Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten. Ernst-Otto Constantin
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Später freundete sich seine Schwester mit ihr an. Das sah nach einer Gottesfügung aus. Seine Schwester wusste ihre Adresse. Mutter hatte aus dem Lastenausgleich 5.000 DM erhalten und pachtete eine Pension in Bad Oeynhausen. So wurde Sieglinde gelegentlich nach Bad Oeynhausen eingeladen, – und sie kam.
In den Ferien fuhr er immer mit dem Rad von Hannover nach Bremen zu Großmutter, zu der sich eine ganz enge Bindung entwickelte und später eine große Liebe. Aus seiner Sicht hatte sie nur zwei Macken: Man musste jeden Sonntag mit ihr zur Kirche und dann die ständigen Ermahnungen: „Junge, du musst die Schule anständig machen, sonst kannst du nicht einmal Schuster werden.“ Wenn er in Bremen war, gab es für ihn zwei Ziele, den Überseehafen und das Völkerkundemuseum am Bahnhof. Die Matrosen auf den großen Handelsschiffen sahen keineswegs nach Romantik aus. Er registrierte schon, dass die schwer arbeiten mussten. Das waren Entdeckungen, die später sein Leben völlig verändern sollten. Faszinierende Welten entdeckte er. Großmutter versprach er, niemals Schuster zu werden.
In der Schule kündigte sich inzwischen die nächste Katastrophe an. Das Zeugnis stand stramm auf Sitzenbleiben. Alle Klassenarbeiten mussten von Mutter unterschrieben werden. Jetzt fing die auch noch mit dem Schuster an!
Die Hinterlist
Fritz bewarb sich im Januar 1955 zur Vorausbildung auf der Schiffsjungenschule Schulschiff Deutschland. Zu seiner Überraschung erhielt er eine Zusage. Mutter wusste davon nichts. Voraussetzung für die Erlangung eines Seefahrtbuches war die Zustimmung des Erziehungsberechtigten. Damals wurde man erst mit 21 volljährig.
Fritz fand einen Weg: Er sammelte 6 Klassenarbeiten, legte sie so übereinander, dass die nur die Unterschriftenleiste zu sehen war, und mittendrin befand sich die Zustimmungserklärung für den Besuch der Schiffsjungenschule und für das Seefahrtbuch. Als sie eines Morgens aus der Nachtschicht kam, bat er seine Mutter um die Unterschriften: „Schau dir die Zensuren gar nicht erst an, du kannst dich auch so ärgern. Die Arbeiten sind alle vergeigt.“ Sie war abgespannt vom Dienst, unterschrieb resignierend, auch die Zustimmungserklärung, die sie für eine Klassenarbeit hielt. – So, das war geschafft. Fritz fing die Post täglich ab.
Er wurde tatsächlich zum Dienstantritt am 15. Januar 1955 auf das Segelschulschiff Deutschland einbestellt. Anfang Dezember meldete sich Fritz unter Vorlage des Bescheids der Schiffsjungenschule in Bremen und der „Zustimmung seiner Mutter“ von der Schule in Hannover ab. Das ging ganz reibungslos. Er erhielt sein Abschlusszeugnis. Darin stand lediglich: Fritz hat seine 8 Pflichtschuljahre erfüllt, nichts sonst, auch keine Zensuren. Fritz war erleichtert. Das Schlimme war nur, es mussten 400 DM Ausbildungskosten an den Schulschiffverein bezahlt werden.
Bis zum Morgen des 13. Januar 1955 war Mutter völlig ahnungslos. Nach dem Frühstück erklärte er ihr:
„Übermorgen früh fahre ich nach Bremen. Ich habe die Schule beendet und fahre zur See.“
Mutter saß wie angewurzelt auf ihrem Stuhl. Sie bekam ein versteinertes Gesicht und fragte, ob das ein Scherz sei.
„Ich will kein Schuster werden und fahre zur See. Das Schulschiff Deutschland in Bremen hat mich angenommen. Tut mir leid, aber das kostet 400 Mark.“
Mutter rang nach Luft. Schließlich stand sie auf. Eine schallende Ohrfeige – so, wie er sie noch nie von ihr erhalten hatte – war so etwas wie eine Quittung.
„Du hast bis übermorgen Zeit, darüber noch einmal gründlich nachzudenken. Bleibst du bei deiner Entscheidung, musst du selbst sehen, wie du im Leben zurechtkommst, ich kann dann nichts mehr für dich tun. Und vierhundert Mark sind meine gesamten Ersparnisse. Das ist alles, was ich habe.“
Fritz rief Großmutter in Bremen an: „Großmutter, versprochen, ich werde kein Schuster. Ich fahre zur See. Am 15. Januar fange ich auf dem Schulschiff Deutschland an. Ich habe aber noch ein kleines Problem, ich brauche für die vorgeschriebene Ausrüstung 150 DM. Bitte, dann ist die Schusterkarriere Geschichte.“ Großmutter war stumm.
„Hallo, bist du noch da? Um 10: 00 Uhr komme ich in Bremen an. Bitte hilf mir.“
Großmutter holte Fritz vom Bahnhof ab. Tieftraurig riet sie ihm, lieber wieder zur Schule zu gehen. Sie gab ihm 160 DM und brachte Fritz zum Hafen. Sein Gepäck bestand aus einem kleinen Koffer. Da war alles drin, was er aus seiner Sicht brauchte.
Unbemerkt sollten neue Unwetter in seinem neuen Leben aufziehen, die zum Orkan wurden.
Auf dem Schulschiff Deutschland
Auf dem Schulschiff bekam Fritz seine Ausrüstung und eine Hängematte. 60 Schiffsjungen lernten zuerst, die Hängematte richtig zu zurren. Dann folgte eine Einweisung in die Tagesabläufe und die Arbeitseinteilung. Fritz hatte Glück. Ihm wurde die Heizung zugewiesen. Ein toller Job, weil es da unten warm war und ihm die Arbeit an Deck in der Kälte erspart blieb. Knoten und Spleißen wurde unter Deck gelernt. Theorie und Praxis wechselten ab. Die Seemannssprache war so ganz anders. Tampen3, Schäkel4, Wanten5, Coffeynagel6, Gei7 und Preventer8, Backschaft9, Backen und Banken10. Wecken hieß jetzt „Reise reise“, Geländer „Reling“ und die Windabweiser auf der Brücke hießen „Nocken“11, es nahm kein Ende. Fritz sog das alles in sich auf und war glücklich, dem Schusterleben entronnen zu sein. Die anderen Jungen hatten alle etwas mehr Geld zur Verfügung. Sie erfanden eine nicht ganz saubere Vermehrung ihres Geldes – Schmuggeln. Zigaretten schmuggeln schien ein einträgliches Geschäft zu sein. Das war Fritz zu heiß. Vor allem machten das inzwischen alle. Der „Markt“ schien ihm auch nicht lohnenswert.
Ihm fiel ein, dass in dem Kiosk vor dem Bahnhof im Schaufenster Postkarten mit der Ansicht vom Schulschiff Deutschland angeboten wurden. In seiner Freizeit nichts wie hin zum Kiosk. „Was kosten die bitte?“ Fünfzehn Pfennige war der Preis pro Stück. „Und wenn ich 70 kaufe?“ Der Preis war dann nur zehn Pfennige. Gekauft, und das Beste, mehr hatten die nicht. Man könne aber nachbestellen. Allerdings bat er auch um die Karte aus dem Schaufenster. So konnte erst mal kein anderer auf die Geschäftsidee kommen. Natürlich hielt er seine Bezugsquelle geheim.
Zurück an Bord. In 3 Stunden waren alle Karten für 50 Pfennige das Stück verkauft, weil jeder eine solche Postkarte nach Hause schicken wollte. Somit waren 35 DM im Sack. Flugs zog er los und kaufte 70 Briefmarken. Für 0,20 DM das Stück. Mehr kostete das damals nicht. Das machte 14 DM.