Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten - Jonathan Swift страница 61
Ich sagte, daß ich von ehrlichen Eltern auf einer Insel, mit Namen England, geboren sei; diese liege vom hiesigen Lande so viele Tagereisen entfernt, wie der stärkste Diener Seiner Gnaden in dem jährlichen Laufe der Sonne zurücklegen könne. Ich sei als Wundarzt erzogen worden, zu einem Stande, der Wunden und Verletzungen am Körper, die man durch Gewalttätigkeit oder Zufall erlange, wieder heile. Mein Vaterland werde von einem weiblichen Menschen, der Königin heiße, beherrscht; auf meiner letzten Reise sei ich der Befehlshaber eines Schiffes gewesen und habe fünfzig Yähus unter mir gehabt. Von diesen seien viele zur See gestorben, so daß ich diese durch andere aus verschiedenen Nationen hätte ersetzen müssen. Unser Schiff sei zweimal in Gefahr gewesen zu sinken, das erstemal durch einen heftigen Sturm, das zweitemal durch einen Stoß gegen Felsen. Hier unterbrach mich mein Herr mit der Frage, wie ich Fremde von verschiedenen Ländern nach so vielen Verlusten und Gefahren hätte überreden können, sich mit mir aufs Meer zu wagen. Ich sagte, es wären Leute in verzweifelten Umständen, die gezwungen gewesen seien, wegen Verbrechen oder Armut aus ihrem Vaterlande zu fliehen. Einige seien durch Prozesse zugrunde gerichtet worden, andere hätten all ihr Vermögen bei Trinken, Spielen und anderen Ausschweifungen verschwendet; andere seien wegen Hochverrats, andere wegen Mordes, Diebstahls, wegen Vergiftung, Raubs, Meineids, Fälschung, Falschmünzerei, Notzucht und wegen unnatürlicher Laster, wegen Desertion und wegen Überlaufens zum Feinde geflohen: Die meisten wären aus Gefängnissen ausgebrochen. Keiner wage in sein Vaterland zurückzukehren, aus Furcht, gehängt zu werden oder in einem Gefängnisse zu verhungern; deshalb seien sie gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt an anderen Orten zu erwerben.
Während dieser Unterredung hatte mein Herr mehreremal die Güte, mich zu unterbrechen. Ich mußte häufig Umschreibungen gebrauchen, um ihm die Natur der verschiedenen Verbrechen darzustellen, wegen derer ein Teil meiner Schiffsmannschaft gezwungen war, aus dem Vaterlande zu fliehen. Diese Arbeit erforderte ein Gespräch von mehreren Tagen, bevor er mich verstehen konnte. Er war durchaus nicht imstande zu begreifen, wozu die Ausübung dieser Laster notwendig und nützlich sei. Um ihm dieses klarzumachen, suchte ich ihm einen Begriff von dem Wunsche, Reichtümer und Macht zu erwerben, beizubringen; ferner auch von den furchtbaren Folgen der Wollust, Unmäßigkeit, der Bosheit und des Neides. Alles dies mußte ich ihm durch Beispiele und durch erfundene Fälle erläutern. Hierauf glich er einem Menschen, der über etwas früher nie Gesehenes und Gehörtes von dem heftigsten Erstaunen ergriffen wird. Er erhob seine Augen mit Schrecken und Unwillen. Für Macht, Regierung, Krieg, Gesetz, Strafe und für tausend andere Dinge fand sich kein Ausdruck in seiner Sprache; dadurch wurde die Schwierigkeit, meinem Herrn einen allgemeinen Begriff von dem, was ich sagen wollte, zu geben, beinahe unüberwindlich. Da er jedoch einen ausgezeichneten und durch Überlegung sowie durch Gespräch gebildeten Verstand besaß, erwarb er sich zuletzt ein genügendes Urteil über alles, was die Menschennatur in unseren Weltteilen auszuführen imstande ist; er bat mich deshalb, ihm einen besonderen Bericht von dem Lande, das Europa heißt, besonders aber von meinem Vaterlande zu geben.
Fünftes Kapitel
Der Verfasser gibt seinem Herrn auf dessen Befehl einen Bericht über den Zustand von England. Die Ursachen der Kriege unter den europäischen Fürsten. Der Verfasser beginnt mit Darstellung der englischen Staatsverfassung.
Der Leser muß gütigst beachten, daß der folgende Auszug vieler Gespräche, die ich mit meinem Herrn führte, den Inbegriff der wesentlichsten Punkte enthält, die ungefähr zwei Jahre lang zu verschiedenen Zeiten besprochen wurden. Seine Gnaden verlangte nämlich häufig eine erschöpfende Auskunft, nachdem ich in der Hauyhnhnm-Sprache größere Fortschritte gemacht hatte.
Ich stellte meinem Herrn so gut wie möglich den ganzen Zustand von Europa dar; ich sprach von Handel und Manufakturen, von Künsten und Wissenschaften, und die Antworten, die ich ihm auf alle Fragen gab, die sich bei den verschiedenen Gegenständen darboten, lieferten unerschöpflichen Gesprächsstoff. Ich werde hier jedoch nur die Hauptsache davon niederschreiben, was mein Vaterland betrifft, indem ich es so gut wie möglich ordne, wobei ich jedoch auf Zeit und andere Umstände wenig Rücksicht nehme und mich nur streng an die Wahrheit halte. Es tut mir leid, daß ich kaum imstande sein werde, der Beweisführung und der Ausdrucksweise meines Herrn Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Beide müssen durch meine zu geringe Auffassungsgabe sowie auch durch die Übersetzung in unser barbarisches Englisch viel Nachteil erleiden.
Um den Befehlen Seiner Gnaden zu gehorchen, erzählte ich ihm deshalb die Revolution unter dem Prinzen von Oranien, den langen Krieg mit Frankreich, den der genannte Fürst begann und den seine Nachfolgerin, die gegenwärtige Königin12, erneuerte; wie alle großen Mächte der Christenheit daran teilnahmen und wie er jetzt noch fortdauert.13 Ich berechnete auf seine Bitte, daß ungefähr eine Million Yähus im Verlaufe davon umgekommen seien; ungefähr hundert Städte oder eine größere Anzahl sei eingenommen und fünfmal soviel Schiffe verbrannt oder versenkt worden.
Mein Herr fragte mich dann, welche Beweggründe gewöhnlich dergleichen Kriege verursachten. Ich erwiderte, die Ursachen seien unzählig; ich würde nur einige der hauptsächlichsten erwähnen. Bisweilen würden Kriege durch Fürsten bewirkt, die glaubten, daß sie niemals Land und Leute genug zu beherrschen hätten; bisweilen auch durch die Verderbnis der Minister, die ihren Herrn in einen Krieg verwickelten, um das Geschrei der Untertanen über eine schlechte Regierung zu ersticken oder ihm eine andere Richtung zu geben; Verschiedenheit der Meinungen haben mehrere Millionen Leben gekostet, ob Fleisch Brot oder Brot Fleisch sei; ob der Saft einer gewissen Beere in Blut oder Wein bestehe; ob man das Pfeifen als Laster oder Tugend annehmen müsse; ob es besser sei, einen Pfahl zu küssen oder in das Feuer zu werfen; wie man sich am besten bekleiden müsse, schwarz, weiß, rot oder grau; ob der Rock lang oder kurz, eng oder weit, schmutzig oder reinlich sein solle. Auch seien keine Kriege so wütend und blutig und dauerten so lange wie die, welche durch Verschiedenheit der Meinungen erregt würden, besonders wenn die streitigen Gegenstände unbedeutend seien.
Bisweilen entstehe der Streit zwischen zwei Fürsten, um zu entscheiden, welcher von ihnen einen dritten seiner Länder berauben solle, wobei jedoch keiner auf ein Recht Anspruch machen dürfe; bisweilen zanke der eine Fürst mit dem anderen, aus Besorgnis, dieser werde Streit mit ihm anfangen; bisweilen, weil er zu schwach sei; bisweilen, fuhr ich fort, wollen unsere Nachbarn etwas haben, was wir besitzen, oder sie besitzen die Dinge, die wir haben wollen, und dann kämpfen wir beide, bis sie unsere Dinge nehmen oder wir die ihrigen haben. Es ist eine leicht zu rechtfertigende Ursache des Krieges, ein Land anzugreifen, wenn das Volk durch Hungersnot geschwächt, durch Pest zerstört und durch bürgerlichen Parteikampf verwirrt ist. Es ist leicht zu rechtfertigen, wenn wir unsern nächsten Verbündeten den Krieg erklären, sobald eine seiner Städte für uns sich eignet oder wenn ein Landstrich eine solche Lage hat, daß er unsere Besitztümer abgerundet und zusammenhängend macht. Wenn ein Fürst seine Streitkräfte einer Nation sendet, deren Volk arm und unwissend ist, so darf er mit Recht die eine Hälfte töten und die andere zu Sklaven machen, um sie zu zivilisieren und sie von ihrer barbarischen Lebensweise abzubringen. Es ist ferner, im Fall ein Fürst die Hilfe eines anderen nachsucht, um sich vor fremdem Angriff zu retten, ein königliches, ehrenvolles und häufiges Verfahren, daß der Bundesgenosse, wenn er den angreifenden Feind vertrieben hat, das Land für sich selbst in Besitz nimmt und den erretteten Fürsten tötet, verhaftet oder verbannt. Verbindung durch Blutsverwandtschaft oder Ehe ist eine häufige Ursache zu Kriegen zwischen Fürsten, und je näher die Verwandtschaft ist, desto größer ist auch die Neigung zum Zwist. Arme Nationen sind hungrig, reiche sind stolz; Stolz und Hunger werden stets miteinander in Streit geraten. Deshalb wird das Handwerk eines Soldaten für das ehrenvollste von allen gehalten. Ein Soldat ist nämlich ein Yähu, der gemietet wird, so viele Individuen seiner Gattung wie möglich, die ihn nie beleidigt haben, mit kaltem Blute zu töten.
Es gibt ferner eine Art bettelhafter Fürsten in Europa, die nicht selbst imstande