Rose of India. Eveline Keller
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„Vielleicht hat er mal nach Arbeit gefragt? Denken Sie nach!“
„Nein, der wäre mir bestimmt aufgefallen.“
Sie notierte sich seine Adresse und wandte sich dem Nächsten zu, einem großen, schlaksigen Jungen mit Pickelgesicht. Es war der Lehrling der Elektrofirma, der den Toten gefunden hatte, und der seiner wichtigen Rolle entsprechend, cool wirken wollte:
„Ich rief ihm noch zu: ‚Die Pfütze reicht aber kaum für eine Abkühlung‘, im Sommer wird es auf dem Beton heiß wie in einer Bratpfanne, darum glaubte ich, er …“, der Junge schluckte. „Doch er regte sich nicht, also stupste ich ihn mit dem Fuß an und merkte erst da, wie unheimlich still er war.“ Ein Stimmbruch kippte und nun quiekte er, dass es in den Ohren schmerzte. „Da ging ich den Chef rufen.“
Er brach von Emotionen überschwemmt ab. Amber legte ihm tröstend den Arm um die Schultern.
„Das hätte jeden erschreckt. Sie haben genau das Richtige getan.“
Steif nickend wandte er sich mit feuchten Augen ab. Dann sah er sie fragend von der Seite an, als fürchtete er, bei ihrer nächsten Frage in Tränen auszubrechen.
„Danke, wir melden uns, wenn wir noch Fragen haben.“
Mit Schultern, die unter der Last der Erwachsenenwelt zusammenzubrechen drohten, ging er davon.
„Was ist hier los? Was macht ihr da?“, bellte eine Stimme die Anwesenden an und zog die Aufmerksamkeit auf sich. Ambers Stirn kräuselte sich, zu einer steilen Falte über ihrer Nase. Die Art, wie der Näherkommende sich bewegte kam ihr bekannt vor. Außer John Wayne kannte sie nur einen, der die Hüften so versteifte, wobei die Beine vorausgriffen, als ob das, was dazwischen hing, besonderen Schutz erforderte. Ihr Blick tastete ihn ab.
Seine Gesichtsfarbe glich Spülwasser, sein Mund verkniffen und anstelle der Grübchen hatte er nun Furchen. Die Lachfältchen um die rotunterlaufenen Augen stammten aus einem anderen Leben. Gereizt schob er eine Locke aus der Stirn und musterte die Männer. Der coole Individualist, mit der animalische Anziehungskraft war verblast. An seiner Stelle stand ein Typ, der Stahl fressen würde, sodass ihr der freundliche Gruß im Hals stecken blieb. Er war breiter geworden.
David Malers Auftritt ließ keinen Zweifel daran, wer hier der Boss war. Und Amber wurde plötzlich peinlich bewusst, wie sie aussah. Sie wünschte, sie hätte sich heute Morgen mehr Zeit vor dem Spiegel genommen. Obwohl von ihrer Bluse und den Dreiviertelhosen sah man nichts in den Fischerstiefeln, mit dem Helm obenauf.
Maler schaute um sich und schnauzte: „Ihr da! Warum steht ihr rum wie bestellt und nicht abgeholt? Wisst ihr, was das kostet?“ Er fixierte einen nach dem anderen, als könnte er an ihren Gesichtern die Ausgaben abschätzen.
Eine weitere Verzögerung des Baus konnten sie sich unmöglich leisten. Sie lagen im Terminplan bereits zurück, statt Januar würde man erst im April eröffnen können, und das auch nur, wenn alle Überstunden einlegten. Er wedelte mit der Hand in Richtung des Toten: „Packt den mal weg. Die Sorte kann ich eh nicht leiden, egal ob tot oder lebendig.“
Sein rüder Ton verschlug Amber kurz die Sprache. Sie trat vor. Er blickte sich jedoch suchend um, hatte sie als Hilfskraft abgetan und winkte stattdessen Assistent Serge heran. Der entsprach offensichtlich eher seiner Vorstellung eines Untersuchungsleiters mit seinen eins fünfundneunzig und hundert Kilo Lebendgewicht.
„Hey, Sie da, sind Sie der Zuständige der Kripo?“
Serge beugte sich zu seiner Chefin hinab: „Alles klar, Frau Kommissar?“
Amber zischte verächtlich, schoss wie eine Ballerina auf die Zehenspitzen und war nun knapp auf Davids Augenhöhe.
„Kommissarin Glättli. Wir, äh, … kennen uns!“, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
Die übersah er, und schaute sie verdutzt an.
„Von der Kreuzfahrt. Horn von Afrika.“ Sie stellte sich wieder auf ihre Fußsohlen, was sie ein paar Zentimeter an Höhe einbüßen ließ, aber nun hatte sie seine volle Aufmerksamkeit. „Ich leite die Untersuchung und hier räumt niemand was weg, bevor die Spurensicherung ihre Arbeit beendet hat.“
„So! – Aaaha!“
Der lang gezogene Ausruf bestätigte seine Vorahnung von heute Morgen, als eine schwarze Katze seinen Weg kreuzte. Er befürchtete, dass er vom Pech verfolgt werden würde. Der Beweis stand vor ihm. Die halbe Portion, die die schlechte Angewohnheit hatte, in den ungnädigsten Momenten in sein Leben zu platzen, alles aus den Angeln zu heben und dann spurlos zu verschwinden.
Sie war Kommissarin, das erklärte manches. Unter anderem, weshalb sie alles besser wissen musste. Und Mannweiber, die ständig beweisen wollten, wie hart sie im Nehmen waren, konnte er noch nie leiden. Er hatte sie nicht wiedererkannt. War das ihre Uniform?
„Was suchst du hier? Dass du dich mir überhaupt unter die Augen traust! Nie gelernt, dich anständig zu verabschieden, hm? Schlechte Kinderstube! Was soll der giftige Blick? Habe ich einen wunden Punkt getroffen?“, blaffte er sie an. Und weiter: „Oh, entschuldige, du bewegst dich ja in höheren Sphären. Rettest Menschen in Not, oder war es die Welt? Spielst dich zum Gewissen der Nation auf, aber selbst hast du keines!“ Das hielt er ihr in voller Lautstärke vor. Nun wusste es auch der Hinterste und Letzte
„Reißen Sie sich zusammen, ja, bitte! Sie sind mir grad der Richtige! Und mein Privatleben interessiert hier keinen“, zischte sie. Was nicht stimmte, denn alle spitzten die Ohren. „Ich bin hier, um den Todesfall zu untersuchen.“
„Kennen Sie den Mann? Schauen Sie ihn genau an. Haben Sie ihn schon mal gesehen?“
In David sträubte sich alles, seine Abneigung dem Toten gegenüber war fast körperlich. Schweiß brach ihm aus. Zu sehr sah er jenen Piraten ähnlich, die Jessica auf dem Gewissen hatten, und der Schmerz über ihren Tod übermannte ihn von Neuem. Jessica, wie sie verärgert weglief. Der Schlag, als die Kugel ihren Körper traf. Ihr erstaunter Blick.
Aufgewühlt schüttelte er den Kopf, um die Bilder zu verscheuchen. Die Narbe auf seinem Unterarm, wo ihn das Projektil gestreift hatte, juckte. Er starrte auf den stillliegenden Mann zu seinen Füssen und ihm wurde schlecht. Galle stieg in ihm auf und er schluckte krampfhaft, wollte den Toten mit dem Fuß wegstoßen. Als hätte Amber es geahnt, schnellte ihre Hand vor.
„Unterstehen Sie sich!“
Das reichte. Nur weg hier oder er musste kotzen. Unwirsch riss er sich los.
Sie ließ nicht locker: „Na? Kennen Sie ihn?“
„Ich kann es nicht sagen.“
Warum stand sie so nah bei ihm? Er fühlte wie sein Blut im Bauch klopfte und sein Gesicht brannte. War das der Beginn eines Herzinfarktes oder spielten seine Hormone verrückt?
Fahrig strich er sich das Haar zurück und meinte müde: „Räum ihn weg, schnellstmöglich, ja. Wenn noch Fragen sind, ich bin in meinem Büro“, und ging.
Amber