Ein Tropfen vom Glück. Antoine Laurain
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein Tropfen vom Glück - Antoine Laurain страница 6
»Was für ein Wahnsinn«, schimpfte Hubert vor sich hin, als er Hunderte von Ausgaben der Zeitschrift L’Illustration aus den Jahrgängen ab 1910 fand.
Warum zum Teufel hatten sie diese Stapel von Zeitschriften behalten, von denen jeder so schwer hochzuheben war wie ein schlafender Labrador? Hätten sie sie nicht in den Papierkorb werfen können, nachdem sie sie gelesen hatten, wie alle Welt es tat? Angelruten, die wohl zwischen den Kriegen bei Landpartien dabei gewesen waren, lagen vor einer Wand auf dem Boden. Er ließ den Blick über staubbedeckte Schwarzweißstiche wandern, die Szenen eines Schlosslebens zeigten: Abendessen bei Kerzenlicht mit gepuderten Perücken, Blindekuh-Spiele im Park. Huberts Anzug bedeckte sich mit dem Staub der Jahrzehnte, und er musste niesen, dabei stolperte er über den Stiel einer Schaufel und fiel der Länge nach in einen Haufen, der aus Zinntellern, einem Kandelaber, einem Nachttisch, einer Winde und alten Bücherkisten bestand, die seinen Sturz bremsten. Mit beiden Händen auf den gestampften Lehmboden gestützt, wollte er gerade wieder aufstehen, als sein Blick von einer staubigen Flasche angezogen wurde, die in einer Ecke neben ein paar zusammengerollten Plakaten auf der bloßen Erde stand. Hubert griff nach ihr, richtete sich ächzend auf und hielt sie ins Licht der Lampe, die seit seinem Sturz leise schaukelte. Er wischte vorsichtig den Staub weg, das Glas wurde glänzend wie Tinte und auf dem Etikett war nun zu lesen: Château Saint-Antoine, 1954. Domaine Jules Beauchamps. Hubert kniff die Augen zusammen und betrachtete die Flüssigkeit im Licht – sie wirkte nicht getrübt, und vor der Glühbirne tanzten hübsche karmesinrote Reflexe. Die Flasche hatte auch nicht unter der zeitbedingten Verdunstung gelitten, dem Schwund, der poetisch als der »Anteil der Engel« bezeichnet wird. In diesem Moment spürte Hubert einen Luftzug, dann knallte die Tür heftig zu, und der Schlüssel drehte sich im Schloss.
Hubert erstarrte. Das Bild der nunmehr geschlossenen Tür brauchte gut anderthalb Sekunden, bis es zu seinem Bewusstsein vordrang.
»He! Was ist hier los?«, und er hörte wildes Getrappel im Flur.
»Los, schnell! Ich hab einen Typen eingeschlossen, wir müssen abhauen!«, hörte er aus der Ferne.
»He! Wer sind Sie? Machen Sie auf!«, schrie Hubert und hämmerte gegen die Tür. »Ich rufe die Polizei!«
Er griff mit der Hand in seine Jackentasche, um festzustellen, dass er sein Handy auf dem Küchentisch hatte liegenlassen. Jetzt war es also so weit. Die kaputten Türen der Kelleröffnung waren nicht unbemerkt geblieben, und er war im Keller eingesperrt, während diese Gauner die Keller seiner Nachbarn ausräumten.
»Ich rufe die Polizei!«, schrie Hubert erneut. »Die Wache ist nur zwei Straßen von hier entfernt!«
Er stieg über das Gerümpel seiner Vorfahren und stellte sich an das Lüftungsgitter, das auf den Hof hinausging.
»Ist da jemand?«, schrie er. »Hier ist Monsieur Larnaudie, es sind Einbrecher im Haus! Ich bin in meinem Keller eingesperrt! Madame Da Silva? Maria?«
Nur die Stille antwortete ihm. »Herrgott, sie ist schon wieder zum Essen bei ihrer Schwester«, fluchte Hubert. Und die anderen Hausbewohner hatten an diesem frischen Septemberabend alle ihre Fenster geschlossen und würden ihn sicher nicht hören.
Ich bin eingesperrt, dachte Hubert, eingesperrt in zwölf Quadratmetern. Der Gedanke nahm in seinem Geist Gestalt an. Die Möglichkeit, dass er die Nacht auf dem Gerümpel seiner Ahnen eingerollt verbringen müsste, war nicht mehr auszuschließen.
Das kleine Café schwirrte von Stimmengewirr, Besteckklappern und dem Zischen der Kaffeemaschine. Bob betrat mit seinem Koffer das L’Espérance – Café – Tabac – Kleine Speisen zu jeder Zeit, und ging auf die stattliche blonde Frau zu, die hinter der Kasse stand.
»Guten Abend, Madame, ich kommen das Schlüssel von Madame Renard abholen.«
Die Wirtin lächelte kurz, drehte sich zu einem dunkelhaarigen Mann um, der an der Zigarettentheke Dienst tat, und schrie: »Robert, wo hast du die Schüssel von Françoise?«
»In meiner Tasche!«
»Das ist keine Antwort, Robert!«
Robert steckte die Hand in die Tasche seiner Jeans, wand sich etwas, holte mit einem einzigen Griff ein Taschentuch, einen Schlüsselbund, ein Feuerzeug sowie ein paar Münzen hervor, die auf den Boden hinabregneten, um sodann feierlich auf seine Frau zuzusteuern und ihr mit spitzen Fingern den Schlüsselbund hinzuhalten: »Hier ist meine Antwort, Maryse.«
Als er sich der Nummer 18 näherte, bemerkte Bob zwei Männer, die ein Gemälde in einem reichverzierten Goldrahmen aus einer breiten Kelleröffnung herausmanövrierten, bevor sie in einen weißen Lieferwagen sprangen, der mit Vollgas davonfuhr. Bob schaute ihm nach und näherte sich dann den Metalltüren, warf einen Blick hinein, sah jedoch nur die Holzstufen einer steilen Treppe, die sich in der Dunkelheit verlor. Er klappte die Türen vorsichtig zu. Was sich da vor seinen Augen abgespielt hatte war nicht normal. Es sah ganz nach einem Einbruch aus. Er ging auf das Ladengeschäft des Hauses zu, K&R Kunst und Restaurierung – Magalie Lecœur. Es war beleuchtet, und durch die Gardinen des Schaufensters konnte er im hinteren Teil des Ladens zwei Gestalten erkennen. Es war spät, was würde er ihnen sagen? Er war Amerikaner, hatte sich über Airbnb im Haus eingemietet. Es war besser, Problemen aus dem Weg zu gehen.
Seine Wegbeschreibung noch immer in der Hand, tippte er den Türcode ein, trat in die Eingangshalle und ging zum Fahrstuhl. Er drückte auf den Knopf, die Kabine kam herunter und hielt. Bob ließ seinen Koffer stehen, um vorsichtig hineinzuschauen. Mit seinem nach Wachs duftenden Edelholz, den verglasten schmalen Türen, der zarten Deckenleuchte und den blumenförmigen Messinggriffen erinnerte das Gehäuse an nichts, was er auf dem Gebiet der Aufzugstechnik je gesehen hatte. Es war so schön wie eine sehr alte Harley. »Oh … my … gosh!«, entfuhr es ihm, als er die Inschrift von 1911 entdeckte, die jeden Benutzer auf Anatole Larnaudies großzügige Stiftung hinwies.
»Hier ist Monsieur Larnaudie! Ich bin eingesperrt! Helfen Sie mir!«, vernahm er jetzt.
Eine Sekunde lang fragte sich Bob, ob die zehnstündige Flugreise und der Jetlag ihm nicht vielleicht einen Streich spielten. Oder ob die Romane von Stephen King nicht letztlich doch einen Funken Wahrheit beinhalteten.
»Ist da jemand? Ich höre den Fahrstuhl!«
Bob schloss die Tür wieder und sah sich um. Die Stimme kam aus dem Hof. Dieser war voller Grünpflanzen und Gebüsch. Hinter einem Ficus in einem Topf entdeckte er auf Bodenhöhe ein beleuchtetes Gitter und das Gesicht eines Mannes. Bob beugte sich vor und sagte: »Guten Tag, Monsieur.«
»Wer sind Sie?«, antwortete Hubert pikiert, »haben Sie mich etwa eingeschlossen?«
»Nein, Monsieur, ich bin … der Cousin von Madame Renard«, artikulierte Bob sehr deutlich.
»Das ist gelogen!«, antwortete Hubert. »Sie sind nicht der Cousin von