Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten. Ernst-Otto Constantin
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Fritz will sein Leben beenden
Wieder zogen Unwetter über Fritzens Leben. Ein neues Martyrium nahm seinen Lauf. Mutter, immer noch in Hannover, begann eine Ausbildung zur Justizwachtmeisterin. Sie tat Schichtdienst im Frauenuntersuchungsgefängnis am Raschplatz, das hinter dem Bahnhof mitten in der Stadt lag.
Fritz kam zu einer Frau Kröschel nach Lutterberg in Südniedersachsen. Wer diese Frau aufgetan hat, blieb ihm bis heute verborgen. Lutterberg war ein damals kleines Dorf mit einer Schule. Den Lehrer Becker mochte er. Das Unglück wollte es: Die Frau hatte einen Gemüsegarten, einen großen Gemüsegarten mit reichlich Unkraut in den Beeten. Zimmer- und Toilettenreinigung waren wieder angesagt. Wenigsten prügelte die Kröschel nicht. Stubenarrest und Essensentzug waren ihre Erziehungsmethoden. Es gab nie ein gutes Wort. Der Sohn eines Gastwirts aus Hannover war sein Leidensgenosse. Sie teilten sich ein Zimmer. Später ging es zur Mittelschule nach Hannoversch Münden, dort, wo Werra und Fulda zusammenfließen und der Fluss von da an Weser heißt. Die Schule lag gegenüber der Forstakademie. Sein geliebter Onkel Dieter hatte dort Forstwirtschaft studiert. Er fühlte sich ihm da so nahe.
Der Schulweg betrug 8 km, zu 70 % bergab. Zurück das Ganze noch einmal, jetzt bergauf. Das Tag für Tag zu Fuß. Im Winter in Kniestrümpfen. Lange Hosen hatte er nicht. Jeden Tag 16 km.
Sein Leidensbruder konnte mit dem Bus fahren. Später kam heraus, dass Großmutter regelmäßig Geld für den Bus schickte und Mutters Schwester Geld für eine lange Hose. Beides kam nie bei ihm an. Oft mussten zahlreiche Einkäufe aus Hannoversch Münden mitgebracht werden. Eines Tages vergaß er, den bestellten Hering nach der Schule zu holen. „Zu Hause“ angekommen musste Fritz ohne Mittag gleich wieder umkehren und die 16 km noch einmal laufen. Verzweiflung stieg in Fritz auf. Zum Abendessen gab es diesen Matjeshering. Es würgte ihn. Um ihn nicht kauen zu müssen, schluckte er ihn einfach herunter. Das Unglück geschah, nach einer Weile kam das Zeug im hohen Bogen wieder raus. Unter Androhung von Schlägen sollte er das Erbrochene wieder essen. Fritz stand vom Tisch auf und lief nach draußen in einen nahen Heuschober.
Er wollte nicht mehr leben. Er fühlte sich verlassen. Es wurde dunkel, niemand suchte nach ihm. Fritz beschloss, sein Leben zu beenden. Er fand rostigen Draht. Der ließ sich in kleine Stücke brechen und zu Krampen verbiegen. Er schluckte sie in der Hoffnung, dass das sein Ende herbeiführen würde. Das passierte aber nicht. Es muss ein Wunder gewesen sein. Morgens erschien er wieder. Wortlos wurde er zur Kenntnis genommen. Ohne Frühstück ging es zur Schule. Als er zurückkam, verkroch er sich in sein Bett, zog die Decke über den Kopf und weinte. Für Fritz stand fest: „Hier kann ich nicht bleiben.“
Zu zweit machten sie sich auf den Weg. Beide wollten zu Fuß nach Hannover. Nach etwa 20 km in Hedemünden warteten sie vor einer Bahnschranke. Der Bahnwärter fragte sie: „Wohin wollt ihr?“ Unter Tränen erzählten sie ihm ihre Geschichte. Der Bahnwärter gab ihnen von seinem Mittagessen und rief die Polizei an. Die kamen und nahmen die Jungen auf die Wache mit. Frau Kröschel wurde angerufen, um die Jungen abzuholen. Sie kam mit einem Fahrrad. Die beiden mussten den ganzen Weg hinter dem Rad herlaufen. Abends gab es einen riesigen Topf Nudeln. Er sollte vollständig aufgegessen werden. Der Bauch schien zu platzen.
Fritz war verzweifelt. Kurz danach begannen die Ferien. Mutter reiste mit dem Bus an. Fritz erwartete sie voller Hoffnung an der Haltestelle. Er ging davon aus, dass sie ihn in die Ferien abholen wollte. Sie stieg aus und hielt eine gewaltige „Gardinenpredigt“: „Es ist unglaublich, was du dir wieder geleistet hast.“ Sie habe dafür überhaupt kein Verständnis. Diese Sommerferien seien für ihn gestrichen. Sie gab ihm eine halbe Tafel Schokolade und stieg eine halbe Stunde später ohne Fritz wieder in den Bus ein. Weg war sie.
Diesen Vorgang hat Fritz seiner Mutter nie vergessen. Es war etwas zerbrochen. Fritz ging ins Bett, zog sich die Decke über den Kopf und flehte Gott um Hilfe an: „Lieber Gott, ich habe gehört, dass es bei dir so schön sein soll. Bitte hole mich. Hier auf Erden mag mich keiner mehr. Ich bin so alleine.“
Nachbarn wandten sich schließlich an Mutter. Sie schien nun doch entsetzt zu sein. Sie reiste an und nahm Fritz samt Schwester mit nach Hannover.
Sein einziges schulisches Erfolgserlebnis
Großmutter fand für ihn eine neue Bleibe bei einer Tante Pauli, einer Pfarrerswitwe. Ungewohnte Freiheiten stellten sich ein. Hinter dem Haus in Hannover-Kirchrode gab es einen großen Garten, den er angstvoll besichtigte. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass das Unkraut nicht mehr seine Angelegenheit war.
Zur Werner-von-Siemens-Schule radelte er bei Wind und Wetter jeden Tag. Das waren immerhin ca. 6 km.
Dumm nur war, er musste in den Konfirmandenunterricht. Er fand ihn lästig. Vieles verstand er nicht, aber da war Tante Pauli unerbittlich. Er lernte das Vaterunser, die 10 Gebote und was Gott alles verboten hat. Sonst langweilte ihn das.
Die neue Schule legte die Versäumnisse der letzten Jahre offen. Fritz blieb sitzen mit seinen 13 Jahren, und nochmal das Ganze. Begeisterung wollte nicht aufkommen.
Eine Jahresarbeit war angesagt. Sein Thema: Die Industrie der Stadt Hannover. Fritz radelte die großen Industriebetriebe ab, wie Continental, Bahlsen, Pelikan, Kabelunion und andere. Eine Unmenge an Material, das man ihm gerne gab, sammelte sich auf diese Weise an.
Bei der Stadtverwaltung gab es ein Wirtschaftsamt. Die Mitarbeiter dort waren sehr hilfreich, gaben ihm Tipps, ganz viele Statistiken und Übersichten über die Industrie dieser Stadt. Das war ein Volltreffer.
Zum ersten Mal machte ihm eine solche Aufgabe Freude. Er entdeckte, wie bedeutsam die Industrie für diese Stadt und die Arbeitnehmer war, dass so viele Familien davon lebten und die Stadt Einnahmen davon hatte, die sie dringend brauchte. Er erkannte die Wechselwirkungen innerhalb der Wirtschaft.
Diese Jahresarbeit gelang. Stolz gab er sie ab. Tante Pauli hatte seine unglaublich vielen Rechtschreibfehler beseitigt.
Die Ergebnisse wurden Wochen später verkündet. Er hatte den Vogel abgeschossen, die beste Arbeit des Jahrgangs, ja, der ganzen Schule. Als Prämie erhielt er ein Buch über Theodor Heuss, den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, mit dessen persönlicher Widmung.
Glücksgefühle hatte er bei diesem Erfolg, aber der Rest der Schule war ihm lästig, sie war langweilig und einfach blöd. Die Zeugnisse waren nahezu immer eine Katastrophe.
Fritz wurde konfirmiert. Hurra, der Konfirmandenunterricht war jetzt Geschichte. Er war froh, dass das endlich hinter ihm lag. Aber eine besondere Nähe zu Gott hatte ihm das nicht gebracht. Das meiste verstand er auch gar nicht.
1951 wurde Fritz 14 Jahre alt. Mutter holte ihn und seine Schwester zu sich. Sie bewohnte in Hannover in der Schaufelderstraße im 3. Stock einen Teil einer Wohnung. Der andere Teil wurde von der Vermieterin bewohnt.
Jeden Samstag war Treppenhausreinigung angesagt. Jeden Tag zwei volle Schütten Eierbrikett aus dem Keller ins dritte Stockwerk schleppen. Abwaschen, Zimmer sauber halten, das kannte er ja schon alles. Freunde fand er nicht. Der Zoo war ganz nahe. Viele Stunden verbrachte er bei den Tieren. Zur Schule ging es mit der Straßenbahn.
Seine Schwester machte keinen Finger krumm, es sei denn, sie bekam 50 Pfennige. Fritz hatte nie Geld gefordert. Ihn wurmte das: die bekommt Geld und er nichts.
Fritz verliebt sich und wird Schiffsjunge
Mutter hatte eine Freundin. Die betrieb einen kleinen Buchladen am Volgersweg am Raschplatz. Gegenüber lag damals das Gefängnis, in dem Mutter arbeitete. Fritz ging, wann immer