Die verborgene Kriminalität: Straftaten im Dunkelfeld. Volker Mariak
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Eine abschließende Bemerkung. Es heißt durchaus zu Recht: „Wer Tiere quält, der quält letztlich auch Menschen" bzw., er hätte keine Skrupel, die Gewaltspirale eine Drehung weiter zu treiben. Aber ist er damit automatisch auch ein Psychopath? In jedem der folgenden Fallbeispiele beging der Täter schlimmste Gewalt gegen Mensch und Tier und wurde von forensischen Experten prompt als Psychopath bezeichnet. Doch diese Definition hat ihre Tücken und scheint immer dort Anwendung zu finden, wo psychiatrische Gutachter mit ihrem Latein am Ende sind. Um etwas Licht in dieses wissenschaftliche „Dunkelfeld" zu bringen, sind zentrale Fragen zu stellen: Welchen Erklärungswert hat die oftmalige, gern genutzte Psychopathie-Zuschreibung mit Blick auf (häusliche) Gewalt? Wird durch dieses Konzept das Gewalthandeln verständlicher? Oder handelt es sich nur um eine Leerformel, einen praktischen Sammelbegriff ohne Krankheitswert? Und was genau ist ein Psychopath, wie wird er - wissenschaftlich fundiert - von „normalen“ Mitmenschen abgegrenzt?
Natürlich lässt sich hier keine erschöpfende Antwort geben, aber es soll doch versucht werden, dieses wichtige Erklärungsmuster kritisch zu hinterfragen, um ein erstes, bescheidenes Meinungsbild zu ermöglichen.
1. 4 Ein kurzes Wort zu Definitionsproblematik & Zitierweise
a)
Am Beginn jeder soliden wissenschaftlichen Studie steht die Definition des Forschungsgegenstandes und der relevanten Variablen. In diesem Fall ist die inhaltlich und logisch schlüssige Erklärung dessen, was man unter „häuslicher bzw. familialer Gewalt“ und der „Gewalt gegen Tiere“ versteht, natürlich ein Muss. Andernfalls redet man wie der Blinde von der Farbe und öffnet Missverständnissen und Analysefehlern Tür und Tor. Nur: wie lassen sich diese Begriffe angemessen fassen? Leider ist eine kurze Darlegung wissenschaftlicher Definitionsmöglichkeiten unvermeidbar, wenn die Verdeutlichung dieser Problematik ansteht. Um es mit einem Klassiker der empirischen Sozialforschung zu sagen:
„Intersubjektive Überprüfbarkeit des Forschungsprozesses setzt präzise Definitionen voraus. Diese haben üblicherweise die Form von Nominaldefinitionen: ‚Wir verstehen unter x einen Gegenstand mit den Eigenschaften E1 bis En.’“
(Kromrey, Helmut, unter Mitarbeit von Ollmann, Rainer: „Empirische Sozialforschung. Modelle und Methoden der Datenerhebung und Datenauswertung“, 3. Auflage, S. 70; Verlag: UTB / Leske & Budrich, Opladen, 1986)
Gemeint ist damit eine wissenschaftliche Begriffsbildung, die es vermeidet, wie zum Beispiel in Realdefinitionen „das Wesen“ der Sache erfassen zu wollen. Im Gegensatz zu Nominaldefinitionen - die im Rahmen der gegebenen Forschung auf Zweckmäßigkeit und die Vereinbarung eines bestimmten Sprachgebrauchs abstellen – beinhalten Realdefinitionen den Anspruch, das Wesentliche eines Phänomens wie etwa Gewalt hervorzuheben. Am Ende dieser zentralen Vorentscheidungen steht jedoch die Operationalisierung:
„Die Gesamtheit der operationalen Vorschriften wird häufig auch als ‚operationale Definition’ eines Begriffs bezeichnet. In dem hier gebrauchten Sinn ist ‚operationale Definition’ jedoch nicht eine weitere Definitionsmöglichkeit neben der Nominal- und der Realdefinition, sondern sie ist ein in der Forschung für jeden Begriff - gleichgültig, auf welche Art definiert; gleichgültig, ob mit direktem oder indirektem Bezug - notwendiger Übersetzungsvorgang in Techniken bzw. Forschungsoperationen.“ (Kromrey, 1986, S. 84)
Dieser „Übersetzungsvorgang" schafft jedoch ein zentrales soziologisches Problem: Es ensteht bei dem Versuch, den Gewaltbegriff möglichst präzise zu erfassen und für die Forschungspraxis der Surveys und Statistiken einzugrenzen: Die stets am Anfang stehende Kardinalfrage lautet hierbei: Welche Handlungen oder Unterlassungen müssen definiert und unter den Gewaltbegriff subsumiert werden, um überhaupt sinnvolle, inhaltsgenaue Aussagen treffen zu können? Schlicht gesagt: Was zählt als Gewalt? In ihrer Erörterung des Gewaltbegriffs zeigen Lamnek und Boatcă (Lamnek, Siegfried; Boatcă, Manuela [Hrsg.]: „Geschlecht – Gewalt – Gesellschaft"; Leske und Budrich, Opladen, 2003, S. 15; Hrsg: Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Band 4) auf, welche Bandbreite der Definitionsversuche es in den Sozialwissenschaften bereits gegeben hat. Von der verbalen Gewalt über die strukturell-kulturelle Gewalt bis hin zur symbolischen Gewalt ist alles vertreten. Dieser Diskurs soll hier aber nicht Thema sein. In der Regel erfolgt die Unterscheidung jedoch recht pragmatisch nach physischer und psychischer Gewalt gegen Personen sowie nach der Gewalt gegen Sachen, wobei so mancher deutscher Sozialwissenschaftler gern der dumm-verquasten, bundesrepublikanischen Gesetzgebung folgt und Tiere ebenfalls als („lebende") Sachen begreift.
Mit Blick auf den angehäuften soziologischen „Erklärungsreichtum" wird daher auch vor einem inflationär genutzten Gewaltbegriff und daraus resultierenden „Thematisierungsfallen" gewarnt (Lamnek und Boatcă , 2003, S. 15; siehe auch: Heitmeyer, W., und Hagan, J.: „Gewalt. Zu den Schwierigkeiten einer systematischen internationalen Bestandsaufnahme“, in: Heitmeyer, W., und Hagan, J., [Hrsg.]: „Internationales Handbuch der Gewaltforschung", Wiesbaden, 2002, S. 21). Lamnek und Boatcă führen dazu aus:
„Dieses Spektrum von Definitions(ver)suchen, das von der ‚minimalistischen' Vorstellung von Gewalt als Aktionsmacht bis hin zur Gewalt als ‚gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit' (Berger/Luckmann 1971) auf der mikro- wie auf der makrosozialen Ebene - und somit als Definitionsmacht - reicht, findet sich auf jedem Gebiet der Gewaltforschung in nuce wieder, […]“ (Lamnek und Boatcă , 2003, S. 16)
Wer also meint, dass ein gut operalisierbarer Gewaltbegriff durch die Definitionen des deutschen Strafgesetzbuches bereits vorgegeben und soziologisch sinnvoll nutzbar sei, wandelt auf einem schmalen Grat. Der juristische Gewaltbegriff wird durch die jeweilige Gesellschaftsform, ihre aktuellen Machtstrukturen und kulturellen Prägungen bestimmt. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Deliktform der in früheren Gesellschaften durchaus legitimen körperlichen Züchtigung von Frau und Kind durch den „Paterfamilias". Es zeigt sich ebenfalls an der relativ neuen strafrechtlichen Sensibilität für Übergriffe wie dem sogenannten „Stalking". Fazit: Der strafrechtliche Gewaltbegriff ändert sich im Zeitablauf und primär mit dem Wechsel derjenigen, die in den Gemeinschaften das „Sagen" haben und somit auch legislative Definitionsmacht besitzen. Da dies lange Zeit eine nur von Männern gehaltene Position war (und auch heute sind wir noch ein gutes Stück von echter Gleichberechtigung entfernt), ist der Gewaltbegriff ebenfalls von Determinanten im Geschlechterverhältnis abhängig und weitgehend „männlich“ geprägt.
Um angesichts dieser Probleme nicht handlungsunfähig zu werden, hat man daher in der Forschung versucht, das Gewaltgeschehen durch Konzentration auf einen „unverzichtbaren Kern“ einzugrenzen (von Trotha, T.: „Zur Soziologie der Gewalt.", in: von Trotha, T. [Hrsg.]: „Soziologie der Gewalt.“, in: KZfSS Sonderheft Nr. 37, Opladen, 1997, S. 14). Mit dieser Intention lassen sich etwa die Operationalisierungs-Ansätze von Neidhardt und Popitz verknüpfen, die auch bei Lamnek und Boatcă genannt werden. (Lamnek und Boatcă 2003, S. 16). So lautet der Definitionsvorschlag von Neidhardt zum Beispiel: Gewalt sei eine … :
„physische Zwangseinwirkung von Personen mit physischen Folgen für Personen“ (Neidhardt, F.: „Gewalt - soziale Bedeutungen und sozialwissenschaftliche Bestimmungen des Begriffs.", in: BKA [Hrsg.]: „Was