Gesammelte Erzählungen. Jules Verne

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Gesammelte Erzählungen - Jules Verne

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      Am folgenden Tage brachen wir in aller Frühe auf. Eile war nötig. Wir waren fünf Tagereisen von dem Kreuzweg entfernt.

      Über die Leiden unseres Rückwegs will ich kurz sein. Mein Oheim ertrug sie mit dem Zorne eines Mannes, der einer Übermacht weichen muß; Hans mit der Ergebung seiner friedlichen Natur; ich, muß ich gestehen, mit Klagen und in Verzweiflung: gegen solches Mißgeschick konnte ich nicht den Mut finden.

      Wie bereits erwähnt, ging uns das Wasser bereits am Ende des ersten Tages gänzlich aus. Wir waren zum Trunk auf den Wachholderbranntwein angewiesen, aber der brannte höllisch die Kehle, und ich konnte ihn nicht einmal ansehen. Die Temperatur war mir zum Ersticken, meine Kräfte waren gelähmt, ich war mitunter nahe daran regungslos hinzufallen. Man machte dann Halt; mein Oheim und der Isländer stärkten mich wieder, so gut sie vermochten. Aber ich bemerkte bereits, daß der Erstere gegen die äußerste Ermüdung und die Qualen des Durstes eine peinliche Wirkung übte.

      Endlich, Dienstag, 8. Juli, gelangten wir, auf den Knieen, auf den Händen uns fortschleppend, halbtot an dem Vereinigungspunkt der beiden Galerien an. Hier blieb ich wie eine träge Masse auf dem Lavaboden ausgestreckt liegen. Es war zehn Uhr Vormittags.

      Hans und mein Oheim versuchten mir einige Brocken Zwieback beizubringen. Lange Seufzer entfuhren meinen aufgeschwollenen Lippen. Ich fiel in tiefen Schlummer.

      Nach einer Weile kam mein Oheim heran und nahm mich in seine Arme.

      »Armer Junge!« murmelte er mit dem Ton wahren Mitleidens.

      Diese Worte rührten mich, da ich bei dem harten Professor Zärtlichkeiten nicht gewöhnt war. Ich er griff seine zitternden Hände mit den meinigen. Er ließ es geschehen und blickte mich an. Seine Augen waren feucht.

      Darauf nahm er seine Flasche, die ihm an der Seite hing. Zu meinem Erstaunen hielt er sie an meine Lippen:

      »Trink«, sprach er.

      Konnte ich meinen Ohren trauen? War mein Oheim nicht bei Sinnen? Ich sah ihn starr an. Ich mocht’ es nicht begreifen.

      »Trink«, wiederholte er.

      Und er nahm seine Flasche und leerte sie ganz aus in meinen Mund.

      O! Unendliche Erquickung! Ein Schluck Wasser benetzte meinen glühenden Mund; ein einziger, der aber genügte, das entfliehende Leben mir wieder zu geben.

      Ich dankte meinem Oheim mit gefalteten Händen.

      »Ja, sagte er, der letzte Tropfen! Der letzte! Verstehst Du wohl? Der letzte! Ich hatte ihn sorgfältig in meiner Flasche aufbewahrt. Zwanzigmal, hundertmal mußte ich meinem erschrecklichen Verlangen widerstehen! Aber mein Axel, ich hob es für Dich auf.

      – Lieber Oheim! stammelte ich, und Tränen quollen aus meinen Augen.

      – Ja, armer Junge, ich dachte mir, bei Deiner Ankunft an diesem Kreuzweg würdest Du halb tot hinsinken, und habe meinen letzten Tropfen aufgehoben, Dich wieder zu beleben.

      – Dank! Dank!« rief ich aus.

      So wenig auch mein Durst gestillt war, einige Kraft hatte ich doch wieder gefunden. Meine bereits zusammen geschrumpften Kehlmuskeln erweiterten sich wieder, die Entzündung meiner Lippen war beschwichtigt. Ich vermochte zu reden.

      »Sehen wir, sagte ich, jetzt haben wir keine andere Wahl; wir haben kein Wasser, müssen also denselben Weg zurück.«

      Während ich sprach, mied mein Oheim meinen Blick; er senkte den Kopf, seine Augen wichen den meinigen aus.

      »Wir müssen rückwärts, rief ich aus, und wieder den Weg nach dem Snäfields einschlagen. Wenn uns Gott nur die Kraft verleiht, wieder bis zur Höhe des Kraters zu gelangen!

      – Zurückkehren! rief mein Oheim, als antworte er sich selbst, und nicht mir.

      – Ja, zurück, und ohne einen Augenblick zu verlieren.«

      Es entstand eine ziemlich lange Pause.

      »Also, Axel, fuhr der Professor mit seltsamem Ton fort, diese Tropfen Wasser haben Dir Mut und Tatkraft nicht wieder belebt?

      – Den Mut!

      – Ich sehe Dich so mutlos, wie zuvor, und auch Worte der Verzweiflung!«

      Was für ein Mann, mit dem ich zu tun hatte, und was für Projekte hegte sein verwegener Geist immer noch!

      »Wie? Sie wollen nicht? …

      – Verzichten auf die Unternehmung, im Augenblick, wo alles anzeigt, daß sie gelingen kann! Niemals!

      – So müssen wir uns entschließen, das Leben hinzugeben?

      – Nein, Axel, nein! Geh’ nur. Deinen Tod will ich nicht. Hans mag Dich begleiten. Lasse mich allein!

      – Sie verlassen!

      – Lasse mich, sag’ ich Dir! Ich hab’ die Reise unternommen, und werde sie bis zu Ende führen, oder ich kehre nicht zurück. Geh’ nur! Axel, geh’ nur!«

      Mein Oheim sprach mit größter Aufregung. Seine Stimme, die eine Weile weich geworden, ward wieder hart, drohend. Er rang mit düsterer Energie gegen das Unmögliche! Ich wollte ihn nicht in der Tiefe dieses Abgrunds verlassen, und dagegen drängte mich der Selbsterhaltungstrieb, ihn zu fliehen.

      Hans begriff, was zwischen uns vorging, aber er zeigte doch wenig Anteil an der Frage, wobei sein eigenes Dasein im Spiel war; er war bereit, nach dem Winke seines Herrn weiter zu gehen oder zu bleiben.

      Wir beide hätten wohl den hartnäckigen Professor zur Einsicht bringen, zur Rückkehr nötigen können. Ich trat zu ihm, legte meine Hand in die seinige; er rührte sich nicht. Ich zeigte ihm den Weg nach dem Krater; er blieb unbeweglich. In meinem Angesicht waren alle meine Leiden zu lesen. Der Isländer schüttelte sanft den Kopf und wies ruhig auf meinen Oheim und sprach »Master.«

      – »Der Herr, rief ich aus! Unsinnig! Nein, er ist nicht Deines Lebens Herr! Wir müssen fliehen! Ihn mit fortreißen! Hörst Du? Verstehst Du mich?«

      Ich faßte Hans beim Arm, rang mit ihm. Mein Oheim legte sich ins Mittel.

      »Ruhig, Axel, sprach er. Bei diesem unerschütterlichen Diener wirst Du nichts ausrichten. So höre, was ich Dir vorzulegen habe.«

      Ich kreuzte die Arme und sah meinem Oheim ins Angesicht.

      »Der Mangel an Wasser ist das einzige Hinderniß der Ausführung meiner Projekte. In dieser östlichen Galerie, die aus Lava, Schiefer, Kohlen besteht, haben wir nicht einen Tropfen gefunden. Möglich aber ist, daß wir in dem westlichen Tunnel glücklicher sind.«

      Ich schüttelte ungläubig den Kopf.

      »Höre mich bis zu Ende an, fuhr der Professor mit gehobener Stimme fort. Während Du regungslos da lagst, hab’ ich diesen Gang untersucht. Er führt direkt ins Innere, und in wenig Stunden mitten in den Kern des Granit. Da müssen wir reichlich Quellen finden. Die Felsart bringt es mit sich, und der Instinkt geht einig mit der Logik zu Gunsten meiner Überzeugung. Dies

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