Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift
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Um aufrichtig zu sein, muß ich jedoch eingestehen, daß mich noch ein stärkerer Beweggrund zu der Freiheit verleitete, die ich mir in der Darstellung der Dinge nahm. Als ich kaum ein Jahr im Lande gewesen war, empfand ich solche Liebe und Verehrung für die Hauyhnhnms, daß ich den festen Entschluß faßte, niemals zum Menschengeschlecht zurückzukehren, sondern mein Leben in Betrachtung und Ausübung jeder Tugend bei den bewunderungswürdigen Hauyhnhnms zuzubringen, von denen ich weder Beispiel noch Anregung zum Laster erhalten konnte. Das Schicksal, mein ewiger Feind, hatte jedoch beschlossen, ein so großes Glück solle mir nicht zuteil werden. Jetzt gereicht mir aber der Gedanke zum Trost, daß ich in allem, was ich von meinen Landsleuten sagte, ihre Fehler so sehr verminderte, wie ich es nur vor einem so strengen Examinator durfte; bei jedem Artikel gab ich der Sache eine möglichst günstige Wendung. Welcher Mensch würde nämlich nicht durch Parteilichkeit für sein Geburtsland hingerissen werden?
Ich habe den Hauptinhalt mehrerer Gespräche, die ich mit meinem Herrn während der Zeit hielt, da ich in seinen Diensten war, angegeben; der Kürze halber habe ich jedoch weit mehr ausgelassen, als hier aufgezeichnet ist.
Als ich alle seine Fragen beantwortet hatte und als seine Neugier vollkommen befriedigt schien, ließ er mich eines Morgens in der Frühe rufen und befahl mir, mich in einiger Entfernung von ihm niederzusetzen; eine Ehre, die er mir vorher noch nie erwiesen hatte. Er sagte: Mit großem Ernste habe er meine ganze Geschichte, die ich ihm sowohl in betreff meines Vaterlandes wie meiner selbst gegeben habe, überlegt; er habe uns als eine Art Tiere betrachtet, denen durch irgendeinen ihm unbegreiflicher Zufall ein kleiner Teil Vernunft anheimgefallen sei. Wir beraubten uns jedoch selbst der wenigen uns gegebenen Fähigkeiten; wir seien in der Vermehrung unserer ursprünglichen Bedürfnisse sehr glücklich gewesen und schienen unser ganzes Leben in vergeblichen Bemühungen zuzubringen, diese durch Erfindungen zu befriedigen. Was mich betreffe, so besitze ich weder die Kraft noch die Behendigkeit eines gewöhnlichen Yähu; ich gehe schwach auf meinen Hinterfüßen, habe ein Verfahren ausfindig gemacht, meine Klauen nutzlos zu machen, die mir auch nicht zur Verteidigung dienen könnten, und das Haar von meinem Kinn zu entfernen, das zum Schutz vor Sonne und Wetter bestimmt sei. Endlich könne ich auch weder schnell laufen noch auch Bäume erklimmen wie die Yähus dieses Landes (diese nannte er gütigst meine Brüder).
Unsere Institutionen der Regierung und der Gesetze entsprängen offenbar aus unserem Mangel an Vernunft und somit auch an Tugend; Vernunft allein sei genügend, ein vernünftiges Geschöpf zu regieren; wir dürften deshalb keinen Anspruch auf den Charakter eines solchen machen. Dies aber müsse er aus meinem Bericht über mein eigenes Volk schließen, obgleich er sehr wohl sehe, ich habe, um dieses zu begünstigen, manches verschwiegen und auch öfters Dinge gesagt, die gar nicht existieren.
Seine Meinung werde um so mehr bestätigt, als er bemerke, daß ich den anderen Yähus in allen Teilen meines Körpers gleiche, mit Ausnahme von denen, wo die Verschiedenheit in der Stärke, Schnelligkeit, Behendigkeit mir zum wirklichen Nachteile gereiche, wie in der Kürze meiner Klauen und einigen anderen Einzelheiten, wobei die Natur nicht mitgewirkt habe. Nach der Darstellung, die ich ihm von unserer Lebensart, unseren Sitten und Handlungen gegeben habe, müsse er dieselbe Ähnlichkeit bei den geistigen Eigenschaften finden. Er sagte: Es sei bekannt, daß die Yähus einander haßten, und zwar in noch höherem Grade als die übrigen Tierarten. Der gewöhnlich angeführte Grund liege in der Häßlichkeit ihrer Körperformen, die sie sämtlich bei den übrigen, aber nicht bei sich selbst erblicken könnten. Er sei somit auf den Gedanken gekommen, daß wir nicht unklug handelten, wenn wir unsere Leiber bedeckten, da wir durch diese Erfindung manche Häßlichkeiten voreinander versteckten, die sonst kaum zu ertragen wären. Jetzt aber finde er, daß er sich geirrt habe und daß die Zwistigkeit jener Tiere in seinem Vaterlande aus demselben Grunde wie bei den unsrigen entstünden. »Denn«, fuhr er fort, »wenn ihr fünf Yähus so viel Futter vorwerft, wie für fünfzig genügen müßte, so werden sie, anstatt friedlich zu essen, übereinander herfallen; jeder einzelne ist so gierig, daß er alles für sich allein haben will. Deshalb steht gewöhnlich ein Diener in der Nähe, wenn man sie außerhalb des Stalles füttert, und diejenigen, die im Stalle bleiben, werden in einiger Entfernung voneinander angebunden. Stirbt eine Kuh aus Alter oder durch Zufall, bevor ein Hauyhnhnm sie für seine eigenen Yähus in Sicherheit bringt, so stürzen alle, die sich in der Nachbarschaft aufhalten, herdenweise hinzu, und dann entsteht ein Kampf, wie du ihn beschrieben hast. Auf beiden Seiten versetzen sie sich mit ihren Klauen furchtbare Wunden, können sich aber nur selten töten, weil ihnen die dazu bestimmten Instrumente, die ihr erfunden habt, fehlen. Oft sind auch ähnliche Kämpfe von den Yähus verschiedener Gegenden ohne sichtbare Ursache ausgefochten worden; die Yähus eines Distrikts benutzen eine passende Gelegenheit, die eines anderen zu überfallen, bevor diese vorbereitet sind. Ist aber ihr Projekt mißlungen, so kehren sie nach Hause zurück und beginnen aus Mangel an Feinden unter sich einen Kampf, den du einen Bürgerkrieg genannt hast.«
Auf einigen Feldern dieses Landes gibt es auch gewisse glänzende Steine von verschiedenen Farben, worauf die Yähus sehr begierig sind. Sind einige davon, wie dies mitunter geschieht, in der Erde fest, so graben sie tagelang mit ihren Klauen, um sie loszumachen, und verstecken sie dann in ihren Ställen; dabei sehen sie sich sehr vorsichtig um, aus Furcht, ihre Kameraden könnten den Schatz bemerken. Mein Herr fügte hinzu: Er habe nie die Ursache dieser unnatürlichen Begierde entdecken und erraten können, wozu diese Steine gebraucht würden. Jetzt aber glaube er, dies sei derselbe Geiz, den ich bei dem Menschengeschlecht beschrieben habe. Einst habe er, um einen Versuch zu machen, einen Haufen dieser Steine im geheimen von dem Orte entfernt, wo einer seiner Yähus diese verborgen hatte. Da habe das schmutzige Tier, sobald es seinen Schatz vermißte, durch lautes Klagegeschrei die ganze Herde auf dem Platze versammelt, elendiglich geheult und die übrigen gebissen und zerkratzt. Es habe sich abgehärmt, nicht mehr essen, trinken und arbeiten wollen, bis er seinem Bedienten befahl, die Steine im geheimen wieder zu demselben Loche hinzutragen und dort wie früher zu verbergen. Als nun der Yähu seine Steine wiederfand, sei er sogleich munter und guter Laune geworden, habe sie mit großer Sorgfalt besser versteckt und sei seitdem ein sehr fleißiges und brauchbares Tier geblieben.
Ferner gab mir mein Herr die Versicherung, auf den Feldern, wo sich jene kostbaren Steine im Überfluß vorfänden, würden die heftigsten und häufigsten Kämpfe geliefert, weil die benachbarten Yähus dort immerwährend Überfälle ausführten.
Er fügte hinzu: Wenn zwei Yähus einen solchen Stein auf einem Felde entdeckt haben und wenn ein Streit entsteht, wer der Besitzer sein soll, so nimmt ein dritter gewöhnlich den Vorteil wahr und trägt ihn als sein Eigentum davon. Mein Herr behauptete, dies habe: einige Ähnlichkeit mit unseren Prozessen. Hier aber hielt ich es für unzweckmäßig, ihn zu enttäuschen, denn die von ihm erwähnte Entscheidung war weit billiger als manches bei uns gebräuchliche Verfahren, denn der Kläger und der Beklagte verlieren nichts als den strittigen Stein; unsere Gerichtshöfe hätten den Prozeß aber nicht eher beendet, als bis beiden Parteien nichts mehr übriggeblieben wäre.
Mein Herr setzte dann seine Rede weiter fort und sagte: Nichts habe die Yähus verhaßter gemacht als ihre rohe Gier, alles, was sie erlangen könnten, zu verschlingen. Sie fräßen Kräuter, Wurzeln, Beeren, verfaultes Fleisch von Tieren oder alles dies durcheinandergemischt; auch sei es ihre eigentümliche Eigenschaft, daß sie das bei weitem lieber äßen, was sie sich durch Diebstahl und