Ferien Lesefutter Juni 2019 - 5 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland
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„Sie und Ihre Familie“, erwiderte die grauhaarige Ottilie schmunzelnd.
„Meinen Sie es nicht etwas zu gut mit uns?“
„Was vom Blechkuchen übrigbleibt, serviere ich morgen zum Frühstück.“
Dr. Härtling seufzte leise. Ottilie kochte so hervorragend, dass er sich permanent vorsehen musste. Noch war er - dank seiner eisernen Selbstdisziplin - schlank, aber wenn er nicht weiterhin wachsam war, bestand die Gefahr, dass die tüchtige Haushälterin ihm die ersten Fettpölsterchen an die Rippen kochte.
„Wie geht es meiner Frau?“
„Bestens. Ich habe darauf geachtet, dass sie sich schont.“
„Sehr brav.“
Der Klinikchef ging ins Wohnzimmer und begrüßte seine Familie, und es freute ihn zu sehen, dass seine Frau wieder so gut wie stets aussah.
Die zehnjährige Josee und der vierzehnjährige Tom waren mal wieder konträrer Meinung. Sören ließ sie’s ausdiskutieren. Er mischte sich nicht ein, ergriff weder für den einen noch für den anderen Partei. Der achtzehnjährige Ben war an diesem Abend aus irgendeinem Grund nicht besonders gut drauf, hüllte sich in mystisches Schweigen und wollte in Ruhe gelassen werden, und seine Zwillingsschwester erzählte von ihrem Tennismatch gegen Claudia Meeles, das sie haushoch gewonnen hatte.
Im Großen und Ganzen war es ein Abend wie jeder andere im Hause Härtling. Ottilie bat eine halbe Stunde später zu Tisch und servierte das Essen. Und da Josee und Tom ihre Differenz noch immer nicht beigelegt hatten, sagte Jana Härtling zu ihrem Mann: „Ich bitte dich, Sören, sprich ein Machtwort, damit dieses nervende Gezänk endlich aufhört.“
„Schluss jetzt“, sagte Dr. Härtling in autoritärem Tonfall, und Josee und Tom verstummten.
7
Jo Dengelmann fütterte in Paul Tasslers Apartment die Fische. Die Wohnung schien von einer Frau eingerichtet worden zu sein. Ein Zierkissen hier, ein Spitzendeckchen da, ein Püppchen dort. Wenn jemand die Kosten für eine Geschlechtsumwandlung übernommen hätte, hätte Paulchen Tassler keine Sekunde gezögert, sie an sich vornehmen zu lassen, denn er sah zwar - unbekleidet - aus wie ein Mann, aber er fühlte nicht so. In den Schränken hingen fast ausschließlich Frauenkleider.
Philomena besaß Perücken in den verschiedensten Haarfarben, französische Dessous und Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen. Jo Dengelmann war sicher, dass er sich das Genick gebrochen hätte, wenn er damit hätte laufen müssen. Dass Paul zur Zeit im Gefängnis Männerkleidung tragen musste, war für ihn eine zusätzliche Strafe.
Nachdem Jo die Fische gefüttert hatte, schaltete er den Fernsehapparat ein. Werbung. Jo stöhnte und schaltete den Ton ab. Es interessierte ihn nicht, welches Waschmittel mit verbesserter Formel noch weißer wusch, welches geniale Putzmittel noch blanker scheuerte, welche intelligente Schönheitscreme das Altem der Haut noch mehr hinauszögerte ...
Das Telefon läutete. Jo meldete sich. Am anderen Ende war ein Mann.
„Philomena?“
„Philomena ist nicht da.“
„Nicht da? Wann kommt sie nach Hause?“
„Nicht so bald“, antwortete Jo Dengelmann wahrheitsgetreu. „Sie ist verreist.“
„Schade. Ich bin nur heute und morgen in Hamburg, und da dachte ich, Philomena hätte vielleicht Lust, mit mir auszugehen.“
„Ich bin ziemlich sicher, dass ihr das Spaß machen würde, aber – leider ... Soll ich ihr irgendetwas ausrichten?“
„Nicht nötig. Ich rufe wieder an, wenn ich das nächste Mal in Hamburg bin.“
„Geht klar.“ Jo Dengelmann legte auf.
Im Fernsehen lief noch immer der „Werbeschwachsinn“, wie Jo es nannte. Er griff nach der Fernbedienung und begann zu zappen. Western. Krimi. Zeichentrickfilm. Historischer Schinken aus dem Jahre Schnee.
Als junge hübsche Mädchen in bunten Kostümen über den Bildschirm hüpften, hellten sich Jos Züge auf. An den leicht geschürzten Tänzerinnen fand er Gefallen.
Gerade als er den Ton wieder einschalten wollte, klingelte das Telefon noch einmal. Diesmal war Bongo am anderen Ende.
„Na, wie fühlst du dich in dieser weibischen Umgebung?“, fragte der Hüne. „Hoffentlich wirst du in Philomenas Bleibe nicht auch zum Transvestiten.“
„Hab’ ich nicht vor. Was gibt’s? Hast du Jeanette inzwischen gefunden?“
„Nein. Ich habe gehört, sie lässt sich hin und wieder im Schmalztopf blicken.“
„Im Schmalztopf?“
„Ist eines dieser neuen winzigen In-Lokale, die wegen Überfüllung polizeilich geschlossen werden müssen, sobald vier Gäste drinnen sind. Sie eröffnen heute mit viel Tschinbum und Trara und in einem halben Jahr weiß keiner mehr, dass es sie gegeben hat.“
Jo ließ sich die Adresse geben. Es war in der Nähe des Jungfernstiegs. Er dankte Bongo für den Tipp, legte auf, schaltete das Fernsehgerät ab und verließ die Wohnung.
Das Lokal, das er zwanzig Minuten später betrat, war wirklich sehr klein. Vier Tische, sechzehn Stühle - natürlich besetzt. Dazwischen und darum herum Gäste mit Bier oder Weingläsern in der Hand, banale Lebensweisheiten und jämmerliche Belanglosigkeiten von sich gebend. Smalltalk in Reinkultur. Ein Kellner drängte sich mit einer Riesenportion Spareribs an Jo vorbei. Als er mit leeren Händen zurückkam, sagte Jo: „Ich suche Jeanette.“
„Ist nicht hier.“ Der Kellner war keiner von den gesprächigen Typen, wirkte ungeduldig und gehetzt. Alle wollten so schnell wie möglich bedient werden. Er musste sich ranhalten, wenn er nicht wollte, dass der Besitzer des Schmalztopfs sich von ihm trennte und einen flinkeren Mitarbeiter einstellte.
„Das habe ich bereits bemerkt“, sagte Jo Dengelmann. „Wann war sie zum letzten Mal hier?“
„Vorgestern.“
„Und wann kommt sie wieder?“
Der Kellner zuckte mit den Schultern. „Heute?“ Schulterzucken. „Morgen?“ Wieder dieses nichtssagende Schulterzucken. „In einer Woche? Überhaupt nicht mehr? Keine Ahnung.“
„Bring mir’n Bier!“
„In Ordnung.“
Jo bekam sein Bier. Er bezahlte gleich, gab ein stattliches Trinkgeld und knüpfte die Frage daran: „Weißt du, wo Jeanette wohnt?“
„Nein. Hier in der Nähe - nehme ich an.“
„Wenn sie hierherkommt, ist sie da allein oder in Begleitung eines Freundes oder einer Freundin?“, fragte Jo Dengelmann. „Oder trifft sie sich hier mit jemandem?“
Der