Ferien Lesefutter Juni 2019 - 5 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland
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„Großer Gott!“, stöhnte Dr. Härtling, als er sämtliche Befunde vorliegen hatte, die ihm schwarz auf weiß bestätigten, was er eigentlich schon längst wusste.
Bei der Leukämie - Blutkrebs nennt der Volksmund diese heimtückische und gefährliche Krankheit - steigt die Zahl der weißen Blutzellen von normalerweise 6000 bis 8000 auf viele Hunderttausende im Kubikmillimeter Blut an, und dementsprechend wuchert das die weißen Blutkörperchen erzeugende Gewebe, wobei diese uferlose Vermehrung auf Kosten der roten Blutkörperchen geht, denn in dem Maße, wie unaufhaltsam weiße Blutkörperchen produziert und in den Blutstrom geworfen werden, geht die Produktion der roten dramatisch zurück.
Als Dr. Härtling den Großeltern eröffnete, was die gründliche Untersuchung ihrer siebzehnjährigen Enkeltochter ergeben hatte, brach Barbara Brauneder zusammen.
Claudia Meeles, die Betroffene selbst, ertrug die Nachricht mit unglaublicher Fassung. Dr. Härtling hatte den Eindruck, dass sie ihn nicht richtig verstanden hatte.
Begriff sie die Tragweite dessen nicht, was er gesagt hatte? Sie saß so gefasst vor ihm, als würde das alles jemand anderen betreffen. Einen Menschen, den sie nicht kannte, den sie noch nie gesehen hatte. Sicher, ein solches Schicksal ist immer traurig, wen immer es auch trifft, aber warum erzählte der Klinikchef ihr das?
Er erklärte ihr, was man alles tun könne, um ihr zu helfen, sprach von der Strahlentherapie, deren Ziel es sei, möglichst viele Leukämiezellen zu zerstören. Dies ließe sich sowohl durch eine lokale Strahlenanwendung als auch durch eine Ganzkörperbestrahlung erreichen.
Sie nickte zustimmend. Aber hörte sie ihm auch wirklich zu? Dr. Härtling erwähnte die intravenöse Zufuhr von Radionukliden zur Bestrahlung von innen. Und sie nickte wieder. Aber sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Jemand war krank. Bedauerlich. Schrecklich. Doch was hatte sie damit zu tun? Sie hörte von einer Chemotherapie der Leukosen mit Zystostatika und Gorticosteroiden. Medizinisches Kauderwelsch. Weshalb sollte sie sich damit belasten?
Dr. Härtling ließ das Dilemma, das immer das Gleiche war, unerwähnt: Wurde zu schwach behandelt, blieb die Rückbildung der weißen Blutkörperchen aus, wurde zu intensiv therapiert, ging das Knochenmark ein.
Ein grausamer Tod streckte nach diesem jungen, hübschen Mädchen, dessen Leben gerade angefangen hatte, seine knöchernen Klauen aus, doch sie schien nicht die geringste Angst vor ihm zu haben.
19
Einer von Philomenas Zierfischen war eingegangen und schwamm nun mit dem roten Bauch nach oben im Wasser. Jo Dengelmann holte ihn mit einem kleinen Netz aus dem Aquarium, verhalf ihm zu einer Wasserbestattung, indem er ihn im Klo hinunterspülte, und kaufte anschließend einen anderen, der genauso aussah wie sein Vorgänger und hoffentlich gesünder war und länger leben würde.
Paulchen Tassler, der Transvestit, der zur Zeit wegen Diebstahls einsaß, würde den fliegenden Wechsel nicht merken.
Dengelmann traf Bongo wieder in dessen Stammkneipe. Der Vierschrötige hatte eine mächtige Schlagseite und sprach mit schwerer Zunge undeutlich dummes Zeug. Obwohl er eigentlich bereits genug getankt hatte, hatte er gegen einen weiteren doppelten Korn nichts einzuwenden, solange jemand anders ihn bezahlte.
„Einer geht noch“, grölte er und legte grinsend den Arm um Jo Dengelmanns Schultern. „Einer geht noch rein ... Einer geht noch. Einer geht noch reeeiiin ...! Prost, mein Junge!“ Er hob sein Glas. „Der edle Spender lebe hoch!“ Er stieß mit Dengelmann an und kommandierte: „Hau wech!“ Dann setzte er das Schnapsglas an die Lippen und trank den Hochprozentigen mit einem Schluck. „Du kommst mir heute wie gerufen, Kamerad. Ich bin gerade dabei, Heike schönzusaufen. Heike. Du weißt schon. Die mit dem Silberblick, der langen Nase, Zähne und den Säbelbeinen. Ich treffe sie in einer Stunde.“ Er musterte Jo Dengelmann mit seinen glasigen Augen. „Jeanette schon gefunden?“
„Nein.“Jo Dengelmann schüttelte frustriert den Kopf.
„Warst du im Schmalztopf?“
„Fünfmal schon.“
„Na, so was“, lallte Bongo. „Die Kleine kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“
„Hast du nicht noch ’ne Adresse für mich?“
Bongo kratzte sich am kahlgeschorenen Hinterkopf.
„Müsste ich nachdenken.“
„Dann denk nach.“
Bongo hob grinsend sein leeres Glas. „Ohne Sprit?“ Er bekam von Jo einen weiteren Doppelten. „Wenn ich richtig informiert bin, hatte sie bis vor kurzem was mit einem Saxophonisten aus dem Ciao“, sagte der Tätowierte. „Vielleicht kann der Knabe dir weiterhelfen.“
„Wie ist sein Name?“
Bongo lachte schnarrend.
„He, du willst aber verdammt viel für ’nen lumpigen doppelten Korn wissen. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie der Typ heißt, aber du kannst davon ausgehen, dass sie im Ciao nur einen einzigen Saxophonisten haben.“
Jo schlug mit der flachen Hand auf Bongos breiten Rücken.
„Na, dann verschluck dich mal nicht, und viel Spaß mit Heike!“
Bongo machte eine wegwerfende Handbewegung. Jo wollte das Lokal verlassen. Bongo griff nach seinem Arm und hielt ihn fest. Seine Finger drückten wie Eisenklammem zu.
„Was denn! Was denn!“, maulte er. „Du willst doch nicht etwa schon gehen?“
„Doch.“
„Und wohin?“
„Ins Ciao.“
Bongo griente listig.
„Ich hab’ vielleicht noch ’nen Tipp für dich. Für ’n doppeltes Körnchen, versteht sich.“
„Ein andermal“, erwiderte Jo. „Ich prüfe erst mal nach, was der heutige wert ist.“
Bongo ließ ihn los, und er ging. Zehn Minuten später betrat er das Ciao. Es gehörte einem glutäugigen Sizilianer. Als Tourist musste man in diesem Laden sehr vorsichtig sein, wenn man nicht nach Strich und Faden betrogen werden wollte. Wer nicht jede Bestellung sofort bezahlte, fand hinterher mit Sicherheit mehr auf der Rechnung, als ihm serviert worden war, und wenn er nicht nachprüfte, ob das Mädchen, das er zu einem teuren Drink eingeladen hatte, tatsächlich das Bestellte trank, trank es Apfelsaft statt Whisky und Mineralwasser statt Champagner.
Ein schwarzhaariges Mädchen pirschte sich mit den Bewegungen einer Raubkatze an Jo heran. „Na, Großer. So allein?“
„Bist du neu hier?“
„Sieht man das?“ Sie ließ die Hände über ihre atemberaubende