Jahrestage-Buch. Siegfried Reinecke

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Jahrestage-Buch - Siegfried Reinecke

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Melone verpasst wurde. Otto Ludwig Piffl (Horst Bucholz in Billy Wilders Berlin-Komödie „One, two, three“) fand, das putze ihn ungemein. Welches System am Ende des Kalten Krieges den Hut aufhaben würde, schon damals hätte es jedermann vorhersehen können.

      Der Übergang vom Geht-gar-nicht-ohne zum luftigen Nur-noch-oben-ohne währte aber dann wirklich nicht lange. Was war dafür verantwortlich? Oder wer? John F. Kennedy persönlich habe den Hut umgebracht. So jedenfalls steht es geschrieben in vielen Zeitungsartikeln und auch Wikis, verbreitet von Augenzeugen, die die Augen nicht aufgemacht haben. Charming JFK habe während seiner Inauguration 1960 demonstrativ auf eine Kopfbedeckung verzichtet und damit einen Erdrutsch ausgelöst. Die Zahl der Hutverkäufe sei daraufhin landesweit dramatisch eingebrochen und habe sich nie wieder erholt – nur weil der Herr auf modern, jung und dynamisch machen wollte. Sieht man aber einmal ganz genau hin …

       Young Mr. Kennedy, „has not just a hat but a traditional silk top hat on, making him look like a younger, sexier, more Catholic version of the Monopoly guy!“

      Selbstverständlich hatte er bei der Vereidigung selbst den Hut abgelegt, er hatte schließlich Manieren so wie die Präsidenten vor und die meisten nach ihm. Ansonsten gibt es reichlich Bilder, die ihn am Tag seiner Amtseinführung eben gar mit einem Zylinder zeigen. Eine traditionellere Kopfbedeckung ist kaum denkbar.

      Tatsächlich verantwortlich für den Niedergang von Borsalino, Homburg und Co. sind neben ideologischen ganz praktische Gründe: „Eine neue Haarmode (Elvistolle!) sowie das Automobil als Massentransportmittel (ein VW-Käfer war einfach zu niedrig, um darin einen Hut zu tragen) trugen maßgeblich dazu bei.“ [Der Hut macht den Mann, Die Zeit, 16.5.2018] Zum anderen betraten nach 1960 die Jugendbewegungen die Bühne, womit sich ein sportlicher, legerer Lebensstil auszubreiten begann. Zugleich waren konservatives Denken und biederes Verhalten samt entsprechender Kleidung nicht mehr angesagt. Die Verdeckung des Hauptes passte mit der 68er-Kulturrevolution nicht mehr in die Zeit, in deren Gemeinschaftsseligkeit doch schon der Keim der universellen Individualisierung steckte. Denn mit Frisuren konnte man sich ein weitaus unverwechselbareres Aussehen und damit Image verschaffen als mit der insgesamt doch arg normierten Hutmode. Und wenn schließlich etwas irgendwann nicht mehr Mainstream ist, erweckt es dann doch wieder den Eindruck oder zumindest das Gefühl von Einzigartigkeit.

      Kopfbedeckungen tragen heute wenige Menschen in unseren Breiten, und wenn, dann vermehrt junge Leute, sei es der kaum erträgliche Wollmützenstrumpf namens Beanie, die unverwüstliche Basecap oder sogar der klassische Hut. Dieser verleiht nunmehr die Aura des Außergewöhnlichen, kennzeichnet den (selbst-) bewusst lebenden Mann. Dabei scheint es sich in erster Linie um Pop-Künstler zu handeln wie z.B. Roger Cicero, Jan Delay, Zucchero, so man will auch Udo Lindenberg. Warum ist denn der Hut heute wieder ein echtes musthave für den stylischen Hedonisten (sorry für die Sprache, die dafür erfunden wurde)? Übergeben wir doch die Frage einfach an den Hut-Designer, an Philip Treacy:

      „'Ein Hut vermag es, die Persönlichkeit desjenigen, der ihn trägt, komplett zu verändern. Er kann sogar dazu führen, dass dieser anders steht, anders geht, dass er sich interessant fühlt.' Hutträger mit Angebern gleichzusetzen, wie es immer wieder vorkommt, seit der Hut keine Selbstverständlichkeit mehr ist, hält er indes für einen Fehler. Ziel sei es grundsätzlich, die Gesichtszüge hervorzuheben, schließlich betrachte man bei einer ersten Zusammenkunft 'nicht Fuß, Hand oder Hüfte' eines Menschen, sondern schaue ihm ins Gesicht. 'Ein Hut ist überdies eine günstigere Alternative zu kosmetischer Chirurgie.'“

      [Maschewski, Alexandra: Philip Treacys Regeln für den richtigen Hut, Die Welt, 28.06.2014]

      Des Meisters Empfehlung zum Trotz setzt die Mehrheit der Betroffenen aber wohl doch auf's Skalpell. Am 15. Januar mögen sie immer von Neuem daran erinnert werden, dass es kostengünstigere, aber vor allem ansehnlichere Lösungen für einen verpfuscht geglaubten Schädel gibt. Sorry, Dr. Botox! Und Dank wegen der ästhetischen Entlastung von uns nicht Bodyoptimierten.

      Vor noch übleren Verirrungen sei überdies auch noch gewarnt. Nur ein kleiner Aussetzer in unserer biologischen Ausstattung, und wir kennen uns selbst nicht mehr wieder, daran erinnert uns das Buch des Professors für Neurologie und Psychiatrie Oliver Sacks. Und ganz besonders arg wird es dann natürlich bei jenem „Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“. Wundern muss das nicht.

      Hut oder nicht Hut, er kann materiell gar nicht so ausgerottet sein, dass er seine ubiquitären symbolischen Qualitäten einbüßen könnte. Das ist heute nicht anders als es schon 1965 war, wie die folgende Annonce beweist:

       Erklärtext unter der Schreibmaschine: „'… Weil sie mit der TRIUMPH 'electric 15 c, 31 c, 51 c' geschrieben sind. Weil 'c' Kohleband heißt, weil Kohleband bedeutet: Briefe, die ihr Unternehmen wirksam repräsentieren sollen, erhalten ein besonders attraktives Aussehen und damit die Exclusivitätvon Chefbriefen.“

      Derjenige, der redet, hat erst einmal den Hut auf. Als solcher darf man entsprechend sagen: Hat man den Eindruck, ordentlich betreut zu sein, nennt man sich immer noch gut behütet, längst bekannte Sachen sind ein alter Hut, und Politiker sollten viel öfter mal wieder denselben nehmen, wenn ihre Fehlleistungen uns über die Hutschnur gehen. Sollte zudem jemand glauben, hier würde ein Faible für solche Sentenzen ausgelebt, so sei ihm nur kühl entgegnet: „Damit habe ich nichts am Hut!“ – auch wenn diese Sprachspiele so unsterblich scheinen wie Fang den Hut! sehe man sich doch vor: Überall kann ein Kalauer als false friend lauern. Seien Sie auf der Hut!

      * Bei der berühmten Karikatur, von der eingangs die Rede war, handelt es sich natürlich um die von David (Alexander Cecil) Low zum Hitler-Stalin-Pakt. Low hat mit seinen künstlerischen Arbeiten frühzeitig und intensiv vor den europäischen Diktatoren Hitler, Mussolini und Franco gewarnt, wobei er, sie gleichwohl dem Spott preisgebend, keinen Zweifel an ihren gefährlichen Absichten ließ.

       21. Januar 1867 – Geburtstag Ludwig Thomas

       … von hervorragendem Verstand

      Er hatte es mit den Juristen. Er war selber einer. Er hatte sogar eine Dissertation geschrieben und führte den Doktortitel. Was er eigentlich nicht durfte, denn er hatte seine Arbeit nie drucken lassen. Ludwig Thoma war so einer. Irgendwie oa Viech, oa Lausbuab. Eben damit begründete er wohl zuallererst seinen Ruhm: mit den „Lausbubengeschichten“. Ferner bekannt ist der fleißige Schreiber durch eine Vielzahl von Romanen und Stücken, und regional am Ende am berühmtesten durch seinen „Münchner im Himmel“. Außerdem war er lange Jahre Autor und Redakteur des Simplicissimus, auch ein Ausweis seiner humoristischen und satirischen Qualitäten. Dass er in seiner späten Lebensphase zum übelsten antisemitischen Hetzer mutierte, macht es heute schwer, ein allgemeines Urteil über ihn zu fällen.

      Aber eben die Juristerei: Mit der hatte er es, sowohl beruflich als auch als Objekt satirischer Attacken. Es ist vor allem ein Satz, der immer wieder gern zitiert wird, zwar unvollständig, aber immerhin. Gern wird er auch einem Kollegen zugeschrieben, der aber erheblich später wirkte: Kurt Tucholsky. Die Ehre gehört zweifelsfrei allein dem Thoma Ludwig und seiner präzisen Beobachtung: „Er war Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand.“ Das ist nicht nur fein formuliert, man kann sich auch vorstellen, jemand fühle sich davon persönlich getroffen. Dass ein solcher Satz dann juristisch zu prüfen ist, wenn er in öffentlicher Rede fällt, versteht sich geradezu von selbst. Und so geschah es vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG BaWü, Beschl. v. 24.05.2007 – 9 Ta 2/07).

      Dort

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