Das Labyrinth erwacht. Rainer Wekwerth
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Ohne Probleme fielen Jenna die Worte ein, die diese Kleidungsstücke bezeichneten.
Sie griff nach dem Rucksack und wandte sich ab.
Eigentlich unnötig, er hat dich die ganze Zeit nackt gesehen. Er weiß, wie du aussiehst.
Mit fliegenden Fingern zog sie die Kleidung an, die in allen Details Jebs Sachen ähnelte, nur dass ihr Hemd blau kariert war, während bei ihm Rot dominierte.
»Bitte beeil dich.«
Jenna schloss den obersten Knopf ihrer Jeans und schlüpfte in die Jacke. Alles passte wie angegossen.
Seltsam.
»Ich habe dich doch gerade erst gefunden. Warum müssen wir uns beeilen?«, fragte sie.
»Ich habe dich gefunden, oder nicht?«
Dabei habe ich das Gefühl, dass ich auf der Suche nach dir war.
Jebs Gesicht war zu einer düsteren Maske geworden. Er streckte den rechten Arm aus und deutete zum Horizont, zu dem Wald in der Ferne. Ein paar Wolken hingen über den weißen Spitzen des Bergmassivs. Auf der Ebene davor, sah Jenna, waren vereinzelte trockene Sträucher und Büsche die einzige Abwechslung in der ansonsten öden Steppenlandschaft.
»Dort müssen wir hin, bevor es dunkel wird. Wir können nicht hierbleiben.«
»Ich verstehe das alles nicht. Warum müssen wir zum Wald? Wo sind wir? Und woher weißt du das überhaupt?«
»Später! Lass uns erst mal aufbrechen.«
Jenna zögerte. Ihr gefiel nicht, wie Jeb sie herumkommandierte, ohne auch nur den Hauch einer Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten zu liefern.
»Nein, du erklärst es mir jetzt. Vorher mache ich keinen Schritt. Ich muss wissen, wo wir sind«, sagte sie mit fester Stimme.
Jeb sah sie nachdenklich an. Er wirkte gelassen, keinesfalls verärgert, doch sein nächster Satz traf sie völlig unvorbereitet. »Wir sind in Gefahr.«
Sie sah sich hektisch um, aber da war nichts. Keine Menschen. Keine Tiere. Noch immer herrschte eine fast unheimliche Stille.
Ihr Blick flog über das Land, das eben noch freundlich gewirkt hatte.
»Es könnte tödlich für uns werden, wenn wir nicht sofort aufbrechen«, fügte er hinzu.
Es war die Ruhe in seiner Stimme, die ihr klarmachte, dass Jeb von einer konkreten Bedrohung sprach. Er klang überzeugt von dieser Sache. Aber Jenna wollte sich keine Angst einjagen lassen.
»Tödlich? Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Ich kann keine Gefahr erkennen. Sag mir, was los ist.« Sie schaute sich um. Die weite Steppe lag friedlich zu ihren Füßen.
Er schüttelte den Kopf. »Dafür ist jetzt keine Zeit.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging los. Jenna blieb verblüfft zurück. Was sollte sie jetzt tun? Ihm hinterhergehen oder an Ort und Stelle bleiben? War es nicht besser, hier zu warten? Vielleicht würden ihre Erinnerungen zurückkehren und sie wüsste, wie sie hierhergekommen und was zu tun war.
Wer ist denn eigentlich Jeb?
»Jeb?«, rief sie. »Jeb! Du kannst mich doch nicht einfach…« Doch Jeb drehte sich nicht zu ihr um, sondern ging unverwandt weiter. Jennas Kehle schnürte sich zu. Er war der einzige Mensch weit und breit und der Abstand zu ihm wurde stetig größer. Der Gedanke, in dieser Weite zurückgelassen zu werden, machte sie fast verrückt.
Sie atmete einmal tief durch, dann nahm sie den Rucksack, der ohne Kleidung gleich viel leichter war, und lief Jeb hinterher.
Nachdem sie ihn eingeholt hatte, gingen sie eine Weile schweigend nebeneinanderher. Dunkle Wolken waren am Horizont über dem Gebirge aufgezogen, in dessen Richtung sie marschierten. Vereinzelte Blitze zuckten zur Erde hinab, aber das Gewitter war noch zu weit weg, als dass man den Donner hören konnte. In der Luft lag der dumpfe Geruch von Erde und es wurde merklich kühler. Jenna fröstelte und zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch.
Sie hatte Hunger und Durst, wagte aber nicht, Jeb jetzt schon nach einer Pause zu fragen. Im Abstand von zwei Metern ging er neben ihr her und sie spähte aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber. Er war gut einen Kopf größer als sie. Unter der Kleidung zeichnete sich ein sportlicher Körper ab. Er bewegte sich sicher, fast geschmeidig, das war ihr sofort aufgefallen. Seine Miene wirkte verschlossen, konzentriert. Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen geschlossen und starrte unablässig auf den Wald in der Ferne.
»Jeb? Wo sind wir?«
Er sah zu ihr hinüber, verlangsamte aber sein Tempo nicht.
Er zögerte. »Ich weiß es nicht genau.«
»Du weißt es nicht?« Sie war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Jeb sich hier auskannte. Er wusste schließlich von den Gefahren an diesem Ort und anscheinend auch einen Platz, an dem sie in Sicherheit waren. Warum sonst marschierte er so zügig auf den Horizont zu?
»Ich bin nicht sicher.« Plötzlich wirkte er viel jünger als gerade eben. Und verletzlich. »Ich bin vor einem Tag in dieser Umgebung aufgewacht. Genau wie du. Ich kannte meinen Namen, aber sonst war da nichts.«
Jenna konnte das gut nachfühlen: Auch ihr Kopf war eben noch wie ein leerer Raum gewesen, dessen Wände weiß gestrichen waren und in dem es keine Möbel, Bilder oder Teppiche gab. Nichts. Nur Fragen, auf die sie keine Antwort wusste.
Wie komme ich hierher? Ich kenne diese Umgebung nicht, also bin ich fremd hier, aber wie kann es sein, dass ich an einem unbekannten Ort erwache, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen bin?
Warum war ich nackt? Woher kommt die Kleidung? Warum passt sie mir, als wäre sie meine?
Mit jeder Minute, die sie weiter darüber nachgrübelte, wurde Jenna verwirrter.
»Genau wie du habe ich den Rucksack mit Kleidung, Essen und einer Trinkflasche mit Wasser gefunden«, sprach Jeb weiter.
Jennas Magen knurrte bei diesen Worten, aber wenigstens wusste sie jetzt, dass sich etwas zu essen in ihrem Rucksack befand.
»Zunächst geschah gar nichts.« Er fasste sich ans Kinn, rieb mit der Hand über seine glatten Wangen. »Ich… ich erinnere mich nicht an viele Dinge aus meinem Leben, aber das, woran ich mich erinnere, gibt es hier nicht.«
»Zum Beispiel?«
»Ein Motorrad. Eine schwarz lackierte alte Harley Davidson Indian. Wuchtig, mit einem verblichenen braunen Ledersattel. Ich glaube, sie hat mir gehört.« Er wandte sich zu ihr um, ging aber ohne Pause weiter. »Weißt du, was ein Motorrad ist?«
»Ja.« Plötzlich hatte Jenna ein Bild vor Augen. Ja, sie erinnerte sich daran, wie ein Motorrad aussah. Sie schöpfte etwas Hoffnung. Den Gedanken, dass alles nur ein Traum sein könnte, hatte sie längst verworfen. Niemand, der träumte, spürte die Wanderstiefel so deutlich an der Ferse scheuern. Nein, das hier war anders. Kein Traum. Wie auch immer sie hierher geraten war, sie musste einen Weg zurück nach Hause finden, wo immer das auch sein mochte. Bei dem Gedanken wurde ihr beinahe schwindlig.
Jeb streckte einen Arm nach vorn. »Siehst du hier irgendwo eine