Rose of India. Eveline Keller
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„Dann ist es abgemacht!“, beschloss Dumont. „Am besten, du holst Carlson um neun Uhr dreißig im Hotel Ramada ab. Wir treffen uns dann zum Lunch mit Kunz, so um dreizehn Uhr. Und Maler, sei pünktlich, ja, und bind dir eine Krawatte um, ich will mich nicht blamieren.“
Das ihm! Es gab vieles, was man ihm nachsagen konnte, aber sicher nicht taktloses Verhalten. Das traf besser auf die Geldgeber für solche Projekte zu, die wurden leider nicht nach Sympathiepunkten ausgewählt. „Ist noch was? Ich muss weiter.“
Er war im Begriff einzuhängen, als Dumont fragte: „Mir ist da was von einer Leiche auf dem Bau zu Ohren gekommen. Warum sagst du mir nichts davon?“
„Uh, oh, daaas! Hat sich nahezu erledigt, drum. Ein Unfall! Die Kripo packt gerade zusammen, die Kommissarin ist eine alte Freundin von mir. Reine Routine.“
„Wie kann so was passieren? Ich muss dir hoffentlich nicht sagen, dass das nicht gut fürs Geschäft ist. Schau zu, dass nichts an die Presse durchsickert. Hörst du! Ein Toter kann dem Wellnesscenter einen bleibenden Imageschaden bereiten - der klebt wie Hundekacke, und den Gestank wird man nicht los.“ Ohne ein weiteres Wort hängte er ein.
Einer der Vorteile auf dem Bau war, dass man sich ungeniert Luft verschaffen konnte, wenn einem danach zumute war. Keiner fühlte sich deswegen bedroht. David versetzte der nächsten Holzwand ein paar Fußtritte und fluchte alle Heiligen vom Himmel herab. Hatte er nicht schon genug Ärger? Nun durfte er morgen den Schweden herumführen wie ein Chorknabe, und dann diese Kommissarin… Die Einzige, bei der ihm sein Charme im Hals stecken blieb, weil er aus unerklärlichen Gründen für sie weniger als Luft zu sein schien. Er zweifelte, ob sie aus Fleisch und Blut war, sie war steif wie ein Androide.
Der Vergleich war witzig, er verzog seine Lippen zu einem Lächeln, was kläglich misslang. Er war müde.
4.
Im Büro angekommen blickte David selbstbewusst, vom zweiten Obergeschoss des Verwaltungstraktes aus über die Baustelle. Er hatte die Pläne im Kopf: Vorne die imposante Eingangshalle, dahinter erkannte das geübte Auge bereits das Schwimmbecken und rechts war der Durchgang zur Saunalandschaft.
Seit dem Tod von Jessica hatte ihm sein Schwiegervater die Unterstützung aufgekündigt. Und machte nun keinen Hehl mehr daraus, dass er David als Bauführer beim Wellnesscenter-Projekt für eine Fehlbesetzung hielt. Damit bildete er eine unheilige Allianz mit Dumont. Sie unterstellten ihm, ein Bau dieser Dimension sei eine Nummer zu groß für ihn, sahen in seiner Art, immer vor Ort zu sein, Führungsschwäche und warfen ihm vor, sich lieber mit Handwerkern zu unterhalten als mit den Finanziers.
Wenn sie erwarteten, dass er ihnen den Hintern wischte, würden sie eine herbe Enttäuschung erleben. Er seufzte abgrundtief. In Augenblicken wie diesen sehnte er sich nach einer Tätigkeit, wo man abends sah, was man geleistet hatte, anstelle des des endlosen Schreibkrams. Nur Maria, seine Mutter sah es lieber, wenn er sich die Hände nicht schmutzig machte.
Es würde ihm immer ein Rätsel bleiben, weshalb sie seinen Vater, einen Tyrannen und Alkoholiker, geheiratet hatte. Schon bald nach der Hochzeit verging ihr das Lachen. Sie lebten zurückgezogen und im ständigen Bemühen, nicht aufzufallen. Ihr Sohn war ihr einziger Sonnenschein, ihr ein und alles, als Ausgleich zur Gefühlskälte ihres Mannes. So überschüttete sie David mit ihrer Liebe.
Sie litt unter der krankhaften Eifersucht des Vaters, der durch sein ausuferndes Trinken immer aggressiver wurde und seine Frau für die kleinste Unregelmäßigkeit schlug. Bis zu jenem Sommertag. David lag auf dem Boden neben seinem Plattenspieler und sang mit Adriano Celentano aus voller Kehle mit. Das war der Grund, weshalb er das berstend einer Flasche überhörte, das war die Einleitung für den heraufziehenden Streit. Als ein umstürzendes Möbelstück den Boden erschütterte, stellte er seinen Plattenspieler leiser und nun konnte er seine Mutter schreien hören. Dazwischen ertönte das Gebrüll des Vaters, der anstelle des Frühstücks seine Kaffeetasse mit Kirsch gefüllt hatte, etwas anderes blieb nicht in seinem Magen. „Ich kenne deinesgleichen! Du tuschelst hinter meinem Rücken mit der Nachbarin. Dann schaut mich der Kleine so an mit seinen schwarzen Augen, dass es einem anders wird, dämonisch sag ich! Ein Satansbraten, … verziehst ihn viel zu sehr“, lallte er im Wahn. „Eines Tages steckt er mir ein Messer in den Rücken – wirst schon sehen. Wie Brutus dem Cäsar. Ja – der war auch so ein Italiener. Alles Mafiosi.“
David kam ihr zu Hilfe, und wie er sah, dass sie sich verstohlen das Blut von der Lippe tupfte, stellte er ihm mutig seine hundertzehn Zentimeter entgegen. „Lass Mama in Ruhe!“, drohte er mit Pieps-Stimme.
„Was willst du denn, du Hosenscheißer!“, donnerte sein Vater. „Ich lasse mir doch von dir nicht auf der Nase herumtanzen.“
Ein Schubs von ihm und David flog in die Ecke. Der rappelte sich auf und stürzte sich mit so viel Wut auf ihn, dass der Vater auf seinem Allerwertesten landete. Auf Davids Augenhöhe hämmerte er mit seinen kleinen Fäusten auf ihn ein, bis der Vater ihn zu fassen kriegte und zuschlagen wollte. Ein Gongschlag ertönte, der Vater verdrehte die Augen und kippte um. Über ihm stand Maria, in der Hand die gusseiserne Bratpfanne.
„Basta!“, meinte sie und schlug das Kreuz. Das wirkte wie ein Befreiungsschlag, von da an fasste sie mehr Selbstvertrauen und begann sich zur Wehr zu setzen. Und auch Vater sah sie mit einer Mischung aus Misstrauen und Respekt an, er erinnerte sich zwar nicht genau was geschehen war, aber seine Handgreiflichkeiten versiegten.
Als er dann an seiner kranken Leber starb, trugen es die Hinterbliebenen mit Fassung. Sie hatten eine kleine Rente, die für ein bescheidenes Leben reichte. David lud gerne seine Freunde ein, und seine Mutter liebte es, sie wie eine große Familie zu bekochen. Verglichen mit früher, war ihr Leben danach eine einzige große Party.
Entgegen dem Wunsch seiner Mutter lernte er Maurer, hängte dann noch ein Studium an der Technischen Hochschule dran, was sie freute. Doch als er von seinem Wunsch erzählte, den Rest der Welt zu entdecken, kam es für sie etwas zu überraschend.
Er würde noch heute im Ausland leben, hätte ihn nicht damals die Nachricht erreicht, dass seine Mutter schwer erkrankt war. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass sie allein seine Familie war und eines Tages nicht mehr da sein würde. Er lieh sich von seinen Freunden Geld für den Rückflug. Und als seine Mutter nach drei Wochen das Krankenhaus verlassen konnte, beschloss er, in ihrer Nähe zu bleiben.
David wandte sich vom Fenster ab und musterte seinen Arbeitstisch. Seine Träume von einer eigenen Familie waren zunichte. Es lag nun über ein halbes Jahr zurück und er wartete noch immer auf den Tag, an dem das Gefühl, schuld an Jessicas Tod zu sein, verblassen würde. Manchmal hielt er mitten im Reden inne, weil ihn etwas an sie erinnerte. Er saß dann da und spürte wie eine kalte Hand nach ihm griff.
Wann würde das endlich aufhören?
5.
Amber kehrte zurück in ihr Büro. Ihr, vier mal fünf Meter, mit Normmöbeln der Verwaltung eingerichtetes kleines Reich, mit PC, Drucker und schnurlosem Telefon, einem schwarzen Drehstuhl und drei Orchideentöpfen, rosa, weiß und lila, die vor dem Fenster in den Hof standen.
Sie schloss die Tür und lehnte sich erleichtert daran. Endlich! Ambers bebendes Kinn sank auf die Brust, die Schultern ließ sie fallen, verschränkte ihre Arme und versuchte den Aufruhr in ihrem Innern zu stoppen. Hoffentlich hatte es niemand bemerkt. Am liebsten wäre sie in ihren Fischerstiefeln versunken. Die Begegnung mit David hatte Vergangenes wachgerufen, das sie längst abgehakt