Rose of India. Eveline Keller
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Sein Kopf lag in den Ansätzen, des geplanten Kneipp-Wasserbeckens, in dem sich vom verregneten Wochenende Wasser angesammelt hatte. Im Tod hatten sich seine Züge entspannt, sein Mund, ein blutiges Loch, die Zähne eingeschlagen und seine zugeschwollenen Augen waren dünne Schlitze, auf die Amber hinabsah, um ihn herum, schwamm wie ein Heiligenschein Blut und Erbrochenes.
Routinemäßig prüfte sie seinen Puls. Vielleicht war er zum Vampir mutiert, dachte sie und stürzt sich auf ahnungslose Kommissare. Sollte sie sich einen hölzernen Pfahl sichern, den man ihm notfalls durchs Herz treiben konnte, bevor er biss? Half das überhaupt? Michael Jacksons Thriller drängte sich in ihre Gedanken und sie schauderte. Es fühlte sich wie ein Temperatursturz an und die andächtige Stille auf der großen Baustelle, des Familien-Wellnesscenters Sunny Beach trug das ihre dazu bei. Wo sonst Lastkräne surrten, eifrig gehämmert, gerufen und gebohrt wurde, war nur das Scharren von zwei Dutzend Füßen zu hören. Die Arbeiter standen im Halbkreis um sie herum, ihre Hände bedrückt gefaltet, die Schultern gekrümmt. Wie bei einem Feldgottesdienst, nur der Pfarrer fehlte und das signalfarbige Absperrband der Polizei passte auch nicht ins Bild.
Der Polier hatte am Morgen aufgeschlossen.
„Da habe ich nichts Auffälliges bemerkt. Der Elektrikerlehrling hat ihn erst um halb neun Uhr entdeckt, hinten im Saunabereich. Da arbeitet im Moment keiner“, gab er zu Protokoll, während er versuchte an der Leiche vorbeizuschauen, was ihm nicht gelingen wollte.
Kommissarin Glättli richtete sich zu ihrer ganzen Größe von Eins neunundfünfzig auf, stellte sich wippend auf die Zehen, schob ihr Kinn vor und musterte jeden der Reihe nach. Keiner wagte, mit dem Mundwinkel zu zucken. Aufmerksam verfolgten sie jede ihrer Bewegungen in der ungewöhnlichen Aufmachung. Die konnten lange schauen, das war ihr sowas von egal.
Zugegeben, die Fischerstiefel wären für die Pfütze nicht nötig gewesen, so waren von ihr nur noch die Schultern und das Kinn zu sehen. Der Rest ihres Körpers ertrank in der Gummihülle, die ihr bis zum Brustbein reichte und oben mit einem Schutzhelm abschloss. Sie sah aus wie ein Michelin-Männchen. Als sie von der Leitstelle informiert wurde, den Fall des Ertrunkenen ‚AgT‘ –, Kürzel für außergewöhnlichen Todesfall – , zu untersuchen, hatte sie nicht ahnen können, dass sie dazu nicht bis zur Brust im Wasser stehen musste, sondern das kühle Nass gerade mal ihre Knöchel erreichte. Aber sich hier vor allen Leuten aus dem Gummi-Zeug zu schälen, das war ihr zu peinlich.
Der Polizist im Bereitschaftsdienst meldete ihr im Fachjargon er habe das ganze ‚Rösslispiel‘ aufgeboten, das heißt Wissenschaftlicher Dienst für die Spurensicherung, den Bezirksarzt, der den Totenschein ausstellen soll und den verantwortlichen Staatsanwalt. Sie alle trafen nun nach und nach ein.
Kommissarin Glättli nannte man hinter vorgehaltener Hand das ‚Katapultgeschoss des Gesetzes‘. Damit spielten die Kollegen auf ihren gut gepolsterten Körper an. Ihr entlockte dies nur ein müdes Lächeln: „Alles purer Neid.“
Mit zäher Hartnäckigkeit hatte sie mit der Zeit den Kollegen Respekt abgerungen. Ihre Größe hatte dabei wenig geholfen, auch wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte. Ihr Hintern schwang luftig beim Gehen, und mit ihren schnellen Beinen hatte sie auch schon manchen Ausreißer eingeholt. Im richtigen Kleid konnte sie manch bewundernden Blick einfangen. Was wollte sie mehr. Sie sah keinen Grund, warum sie auf ihre geliebten Schokoriegel und Cremeschnitten verzichten sollte.
Ihre schwarzen Haare reichten bis zum Kinn und federten bei jeder Bewegung hin und her. Sie pflegte es länger zu tragen, und früher hatte sie auch mal mit Dauerwelle und Strähnchen experimentiert. Mit dem neuen Haarschnitt wirkte ihr Gesicht zart, was durch die Sommersprossen unterstrichen wurde. Die waren ihre wahre Geißel. Sie ergossen sich über ihren gesamten Oberkörper. Was die einen in Entzücken versetzte, nannten andere Fliegenscheiße und sie selbst hasste sie abgrundtief, wie das nur jemand tut, der deshalb während der Schulzeit gnadenlos gehänselt wurde. An schlechten Tagen griff sie deswegen tief in die Schminkkiste. Wegen ihres frischen Aussehens wurde sie mit ihren fünfunddreißig Jahren oft mit „Fräulein“ oder „Kindchen“ angesprochen, was sie nicht ausstehen konnte.
Nun winkte sie Tom, den Fotografen, herbei: „Bitte mach mir ein paar Aufnahmen von der Zufahrt und bis hierher, von allen Seiten, und ein Porträt.“
Tom nahm mit zugekniffenem Auge Maß: „Mal sehen, ob ich ihm ein Lächeln entlocken kann“, und machte sich ans Werk.
Auch Amber begann ihre Arbeit, zog sich Einweghandschuhe über und untersuchte die Leiche nach Spuren, die etwas über das Ableben verraten würden. Die Totenstarre hatte sich bereits wieder gelöst, er musste länger als sechs Stunden da liegen, der Mediziner würde das genauer schätzen können. Trotz der erheblichen Verletzungen am Kopf, deutete alles daraufhin, dass der dunkelhäutige Mann in den wenigen Zentimetern Wasser ertrunken war. Was eine Maus problemlos schaffte, kam bei jemandem mit dem Körper eines Marathonläufers, der obendrein beide Hände frei hatte, einem Kunststück gleich.
„Hm, hm, hm“, murmelte sie, und ging nahtlos in ein Summen über, eine ihrer Marotten. Der Ton schwoll an und wieder ab, je nachdem, was sie entdeckte.
Der Tote war zirka ein Meter fünfundachtzig groß, hatte lange, dünne Glieder und seine schwarze Haut glänzte mit dem seidenen Anzug um die Wette. Seine Füße steckten in hellen Slippers aus weichem Ziegenleder. Für einen Geschäftsmann wies er zu viele Narben auf und ein Asylsuchender war er wahrscheinlich auch nicht, dafür trug er zu teure Kleider.
Bilder stiegen in Amber hoch: Piraten in wehenden Gewändern rannten auf sie zu. Ihr brach der Schweiß aus, als sie den Vorspann ihres Alptraumes erkannte. Ein Déjà-vu, ausgelöst durch den Fremden. Sie blickte prüfend in sein aufgedunsenes, verformtes Gesicht, konnte aber nicht mit Bestimmtheit sagen, ob sie ihn erkannte. Andererseits, die Narbe…
Um Ablenkung bemüht, sah sie sich nach ihrem Assistenten um: „Serge, halt mir bitte mal das Aufnahmegerät. Danke. Die Totenstarre hat sich gelöst. Druckstellen am Hals, zu schwach für Würgemale, schwere Verletzungen in Gesicht und am Kopf, mehrere Zähne ausgeschlagen, Nase gebrochen und Kiefer, Lippen aufgesprungen, Schwartenrisse links und rechts der Jochbögen, Stirn und linker Wangenknochen. Die Art der Verletzungen deutet auf Fußtritte oder Schläge mit einem stumpfen Gegenstand hin. Am ganzen Körper Kratzer, Prellungen und Schürfungen. Fremdeinwirkung wahrscheinlich. Von seiner Lage zu urteilen, würde ich sagen: Er ist bis zum Wasserbecken auf allen Vieren gekrochen und hier zusammengebrochen.“
Langsam lösten sich ihre inneren Schatten auf.
„Das war‘s. Die Analyse der Spuren durch den Wissenschaftlichen Dienst wird uns mehr Klarheit geben und Reuven von der Rechtsmedizin wird uns nach der Obduktion der Leiche mehr zur Todesursache sagen können.“
Die Kommissarin arbeitete mit Serge seit über zwei Jahren. Seine übermotivierte Spring-ins-Feld-Attitüde hatte er nicht ohne zu murren aufgegeben. Doch inzwischen waren sie meist recht gut aufeinander eingestellt, nur ab und zu gab es Diskussionen. Sie schätzte an ihm seine Flexibilität und musste zugeben, dass ein Kollege mit seiner Größe manchmal ganz praktisch war.
Sie entledigte sich ihrer Gummifinger und machte Platz für die Spezialisten in den weißen Anzügen, die jedem Haar und jedem Staubkorn nachgehen würden. Keine beneidenswerte Arbeit an einem Tatort wie diesem. Gleich vor Ort begannen sie mit dem Vernehmen der Zeugen. Zuerst der Polier, der respektvoll den Helm abnahm, wodurch ein Schweißring mit verklebten Haaren sichtbar wurde, was sie wünschen ließ, er