Die neuen Reiter der Apokalypse. Michael Ghanem
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Neurobiologie pathologischer Lügner
Nach einer Studie der Universität Südkalifornien haben pathologische Lügner eine veränderte Hirnstruktur. Sie haben einen größeren Anteil von der für Informationsübermittlung zuständigen weißen Substanz im präfrontalen Cortex als gesunde Vergleichspersonen und einen geringeren Anteil von grauer Substanz, die für Informationsverarbeitung zuständig ist.
Religion
Bibel, Christentum und Judentum
In der Bibel wird der Teufel als „Vater der Lüge“ (Joh 8,44 EU) bezeichnet, weil er Eva gegenüber im Garten Eden die erste Lüge der Menschheitsgeschichte geäußert haben soll, die dann zum Sündenfall führte. Im 2. Buch Mose steht: „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. “ (Ex 20,16 EU), im 5. Buch Mose steht: Du sollst nicht Falsches gegen deinen Nächsten aussagen. Also das Verbot der gerichtlichen Falschaussage, was in Christentum und Judentum weithin als generelles Verbot der Lüge interpretiert wird. Lügenreden benennt Jesaja, ein Prophet des Alten Testaments, als böse Werkzeuge des Schurken: „Und die Werkzeuge des Schurken sind böse: er beschließt böse Anschläge, um die Elenden durch Lügenreden zugrunde zu richten, selbst wenn der Arme redet, was Recht ist.“ (Jes 32,7 ELB). Biblisch gesehen missfällt dem Gott Israels die Lüge und er unterscheidet zwischen Gut und Böse.
Jesaja warnt: „Weh denen, die das Unrecht herbeiziehen mit Stricken der Lüge und die Sünde mit Wagenseilen und sprechen: Er lasse eilends und bald kommen sein Werk, dass wir's sehen; es nahe und treffe ein der Ratschluss des Heiligen Israels, dass wir ihn kennen lernen!“ (Jes 5,18-19 LUT) und „Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!“ (Jes 5,20 LUT).
König Salomos Buch der Sprüche des alten Testaments warnt vor falschem Gewinn erworben durch Lüge: „Wer Schätze erwirbt mit verlogener Zunge, jagt nach dem Wind, er gerät in die Schlingen des Todes.“ ( Spr 21,6 EU). Als eine Eigenschaft des Gerechten benennt das Buch der Sprüche die starke Abneigung gegen Lüge: „Der Gerechte ist der Lüge Feind; aber der Gottlose handelt schimpflich und schändlich.“ ( Spr 13,5 LUT).
Es ist aber auch festzustellen, dass in manchen Texten die Lüge nicht prinzipiell abgelehnt wird. Besonders auffällig ist die dreifach überlieferte „Gefährdung der Ahnfrau“ (Gen 12,10-20 LUT): hier sichert die Lüge des Stammvaters Abraham bzw. Isaak das Überleben des Gottesvolkes. In Gen 27 LUT erlistet Jakob durch eine Reihe von Lügen den väterlichen Segen, ohne dass das negativ bewertet würde; ähnlich Gen 38 LUT, wo die mit der Vorspiegelung falscher Tatsachen arbeitende Tamar ausdrücklich als „gerecht“ dargestellt wird. Die Bibel geht also davon aus, dass Lügen unter bestimmten Umständen geradezu nötig sind.
Islam
Im Allgemeinen ist Lügen im Islam nicht erlaubt und wird als verwerflich betrachtet. Ausnahmen gibt es, um Leute miteinander zu versöhnen und bei Erzählungen zwischen Ehemann und Ehefrau, außerdem ist es Schiiten unter bestimmten Bedingungen gestattet, ihren Glauben zu verleugnen.
Buddhismus
Im Buddhismus wird aus dem Ideal der Leidvermeidung folgend das Lügen als verbale Äußerung negativ bewertet, da es den kausalen Ablauf der Dinge willkürlich beeinflusst, aber schlussendlich nicht von Dauer sei. Lügen wird im Pali-Kanon, einer Sammlung von Lehrreden des historischen Buddhas, mehrfach genannt, unter anderem:
In den fünf Silas – Regeln zur Sittlichkeit (pali sīla). An vierter Stelle solle man (musāvādā veramani sikkhāpadaṃ samādiyāmi) vom Lügen abstehen im Sinne des bewussten Aussprechens von Unwahrheit.
Im dritten Glied des Edlen Achtfachen Pfades, welcher an die vierte Edle Wahrheit anknüpft. Als Teil der dort definierten rechten Rede solle man „Lüge vermeiden, Verleumdung vermeiden, barsche Worte vermeiden …“.
Philosophie
Augustinus
Augustinus war der erste Philosoph und Theologe, der sich mit dem Thema Lüge systematisch und ausführlich beschäftigte. Augustinus geht in seiner Argumentation von der These vom natürlichen Sprachzweck aus, nach der die Sprache dazu bestimmt ist, die Gedanken mitzuteilen. In der Lüge wird dieser natürliche Sprachzweck gestört. Augustinus lehnt deswegen jede Lüge kategorisch ab und macht auf den Selbstwiderspruch der Lüge aufmerksam: Lüge muss, um erfolgreich zu sein, das Vertrauen in die Wahrheit menschlicher Rede voraussetzen, das sie zugleich zerstört. Augustinus betrachtet Lüge als eine Sünde, bezeichnet sie als den Tod der Seele und betont den langfristigen Schaden, der durch Lügen entsteht. Nicht einmal solche Lügen sind erlaubt, die eine schwerere Sünde (wie zum Beispiel Mord) zu verhindern suchen: Das Rechnen mit der möglichen Sünde des anderen erweitert den fiktiven Verantwortungsbereich des Einzelnen ins Grenzenlose und ist deswegen unzulässig. Außerdem gibt es für Augustinus kein höheres Gut als die Wahrheit und deswegen ist Lügen immer unzulässig, weil die Wahrheit auch dann Vorrang hat, wenn durch sie beispielsweise ein menschliches Leben bedroht wird. Augustinus räumt ein, dass es schwerere und leichtere Lügen gibt. Während das Lügen in Glaubenssachen und Lügen, die anderen Schaden zufügen wollen, besonders schwere Sünden darstellen, handelt es sich im Fall von Nutz- und Scherzlügen nur um leichtere Sünden. Der Charakter der Sünde bleibt jedoch bei jeder Lüge erhalten.
Bei der Interpretation der Lügengeschichten des Alten Testaments (z. B. Gen 27,1-40 LUT; Ex 1,19 LUT; Gen 20,2-13 LUT) weist Augustinus’ Argumentation Selbstwidersprüche auf, weil er doch einige Lügen als zulässig ansieht.
Thomas von Aquin
Die Gedanken Thomas von Aquins über die Lüge weisen zahlreiche Übereinstimmungen mit der Theorie des Augustinus auf. Genauso wie Augustinus geht auch Thomas in seiner Argumentation vom natürlichen Sprachzweck aus und kommt zum Schluss, dass jede Lüge einen sündhaften Charakter hat. Lüge zersetzt die Einheit von Erkennendem und Sein und verhindert somit das Glück, das an sich Erkenntnis und Austausch von Wahrheit ist. Thomas führt den Begriff der Wahrhaftigkeit ein, die er als eine Tugend betrachtet, die durch andere Tugenden wie z. B. Klugheit oder Liebe im Lot gehalten werden soll. Kluges Verschweigen und zweideutige Rede sind als leichte Sünden, die den Menschen nicht vom wahren Ziel abhalten, zulässig. Als völlig unzulässig betrachtet Thomas genauso wie Augustinus die willentliche Irreführung in Glaubenssachen, also Lügen bezüglich Erkenntnisinhalten, die die Gotteserkenntnis betreffen.
Kant
Nach Kant ist Wahrhaftigkeit eine Rechtspflicht, die ihrem Wesen nach keine Ausnahme verträgt (siehe auch Die Metaphysik der Sitten). „Alle rechtlichpraktischen Grundsätze müssen strenge Wahrheit enthalten.“ (Immanuel Kant: AA VIII, 4300) Daraus folgt aber, dass es in keinem denkbaren Anwendungsfall eine Ausnahme geben kann: Wenn es ein Lügenverbot gibt, gilt es in jedem Fall. Allerdings besitzt der Mensch eine natürliche Neigung zur Lüge: „Die Lüge … ist der eigentliche faule Fleck in der menschlichen Natur.“