Stojan findet keine Ruhe. Norbert Möllers
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Donnerstag, 4.2.16
„Nenn mich nicht Stasi, verdammter Nazi!“
Endlich, dachte Stojan. Die Ruhe des kleinen griechischen Gastwirts hatte er bewundert, gleichzeitig hatte sie ihn geschmerzt. Er hatte schon befürchtet, Anastasios Charipidis, Tasso genannt von Freunden und Stammgästen, würde sich das plumpe Spiel mit seinem Vornamen gefallen lassen, aus Rücksicht auf andere Gäste und das Geschäft, herunterschlucken wie so viele andere hässliche Provokationen und billige Lacher auf seine Kosten, stumm, freundlich, gar noch mitlachend. Wortspiele mit Namen, die man ererbt oder andere einem gegeben hatten, gar in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und Bedeutung, hatte Stojan immer unfair gefunden, wenn sie offensichtlich abwertend und verletzend gemeint waren. Vielleicht war er da etwas zu empfindlich oder er erinnerte sich zu deutlich an eigene Schulkindserfahrungen. Bestimmt viermal hatte Stojan, seitdem er die nicht sehr geräumige Kneipe zusammen mit Fido betreten hatte, diese „Stasi“-Rufe gehört. Irgendwo von einem der Stehtische hinter seinem Rücken mussten sie gekommen sein, junge laute Stimmen, um Beifall buhlend. Er hatte keine Lust gehabt, sich umzudrehen, Neugierde zu zeigen, sich irgendwie gemein zu machen mit solchen Leuten. Lieber malte er in seiner Fantasie hässliche Fratzen zu den lauten Stimmen, mit debilem Ausdruck vom Typ Schule abgebrochen und danach nichts mehr gelernt, und überlegte, ob und wie er eine solche Szene in seinem neuen Kinderroman für die beiden Enkel unterbringen könnte. Da gab er gerne den Pädagogen.
Zweimal hatte Anastasios noch mürrisch schweigend ein Bier für die Rufer gezapft, deutlich liebloser als gewöhnlich, einmal zwei Ouzo abgefüllt in farbige Schnapsgläser, die er, darauf hätte Stojan wetten mögen, den Hygieneinspektoren des Gesundheitsamtes nicht angeboten hätte. Jetzt machte er nichts.
„Endlich“, sagte Stojan halblaut und setzte sein leeres Bierglas etwas fester als notwendig auf den Tresen. „Gut so! Mach mir lieber noch eins! Bin mir nur nicht sicher, ob du die Typen überhaupt triffst mit „Nazi“. Das ist längst nicht mehr ein Schimpfwort für alle. “
Tasso seufzte. „Egal. Wofür mache ich ein großes Schild vor die Tür, schreibe drauf: Bei Tasso, lasse es sogar beleuchten? Hier überm Tresen steht’s nochmal. Die Herrschaften kriegen jetzt die Rechnung und dann den Weg nach draußen gezeigt. Notfalls leihst du mir mal deinen Hund aus. Du hast doch bestimmt noch nicht genug Bewegung gehabt heute, oder, Fido?“ Fido und Tasso waren dicke Freunde, seit der damals wenige Monate alte Boxerwelpe das erste Mal zusammen mit seinem Herrchen den Durst der streunenden Wanderer in der etwas schäbigen Taverne am Ortsrand, der nichtsdestotrotz ein gewisser Charme eigen war, gestillt hatten. Schon bei ihrem zweiten Besuch hatte Tasso einen Napf aus einem der vergilbten Wandschränke gezaubert, die mit Sicherheit aus Zeiten stammten, in denen noch lange kein Gesetz lebendes oder totes Kneipeninterieur vor Tabaksqualm geschützt hatte, und mit stillem Wasser gefüllt. „Ist Fachinger recht?“, hatte er grinsend gefragt und Stojan hatte nicht richtig verstanden. Wollte er das Wasser berechnen, wollte er ihn auf den Arm nehmen aus irgendwelchen Gründen? Statt einer schnellen Antwort murmelte Stojan nur undeutlich vor sich hin. Beim nächsten Mal war die kleine Nische am rechten Ende des Tresens von allerlei Plunder freigeräumt und neben dem Emaillenapf hatte ein auf den ersten Blick nagelneues Lammfell gelegen, das für Fido in den mittlerweile zwei Jahren regelmäßiger Besuche etwas klein geworden war, nicht nur, weil der Hund inzwischen doppelt so groß war, sondern auch, weil er in Phasen von Langeweile oder Ungeduld die Ränder des Fells zerfleddert hatte.
Ungeduld vor allem dann, wenn Stojan sich bei Tasso verabredet und dann verquatscht hatte. Mit Sonja zum Beispiel.
Heute war er nicht mit Sonja verabredet gewesen, sondern mit Jon, der angeblich für die Tattoos der halben isländischen Fußballnationalmannschaft verantwortlich zeichnete, aber er schien ihn versetzt zu haben. „Vielleicht hat er sich verletzt“, kam ihm in den Sinn, als er an die rustikale Spielweise der Inselkicker bei der überraschend erfolgreichen Qualifikation zur Europameisterschaft zurückdachte, fand diese Vorstellung aber sofort so komisch, dass er herzhaft vor sich hin lachte, bis Tassos Stirnrunzeln ihn wieder in die Gegenwart zurückholte.
„Was macht Günther und seine Bande?“, fragte Tasso.
Stojan schaute auf. „Ich überlege noch, ob ich ihm den Hals umdrehen, ihn mit meiner Dienstwaffe erschießen oder bei niedriger Temperatur auf deinem drehbaren Rost grillen soll.“
Mit Günther und seiner Bande hatte Stojan nie beruflich zu tun gehabt. Günther war ein Schaf, wahrscheinlich nicht irgendein Schaf, sondern so eine Art Oberschaf. Oder Leitschaf. Jedenfalls trug es als einziges der Herde großer und kleiner Schafe und Lämmer auf der Wiese neben seinem Häuschen eine Glocke um den Hals und war damit auch dann zu hören, wenn ausnahmsweise mal die anderen nicht gerade blökten, grunzten, meckerten oder sonst irgendwie Stojans und Fidos Nacht-, Morgen- oder Mittagsruhe störten.
„Aber wir beiden werden uns jetzt mal auf den neuesten Stand bringen, sprich uns auf den Weg nach Hause machen.“
Fido schien nicht mehr gebraucht zu werden, daher gab es keinen Grund mehr, den Aufbruch hinauszuzögern. „Und wenn nach mir gefragt wird, bitte ruf kurz durch, okay?“
Das hätte er sich auch sparen können, auf Tasso war Verlass und er dachte mit. Peter Stojan legte eine Handvoll nicht abgezählter Münzen auf den Tresen, wie er es meistens machte. Das Fachinger, oder was auch immer Fido da eingeschenkt bekam, und sein Bier würde damit ausreichend abgegolten sein. Tasso hatte die drei Störenfriede längst ohne viel Federlesens zur Tür hinauskomplimentiert. Stojan sah noch, wie sie den alten Golf vor dem Gasthaus bestiegen. Er schätzte die beiden Kerle auf Mitte zwanzig, ihren weiblichen Fan auf höchstens achtzehn Jahre. Immerhin schien sie einen Führerschein zu besitzen, jedenfalls schwang sie sich auf den Fahrersitz. Instinktiv lenkte er seinen Blick auf das Kennzeichen, SO, Kreis Soest, der fängt in fünfzig Kilometern an, schätzte Stojan. Wie Schulabbrecher hatten sie eigentlich nicht ausgesehen, fand er. Sondern wie ganz normale Bürger, keine Fratzen, kein dumpfer Gesichtsausdruck, mit großer Wahrscheinlichkeit stimm- und wahlberechtigt wie er selbst, und das fand er erst recht erschreckend. Doch sofort meldete sich seine innere Stimme: „Hey, Schulabbrecher sind auch wahlberechtigt, und das ist auch gut so!“ „Jaja, ist ja okay“, murmelte er halblaut und fasste Fidos Leine etwas kürzer, als er in den bereits dunklen Weg am Waldrand entlang abbog. Der Mond war am Horizont aufgetaucht. Günther schien sich nicht zu regen, jedenfalls konnte Stojan kein Glockengebimmel ausmachen, so angestrengt er auch lauschte. War seine Drohung schon bei Günther angekommen und das Schaf ausreichend eingeschüchtert? Dass er keine Dienstwaffe mehr besaß, musste es ja nicht unbedingt wissen.
Das Schaf nicht und auch sonst niemand.
Von irgendwoher rief ein Käuzchen. Aberglaube lag Stojan fern, das Ableben eines lieben Menschen fürchtete er deshalb nicht.
Warum war Jon nicht gekommen? Hatte er beim Bilderstechen an einem der Wikinger versehentlich ein Stück Haut übersehen? Und das ging vor? Bei einem der Ersatztorhüter vielleicht? Dafür hatte Stojan natürlich Verständnis.
Oder war ihm sonst etwas dazwischengekommen? So etwas machte ihm Sorge, nicht ein Käuzchen.
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Sie war jetzt 43; der schräge Schnitt, den sie ihrer Frisur verpasst hatte, stand ihr gut, fand sie, sah aus wie gewollt, keck, flott, nicht wie hingezittert mit stumpfer Schere bei schlechtem Licht und nicht fahrig und trübe wie das Innenleben ihres Kopfes. Der Hals, ein paar Falten, auch nicht ganz gerade; der Pulli, etwas ausgeleiert, ein paar Pfund mehr auf den Rippen könnte er bequem beherbergen. Mehr von ihrem Körper zeigte ihr der Spiegel mit den fast blinden Ecken nicht. Der letzte Auftrag, mit