...und schon bist Du Rassist!. Carl Betze

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ist ebenfalls nur gemeinsam mit der Türkei möglich. Europa ist abhängiger denn je von seinem östlichen Nachbarn. Man hat deshalb seitens der EU kein Interesse, diesbezügliche Gesprächsfäden durch zu harte Kritik abreißen zu lassen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich wohl auch die Art und Weise, in der die Europäische Union im Umgang mit der Türkei hadert. Zwar verurteilen Abgeordnete das Land regelmäßig mit harten Worten. Doch die Vertreter von Regierungen und Behörden halten sich zurück. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), tritt dafür ein, klare Botschaften nach Ankara zu senden. „Die EU ist nicht erpressbar, weil die Türkei aus wirtschaftlichen Gründen mindestens so viel Interesse an einer guten Beziehung zur EU hat wie umgekehrt“, sagt Brok der „Welt“ (27). Mag man über den „Casus Böhmermann“ noch streiten – die Stürmung der Redaktion der Zeitung Cumhuriyet und die Verhaftung Deniz Yücels hätten als Reaktion weit mehr als nur Enttäuschung gefordert. Auch, weil Deutschland objektiv in einer weit stärkeren Position ist, als es den Anschein hat. Die türkische Wirtschaft ist in einer kritischen Situation und braucht Unterstützung. Erdogan ist auf Investitionen aus der EU angewiesen. Angesichts der finanziellen Situation des Landes ist die Drohung mit der Aufkündigung des Flüchtlingspakts wenig glaubwürdig.

      Erdoğan kann sich einen Verzicht auf die Hilfsmilliarden aus Brüssel gar nicht erlauben (28).

      Eine entschlossene Europäische Union mit einem starken Deutschland könnte Erdogan die Stirn bieten. Aufgrund der Flüchtlingsproblematik jedoch, so scheint es, besteht daran kein Interesse. Somit ist Deutschland, ist die Europäische Union, ein Stück weit erpressbar. Es stellt sich die Frage, ob für die deutsche Kanzlerin und ihr Gefolge die Interessen Erdogans womöglich schwerer wiegen als die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit in Deutschland. Ob nicht die Flüchtlingspolitik missbraucht wird als staatliches Machtinstrument und Deutschland sich dies gefallen lässt.

      Die Bundesregierung muss in Fällen solch drastischer Rechtsverletzungen, wie sie unter dem Regime Erdogan an der Tagesordnung sind, nicht nur hadern, tadeln und mahnen, sondern mit wirtschaftlichen Sanktionen drohen. Das ist die einzige Sprache, die Leute wie Erdogan verstehen.

      Tut sie dies nicht, verliert sie nicht nur in Europa an Glaubwürdigkeit – sondern auch in der eigenen Bevölkerung.

      Auch innenpolitisch ist der Umgang mit der Flüchtlingskrise mitentscheidend für die Verteilung der Staatsmacht.

      Politiker treffen aus wahltaktischen Gründen dabei mitunter die falschen Entscheidungen. Staaten werden von Politikern geführt.

      Und Politiker benötigen Stimmen. So manchem Politiker ist daher das Hemd näher als die Hose: Richtig ist, was moralisch geboten ist, aber auch auf kurze Sicht Ergebnisse liefert – eventuellen negativen Auswirkungen zum Trotz.

      So wird auch die Flüchtlingspolitik bisweilen stark an der Stimmungslage der Wählerschaft ausgerichtet.

      Gerettete Flüchtlinge an die EU-Küste nach Lampedusa zu befördern, ist nicht nur ein humanitärer Akt, sondern dazu auch einer, der Stimmen bringt. Andererseits werden die langfristigen Folgen solcher Aktionen nicht immer berücksichtigt. Langfristig verantwortungsvoll wäre es, die Geflüchteten in ihre Heimat zurückzubringen und dort durch umfangreiche Hilfsprogramme für entsprechende Lebensbedingungen zu sorgen.

      Es bleibt zu hoffen, dass dieses Szenario in den machtpolitischen Erwägungen unserer obersten Entscheidungsträger die ihm gebührende Rolle spielt.

       08

       Ist das noch Willkommenskultur oder bereitsWillkommensfanatismus?

      Wir haben sie alle noch im Kopf, die Bilder vom Münchner Bahnhof im Herbst 2015: Dutzende Polizisten sind im Einsatz, Absperrbänder werden gespannt, Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr stehen bereit, Dixi-Klos werden herangeschafft, die Stadtwerke München haben Trinkwasserverteiler aufgestellt. Ausgelassene Menschen halten „Refugees welcome“-Schilder hoch, etliche von ihnen kommen mit Lebensmitteln, Wasser oder Babywindeln zum Bahnhof. An Tischen werden Äpfel, Bananen, Wasser und Müsliriegel verteilt. Auch Babynahrung, Milch und Kekse gibt es.

      Sogar Kartons mit Plüschtieren stehen am Vormittag bereit, viele Kinder halten später glücklich einen Stoffbären in ihren Händen.

      Mit verklärten Augen werden ankommende Flüchtlingskolonnen bejubelt, als die Züge mit Menschen aus Syrien und anderen Krisenländern einfahren, steigen bunte Luftballons in den Himmel, die Menge applaudiert frenetisch.

      In den Fußballstadien hängen „Refugees welcome“-Banner, eine weitere humanitäre Geste, die Solidarität mit den Schutzsuchenden bekundet.

      Deutschland, so hat man den Eindruck, schwebt in einer kollektiven Willkommenstrance. Man fühlt sich erinnert an weit zurück liegende Bilder, an die Rückkehr der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 oder die Ankunft der Beatles in Hamburg 1966.

      "Die Hilfe von der Bevölkerung reißt nicht ab! Klasse!", twittert die Münchner Polizei begeistert (29).

      Gerade weil die europäischen Nachbarländer eine eher restriktive Flüchtlingspolitik verfolgen, bemüht man sich in Deutschland, so hat es den Anschein, in besonderem Maße die Solidarität mit Flüchtlingen und die Bereitschaft, Flüchtlinge zu unterstützen, zur Schau zu stellen.

      Der Begriff „Willkommenskultur“ wird weltberühmt.

      Das Wort „Kultur“ ist eine Eindeutschung des lateinischen Worts cultura („Bebauung, Bearbeitung, Bestellung, Pflege“), das eine Ableitung vom lateinischen colere („bebauen, pflegen, urbar machen, ausbilden“) darstellt (30).

      Unter Kultur versteht man die Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen, charakteristischen geistigen, künstlerischen, sowie gestaltenden Leistungen (31). Oft drückt sich in der Bezeichnung Kultur das jeweils lebendige Selbstverständnis und der Zeitgeist einer Epoche aus.

      Das vorherrschende Selbstverständnis zu Beginn der Flüchtlingskrise repräsentiert zweifelsohne der Begriff der Willkommenskultur.

      Er bezeichnet zum einen eine positive Einstellung von Bürgern, Politikern, Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Sportvereinen und anderen Institutionen zu Migranten. Zum anderen drückt der Begriff den Wunsch aus, dass Migranten allen Menschen, denen sie begegnen, willkommen sein mögen. Auch bezeichnet das Wort Willkommenskultur die Gesamtheit aller Maßnahmen, durch die eine positive Haltung gegenüber Migranten bei anderen gefördert und dem Gefühl von Migranten, willkommen zu sein, eine Grundlage in der Realität gegeben werden soll.

      Neuerdings wird zum besseren Verständnis auch der Begriff Willkommens- und Anerkennungskultur verwendet, der eindeutig Menschen mit einer längeren Aufenthaltsdauer einbezieht (32).

      Deutschland befindet sich anno 2015 in einem Gefühlsrausch, in einer Ausnahmesituation. Die vom Staat geforderte und von seinen Bürgern überdeutlich zur Schau gestellte Willkommenskultur führt zu einem regelrechten Hype, zu einem Trend, es ist 'in', Flüchtlinge willkommen zu heißen, man will dazugehören. Das Verhalten der deutschen Bevölkerung erinnert mich auffällig an zwei Ereignisse Anfang dieses Jahrtausends, an denen ich begeistert partizipierte.

      „Wir sind Papst“ prangert es am 20.April 2005 auf der Titelseite der Bild-Zeitung. Der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger ist zum katholischen Kirchenoberhaupt gewählt worden und fortan wird aus der deutschen Bevölkerung ein Volk von Papstenthusiasten.

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