Gesammelte Erzählungen. Jules Verne

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Gesammelte Erzählungen - Jules Verne

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Dir nur noch einen Tag. Stoßen wir nicht binnen dieser Zeit auf das mangelnde Wasser, so schwöre ich Dir, daß wir nach der Oberfläche zurückkehren werden.«

      Trotz meiner Gereiztheit rührten mich diese Worte, und die Gewalt, welche mein Oheim sich antat, eine solche Sprache zu führen.

      »Nun denn! rief ich, ich füge mich Ihrem Wunsch, und Gott möge Ihre übermenschliche Energie lohnen! Es sind nur wenige Stunden. Also vorwärts!«

      Zweiundzwanzigstes Kapitel

      Not

      Wir gingen also durch die neue Galerie wieder abwärts, Hans, wie gewöhnlich, voran. Wir waren noch keine hundert Schritte weit, als der Professor, die Lampe an der Wand, ausrief:

      »Hier ist Urgebirg! Wir sind auf dem rechten Weg! Vorwärts! Vorwärts!«

      Als in der ersten Epoche der Welt die Erde allmälig erkaltete, veranlaßte die Verringerung des Umfangs in ihrer Rinde Verschiebungen, Risse, Klüfte und Spalten. Der eben betretene Gang war ein Spalt dieser Art, durch welchen ehemals der ausgeworfene Granit seinen Weg fand. Seine unzähligen Wendungen bildeten ein verworrenes Labyrinth im ursprünglichen Boden.

      Im Verhältniß, wie wir abwärts kamen, zeigten sich klarer die aufeinanderfolgenden Schichten, woraus das Urgestein besteht. Die Geologie sieht dieses als die Unterlage der mineralischen Rinde an, und hat erkannt, daß es aus drei verschiedenen Schichten besteht, dem Schiefer, Gneis und Glimmerschiefer, welche auf dem unerschütterlich festen Granit lagern.

      Nun befanden sich nie Mineralogen in einer so merkwürdig günstigen Lage, um die Natur an Ort und Stelle zu studieren. Was die Sonde, die rohe Maschine ohne Intelligenz über das innere Gefüge nicht zu Tage fördern konnte, waren wir im Begriff mit eigenen Augen zu sehen, mit Händen zu greifen.

      Quer durch die Lage des Schiefergesteins in schönen grünen Schattierungen zogen Erzgänge, Kupfer, Braunstein und etliche Spuren von Platina und Gold. Ich dachte mir, wie die Habgier der Menschen von diesen so tief vergrabenen Schätzen nie einen Genuß haben wird. Sie sind bei dem Durcheinanderrütteln jener Urzeit so tief versenkt worden, daß sie von Schaufel und Hacke nicht zu erreichen sind.

      An die Schiefer reiheten sich die Gneis, von geschichtetem Bau, merkwürdig durch regelmäßig parallele Blätter, sodann die Glimmerschiefer in großen Stücken, welche durch das Funkeln des weißen Glimmers in die Augen sprangen.

      Das Licht der Apparate, von den kleinen Facetten der Felsenmasse zurückgeworfen, kreuzte seine Feuerstrahlen unter allen Winkeln, so daß man denken konnte, man reise durch einen hohlen Diamanten, worin tausendfach blendend die Strahlen sich brachen.

      Gegen sechs Uhr fing dieser Glanz an merklich schwächer zu werden, fast zu verschwinden; die Wände nahmen eine krystallisierte, aber düstere Färbung; der Glimmer mischte sich inniger mit dem Feldspat und Quarz, um das allerhärteste Gestein zu bilden, welches, ohne zerdrückt zu werden, die vier Stockwerke des Erdreichs trägt. Wir befanden uns mitten im Granit.

      Es war Abends acht Uhr. Immer noch kein Wasser. Ich litt fürchterlich. Mein Oheim schritt immer voran, wollte nicht stehen bleiben. Er lauschte mit dem Ohre das Murmeln einer Quelle zu erhaschen. Vergebens!

      Inzwischen versagten mir meine Beine den Dienst. Ich widerstand meinen Qualen, um nicht meinen Oheim zum Stillestehen zu nötigen. Es wäre für ihn ein Verzweiflungsschlag gewesen, denn der Tag lief zu Ende, der letzte, welcher ihm gehörte.

      Endlich gingen mir die Kräfte aus. Ich fiel nieder mit einem Schrei: »Hilfe! Ich sterbe!«

      Mein Oheim kam augenblicklich herbei. Er sah mich an mit gekreuzten Armen; dann murmelte er dumpf: »Es ist alles aus!«

      Eine fürchterlich zornige Bewegung war das letzte, was ich sah, als ich die Augen schloß.

      Beim Wiederausschlagen derselben gewahrte ich meine Gefährten unbeweglich in ihre Decken gewickelt. Schliefen sie? Ich meines Teils konnte nicht einen Augenblick in Schlaf kommen. Ich litt allzu sehr, zumal bei dem Gedanken, daß nicht zu helfen sein solle. Meines Oheims letzte Worte, »Alles ist aus!« hallten in meinem Ohre wieder, denn bei dem hohen Grade meiner Schwäche war kein Gedanke, wieder auf die Erdoberfläche zu kommen.

      Wir befanden uns fünfzehn Kilometer in der Tiefe!

      Es war mir, als laste diese ganze Masse auf meinen Schultern. Ich fühlte mich wie zerschmettert und strengte mich vergebens an, mich auf meinem Granitlager umzudrehen.

      So verflossen einige Stunden. Tiefe Stille herrschte um uns, Grabesstille. Kein Laut drang durch diese zum Mindesten fünf Meilen dicken Mauern.

      Inzwischen glaubte ich mitten in meinem Schlummer ein Geräusch zu vernehmen. Es war dunkel im Tunnel. Als ich recht achtsam blickte, schien mir’s, als sähe ich den Isländer mit der Lampe in der Hand verschwinden.

      Weshalb entfernt er sich? Will Hans uns verlassen? Mein Oheim schlief. Ich wollte schreien; die Stimme versagte mir zwischen den ausgetrockneten Lippen. Es war völlig dunkel geworden, und das letzte Geräusch war verstummt.

      »Hans verläßt uns! schrie ich. Hans! Hans!«

      So rief ich, jedoch nur im stillen Innern. Inzwischen, nach der ersten Anwandlung des Schreckens, schämte ich mich wieder meines Verdachts gegen den braven Menschen. Unmöglich wollte er fliehen. Er ging die Galerie abwärts, nicht nach oben, wohin üble Absicht ihn gezogen hätte. Dabei beruhigte ich mich ein wenig, und ich kam auf andere Gedanken. Hans, dieser friedliche Mann, mußte einen wichtigen Beweggrund haben, der ihn vom Lager trieb. Ging er, um eine Quelle zu finden? Hatte er in der Stille der Nacht ein Murmeln gehört, das nicht bis zu meinem Ohr gedrungen war?

      Dreiundzwanzigstes Kapitel

      Der Hansbach

      Eine Stunde lang überdachte ich in meinem wahnsinnigen Gehirn alle Gründe, welche den phlegmatischen Jäger zum Handeln treiben konnten. Die absurdesten Ideen verwickelten sich in meinem Kopf. Ich glaubte, ich sei im Begriff, ein Narr zu werden!

      Doch endlich vernahm man Fußtritte aus der Tiefe des Ganges. Hans kam zurück. Das Licht fing an, unstet an den Wänden zu schimmern, dann kam es an der Mündung des Tunnels zum Vorschein. Hans erschien, trat nahe zu meinem Oheim, legte ihm die Hand auf die Schulter und weckte ihn sanft. Er richtete sich auf und rief:

      »Was gibt’s?

      – Vatten«, erwiderte der Jäger.

      Man muß annehmen, daß jeder Mensch, wenn ihn heftige Schmerzen anregen, alle Sprachen versteht. Ich verstand nicht ein einziges Wörtlein dänisch, und doch begriff ich instinktmäßig das Wort unsers Führers.

      »Wasser! Wasser! rief ich aus, klaschte mit den Händen, gebärdete mich wie wahnsinnig.

      – Wasser! wiederholte mein Oheim. ›Hwar?‹ fragte er den Isländer.

      – Nedat«, antwortete Hans.

      Wo? Unten! Ich verstand alles. Ich ergriff des Jägers Hand und drückte sie; er sah mich ruhig an.

      Ohne uns mit Vorbereitungen aufzuhalten, waren wir flugs auf dem Weg, in einem Gang von zwei Fuß Fall per Toise.

      Nach einer Stunde hatten

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