ERITREA. Katharina Füllenbach

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ERITREA - Katharina Füllenbach Reisepostillen

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mit einer gewissen Respektlosigkeit und die einheimischen Frauen fremdeln ob der vergleichsweise wenigen Bekleidung. _

      Während der Kolonialzeit erbauten die Italiener in Keren neben vielen Wohnhäusern auch ein hübsches Bahnhofsgebäude, da 1922 zwischen Asmara und Keren Schienen verlegt worden waren und sie zwischen den beiden Städten seitdem vor allem landwirtschaftliche Güter transportierten. Diese Bahnlinie wurde während der eritreischen Befreiungskämpfe zerstört und seitdem nicht wieder instand gesetzt.

      Die Stadt selbst wurde während des zweiten Weltkriegs zum Wendepunkt der italienischen Kolonialherrschaft, als britische Truppen unter der Führung General Platts vom Sudan aus hierher vordrangen und das italienische Heer vernichtend schlugen. Vierundfünfzig Tage dauerte der Kampf und kostete rund dreitausendzweihundert Italiener, neuntausend Askari und vierhundertvierzig Briten das Leben. Der Ausgang dieser Schlacht war der Anfang vom Ende des italienischen Kolonialabenteuers und mündete in dessen Kapitulation, in deren Folge die britischen Verbände nahezu ohne weitere Gefechte ganz Eritrea einnehmen konnten. Briten und Italiener legten im Nachgang zu den Kämpfen in Keren Militärfriedhöfe für ihre gefallenen Soldaten an, auf dem italienischen Friedhof sind zudem mehrere Hundert namenslose Askaris beerdigt.

      Den strategischen Wert der Stadt als Teil des nördlichen Zugangs nach Asmara und ihrer Verbindungsstrasse Richtung Agordat und dem umliegenden Tiefland erkannten Jahre später auch die äthiopischen Besatzer und errichteten hier einen Stützpunkt, der sechsunddreißig Jahre nach den militärischen

      Auseinandersetzungen zwischen Briten und Italienern im Juli 1977 von der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF) zerstört wurde. _

      Ungeachtet der schon seit der vorletzten Jahrhundertwende hier lebenden muslimischen Bevölkerungsmehrheit oder vielleicht gerade deswegen, errichtete die katholische Kirche im Windschatten der italienischen Kolonialbestrebungen 1920 eine Kirche – Sankt Antonius – deren kleine Gemeinde bis heute fortbesteht. Betreut wird sie aktuell von fünf Franziskanermönchen, die als Splitter des insgesamt einhundertfünfzig Männer starken eritreischen Ablegers dieser Glaubensgemeinschaft in Keren die Stellung halten. Einer der Brüder zeigt mir sowohl das ursprüngliche Kirchengebäude als auch den 2006 eingeweihten größeren Neubau. Er erzählt unter anderem auch, dass die Altersgrenze für Reisen ins Ausland auch für Geistliche bei fünfzig Jahren liege und er deswegen noch nie in Italien, respektive in Rom und dem Vatikan gewesen sei.

      Nahe der Kirche wohnen in einer großartigen ehemaligen italienischen Villa, deren sämtliche Türen weit offen stehen und die meisten Fenster keine Scheiben mehr haben, eine Reihe von Migranten aus dem Sudan. Lauter junge Männer, die sich zu je viert, fünft oder sechst ein paar karge Zimmer teilen, welche außer einem Bett für jeden von ihnen, kein Mobiliar aufweisen. Keiner von den dreien, die ich mittags in dem Gebäude antreffe, spricht ein Wort Englisch. Entsprechend ist nicht herauszubekommen, warum sie hier sind und was sie hier machen. _

      Keren ist unter anderem eine Hochburg der eritreischen Goldschmiedekunst und beherbergt daher unter anderem mehrere Straßen, in denen sich Juweliergeschäft an Juweliergeschäft reiht. Neben wenigen modernen Schmuckvariationen werden überwiegend neue, aber traditionell designte Stücke für Kopf, Haar, Stirn, Ohren, Hals und Finger angeboten. Ein ausführlicheres Gespräch mit einem der dort arbeitenden Männer offenbart, dass die Händler alten Silberschmuck vornehmlich von der ländlichen Bevölkerung aufkaufen und einschmelzen, um so Material für neue Arbeiten zu bekommen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wieviel tribales Kulturgut auf diese Weise schon vernichtet wurde und beschließe ab sofort per Ankauf das ein oder andere Stück vor dem Tod im Schmelztiegel zu bewahren. —

       Asmara, 12. Februar 2020

      Eine wohlmeinende Seele hat mir zur Vorbereitung dieser Reise einen Artikel aus einer deutschen Tageszeitung und dem vergangenen Jahr, also 2019, zugeschickt. Der Autor berichtet darin von seinem kürzlich absolvierten Besuch in Asmara und den vorgeblich wenigen vorhandenen Fahrzeugen, die außerdem überwiegend und bestenfalls aus den frühen Siebzigerjahren stammen sollen. Er beschreibt alle Geschäfte als staatlich gelenkt, beklagt bitterlich gefühlte einhundert Prozent nicht funktionierende Telefonzellen und damit die Unmöglichkeit Auslandstelefonate zu führen und außerdem ein vollständiges Fehlen von Geldautomaten. Insgesamt entwirft er in seiner Reportage über Eritrea das Bild eines afrikanischen Kubas, in welchem ein Land durch mutwillige sozialistische Regierungsprinzipien sein Humankapital und seine wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Verschleiß fährt, damit das tägliche Leben zum Stillstand verurteilt und so eine fortschreitende Verelendung seiner Bevölkerung verschuldet.

      Ich kann diese Beschreibungen der äußeren Lebensumstände bisher so nicht bestätigen. In dem Asmara, das ich gerade erlebe, fahren viele Autos westlicher, überwiegend japanischer oder europäischer Herkunft und mehrheitlich aus den letzten zwanzig, dreißig Jahren beziehungsweise deutlich jüngeren Alters durch die Straßen. Die bisher besuchten Geschäfte sind ausnahmslos in privater Hand und werden häufig als Familienbetriebe geführt und die überall zu findenden Telefonzellen sind tatsächlich öfter nicht mehr intakt, was aber im Wesentlichen daran liegt, dass die meisten Menschen hier moderne internetfähige Mobiltelefone besitzen und Telefonzellen, wie bei uns auch, kaum noch benötigt werden.

       Plakat auf einer Hauswand in Asmara

      Wenn man tatsächlich ein Auslandsgespräch führen möchte, kauft man sich einfach eine Telefonkarte und benutzt eine Fernsprechzelle in einer der zahlreichen und überall zu findenden Eritel-Dependancen. Weiß ich genau, worüber ich da spreche? Aber ja. Aus akuten familiären Gründen rufe ich einmal am Tag in Deutschland an. Und das funktioniert ganz wunderbar. Es ist also keinesfalls so, als wäre man in Eritrea vom Rest der Welt abgeschnitten, wie es der Journalist in seinem Artikel insinuiert.

      Auch Einkaufen in Asmara ist relativ leicht. Es gibt zum einen viele kleine Lebensmittelgeschäfte, die überwiegend Importartikel aus Italien zu bemerkenswerten Preisen führen. In der Nähe des ‚Mercatos‘, einer Markthalle aus italienischer Zeit mit europäischen Obst- und Gemüsesorten findet man zudem Fachgeschäfte mit original italienischen Käsesorten, Spirituosenläden mit gut sortierten Angeboten italienischer Rotund Weißweine und sogar eine Kaffeerösterei, die mit beeindruckenden und hervorragend instand gehaltenen Maschinen aus der Kolonialzeit ihr Angebot produziert. Die Preise für all diese Delikatessen sind für hiesige Verhältnisse abenteuerlich hoch, aber offenbar gibt es eine Klientel, die damit ihre kulinarischen Bedürfnisse befriedigt.

      Neben diesem Spezialangebot für Exilitaliener und betuchte Eritreer findet man überall in der Stadt kleine Läden mit Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Hygieneartikeln sowie Getränken und zuweilen auch Spirituosen. Auf dem riesigen Zentralmarkt in der Nähe eines der Busbahnhöfe wird Getreide, Obst und Gemüse verkauft, das für die durchschnittliche Bevölkerung erschwinglich scheint. Zurzeit wirkt das Angebot auf diesem Markt mehr als ausreichend, inwieweit es aus heimischer Produktion stammt oder es sich hierbei um

      Importe handelt, ist für den Außenstehenden jedoch nicht erkennbar.

      Für die Grundversorgung gibt es darüber hinaus Läden, die von der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ) betrieben werden. Hier können gegen Coupons, die staatlicherseits an Bedürftige ausgegeben werden, verbilligt und mengenmäßig limitiert Nahrungsmittel für den täglichen Bedarf eingekauft werden. Das System ist nicht als eine Methode der Rationierung zu verstehen. Jenseits der Coupons können alle hier ausgegebenen Waren woanders problemlos zum regulären Marktpreis gekauft werden. Das verbilligte Angebot der PFDJ-Geschäfte dient vielmehr als Unterstützungsmaßnahme, um bedürftigen Menschen den Zugang zu Nahrung und Artikeln des täglichen Verbrauchs, wie zum Beispiel Seife zu gewährleisten.

      Abgefülltes Trinkwasser ist im Gegensatz dazu ein kostspieliges Verbrauchsgut.

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