Meine Engel sind grün. Oliver Kyr

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Meine Engel sind grün - Oliver Kyr

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Aber diese Feinheiten waren für mich natürlich nicht von Belang.

      Ich wollte drin bleiben, drin im Warmen, in der Geborgenheit, in Sicherheit, zu Hause. Als wäre ich misstrauisch gewesen ob der Welt da draußen und hätte es vorgezogen, „daheim in Mama“ zu bleiben. Viele Jahre später durfte ich dieses Gefühl noch einmal durchleben und verstehen, mit wie viel Angst ich der neuen Welt entgegensah.

      Zurückhaltend gegenüber anderen gab ich mich in meinen Kinderjahren. Saß neben den Gruppen der spielenden Kinder und spielte nicht mit. Blieb am Rand, trennte mich sichtbar von der Gruppe. Freute mich, wenn Mama oder Papa mich im Kindergarten abholten. Und ab und an traf ich mich sogar mit einzelnen Freunden, wenn ich dann Vertrauen in sie gefasst hatte.

      Nicht dass ich traurig gewesen wäre, es war Eigenbrödlertum. Ich zog es einfach vor, am Rand zu sein. Alleine. Ohne das laute Hin und Her und Gekreisch und bunte Treiben, das ich argwöhnisch beäugte.

      Als ich neun war kaufte mir meine Mutter kleine, linierte Heftchen, in die ich dann meine ersten Geschichten schrieb. Von John Lemon, dem Weltraumhelden und seinem treuen Roboter-Begleiter Eszella. Es ging um Raumschiffe und Laserwaffen, böse, hinterlistige Aliens und den stets mutigen und nichts fürchtenden John Lemon. Ich versank in diesen Geschichten, durchlebte sie selbst, baute mir eine eigene Parallelwelt. Wie leicht mir diese Geschichten aus dem Geist flossen, wie meine Finger langsam aber konzentriert die Linien und Halbbögen der Buchstaben aufs weiße Papier zogen. Wie fernab ich in diesen Momenten „unserer Realität“ war.

      Nie werde ich das Geburtstagsgeschenk meiner Großmutter vergessen. Wir wohnten in Bayern, in einem kleinen Dorf. Es war heiß an diesem Tag, und wir warten drinnen in der Kühle der Schatten auf meine Großeltern. Draußen auf der Hauswand prangte das riesige Mosaik eines Engels, den der Besitzer vor Jahren angebracht hatte. Wir aßen kalten Hund – Zwieback und Schokoladenschichten aus dem Eisschrank – und freuten uns auf Oma und Opa.

      Als langjährige Sekretärin für eine Versicherungsgesellschaft konnte meine Oma Schreibmaschine tippen. Schnell, sehr schnell. Nach dem Mittagessen eröffnete sie mir ihr diesjähriges Geburtstagsgeschenk: Sie würde eine meiner Geschichten tippen!

      Aufgeregt und mit klopfendem Herzen setzte ich mich neben sie. Wartete ungeduldig, bis sie das neue Farbband eingesetzt und einen Bogen Papier eingespannt hatte. Dann begann ich zu erzählen, und ihre Finger huschten über die Tastatur. Als John Lemon endlich den Sieg über die Bösen davongetragen hatte, legte meine Oma das Blatt auf die anderen und reichte mir feierlich mein erstes „Buch“.

      Erst dreißig Jahre später verstand ich dieses Geschenk und welch Schatz tief in ihm verborgen war. Und auch John Lemon sollte mir, Dekaden später im Dschungel Südkolumbiens, noch einmal zuzwinkern. Versteckt natürlich, um die Ecke gedacht. Aber da verstecken sie sich ja nun einmal, unsere Engel und spirits.

       Foto: Botanischer Garten in San Salvador (El Salvador)

      Meine eigene Tochter, sie wird im kommenden Monat sechs, spricht mit „denen mit den Wurzeln“. Fragt um Erlaubnis, bevor sie auf knorrige, magische Bäume in Nicaragua oder Costa Rica klettert. Legt vorsichtig ihre kleine Kinderhand auf die raue Rinde, schließt die Augen und versucht sich zu verbinden. Dann, wenn der Baum „ja“ sagt, klettert sie los. Das wäre mir als Kind nie in den Sinn gekommen. Sie waren eben da, die Bäume. Und wuchsen vor sich hin, die Blumen und Sträucher und Gräser. Weil sie das eben so machten, und das hatte mit Oliver und seinem Leben nicht das Geringste zu tun. Mein eigener Vorname entstand aus dem Altgriechischen, hatte mir jemand erzählt:

      Der, der die Olivenbäume pflanzt.

      Damit konnte ich damals so richtig gar nichts anfangen - es ließ mich kalt. Hätte ich geahnt…

      Liebe Pflanzen, liebe Brüder und Schwestern, die ihr Wurzeln habt: Habt ihr es damals schon gewusst? Habt ihr den schwarzen Mercedes und den Chevrolet-Leichenwagen mit dem blubbernden V8 vorhergesehen? Die drei Herzinfarkte, den Tanz mit dem Tod? Habt ihr Berlin, Korinth und Mexiko geahnt? Die stürmischen Nächte mit Schamanen, die Gesänge aus alter Zeit?

      Ich glaube schon.

      2

      DER ENGEL DER SCHUBLADEN

      „Es ist“ kannst du wahrnehmen. „Es werde“ kannst du selbst erschaffen.

      1 Buch der Wyld Rose, 150

       Sie laden ihn ein, den kleinen Löwen. Fordern ihn auf, zu tanzen. Wedeln mit den wabernden Händen aus Licht, wirbeln wie Derwische im Kreis umher.

       „Komm“, wispern die Stimmen im Köpfchen des Löwenjungen, „komm, hab’ keine Angst.“

       Aber er hat Angst, der kleine Löwe, der ein Mann Ende 40 ist - aber heute Nacht, in dieser dunklen und zugleich so hellen Stunde, ein kleines zitterndes Löwenbaby.

       Er hat – eigentlich unbegründete, aber zugleich tiefe und fürchterliche - Angst vor der Wildheit der tanzenden Wesen. Angst vor dem Lachen, Angst vor dem reißenden Fluss des Lebens. Mit diesen Wilden zusammen tanzen gehen? Die Sicherheit des Schlafsacks an der Sofaecke aufgeben und hinübergehen? Sich verbinden mit der Meute dort?

       Das Löwchen klammert sich an eine Ecke des Sofas, zieht die Ränder des Schlafsacks über die Schultern und rollt sich zusammen. Bleibt am Rande des Geschehens. Zu furchtbar der Ausblick auf Gemeinsamkeit, aufs Einssein mit dem Leben.

      Aber nach und nach spürt es: Das wird er nicht mehr lange durchhalten: Zu verlockend, zu drängend ist er, der Ruf der „wilden Meute. Und sie werden nicht aufhören heute Nacht, werden nicht müde, es zu rufen und zu locken. Denn heute muss es sein - das spürt auch das Löwenjunge.

       Es zittert vor Angst. Aber warum? Sind sie gefährlich, die wild umher-tanzenden Wesen, die bunten Derwische, die funkelnd zu ihm herüber schauen?

       Nein.

       Werden sie ihn etwa… auffressen?

       Nein.

       Wird es sich verlieren in ihrem bunten Treiben und nie wieder zurückkommen?

       Für eine Weile, ja.

       Aber er wird ja der kleine Löwe bleiben…

      Und dann nimmt der kleine Löwe seinen ganzen Mut zusammen. Aus dem Löwenherzen, das ihm seine Eltern geschenkt haben, schöpft er die notwendige Kraft und setzt seine linke Vorderpfote ins Leben. Es ist schwer, so schwer zu vertrauen. Dem Leben zu vertrauen. Es tut so weh.

       Die Sicherheit des Schlafsacks verlassen, die Wärme, das Behagliche, Bekannte.

       Dann folgt die zweite Pfote. Wieder durchatmen, Kraft sammeln, aus dem Löwenherzen heraus handeln. Minuten vergehen, eine Viertel-, eine halbe Stunde.

       Pfote drei, dann vier. Das Löwenjunge steht nun mit zitternden Gliedern und wild klopfendem Herzen mittendrin: im Lebenl

       Es ist nur ein Teppich

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