicht. Der Südoldenburger Dialekt war so ganz anders als das ostpreußische Platt.

      Schlimm war nur, dort gab es eine Schule, und in die musste er. Viel lieber war er im Kartoffelfeld, um Kartoffelkäfer zu sammeln. Er fühlte sich bei den Bauern richtig wohl. Man hatte auch einen Trecker. Geheizt wurde mit Torf. So etwas hatte er auch noch nie gesehen. Im Frühjahr ging es ins Moor zum Torfstechen. Es gab braunen und schwarzen Torf. Der schwarze Torf war besonders gut zum Heizen geeignet. Er wirkte fast wie Kohle. Der Torf wurde kunstvoll gestapelt, damit er in der Sommerzeit

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