Gesammelte Erzählungen. Jules Verne
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– Ich weiß es; aber sagen Sie mir, wird die Luft nicht endlich an Dichtigkeit dem Wasser gleich kommen?
– Allerdings, bei einem Druck von siebenhundertundzehn Atmosphären.
– Und unterhalb dieser Grenze?
– Wird die Dichtigkeit stets zunehmen.
– Wie können wir aber dann abwärts kommen?
– Nun, da stecken wir uns Steine in die Taschen.
– Wahrhaftig, Oheim, Sie haben auf alles eine Antwort.«
Ich wagte auf dem Feld der Hypothesen nicht weiter vorzugehen; ich wäre vielleicht noch auf eine Unmöglichkeit gestoßen, wobei der Professor außer sich gekommen wäre.
Es war jedoch klar, daß die Luft unter einem Druck, der auf Tausende von Atmosphären steigen konnte, am Ende in einen festen Zustand übergehen würde, und dann mußte man, vorausgesetzt, daß unsere Körper Widerstand zu leisten fähig wären, Halt machen, trotz alles Disputierens auf der Welt.
Aber ich machte diesen Grund gar nicht geltend. Mein Oheim hätte mir abermals seinen Saknussemm vorgehalten. Dieses Beispiel eines Vorgängers ist aber ohne Gewicht, denn hält man auch die Reise des gelehrten Isländers für echt, so gab es doch darauf einen sehr einfachen Einwand.
Im sechzehnten Jahrhundert waren Barometer und Manometer noch nicht erfunden; wie konnte dann Saknussemm sein Anlangen im Mittelpunkt der Erde feststellen?
Aber ich behielt diesen Beweisgrund für mich, und wartete die Ereignisse ab.
Der übrige Teil des Tages verfloß in Berechnungen und Unterhaltungen. Ich war stets mit dem Professor Lidenbrock gleicher Ansicht, und beneidete Hans um seine vollkommene Leidenschaftslosigkeit, indem er, ohne viel nach Ursache und Wirkung zu fragen, sich blind vom Verhängniß leiten ließ.
3 160 Kilometer
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Verirrt
Offen gestanden, die Dinge standen bisher gut, und ich durfte mich nicht beklagen. Wenn die Schwierigkeiten nicht »im Durchschnitt« zunahmen, so konnte es nicht fehlen, daß wir unser Ziel erreichten. Und welcher Ruhm dann! Ich war so weit gekommen, daß ich à la Lidenbrock urteilte. Ernstlich. Gehörte das mit zu der seltsamen Umgebung, worin ich lebte? Vielleicht.
Während einiger Tage führte uns ein vermehrt abschüssiger Weg, der mitunter selbst erschrecklich senkrecht war, tief ins Innere des Erdkerns. An manchen Tagen kam man eine und eine halbe bis zwei Lieues dem Zentrum näher. Das Hinabsteigen war gefährlich, aber die Geschicklichkeit unseres Hans und seine merkwürdige Kaltblütigkeit kamen uns dabei sehr zu statten. Dieser Isländer von unverwüstlichem Gleichmut widmete sich mit unbegreiflicher Ungenierteit, und wir hatten es ihm zu danken, daß wir über manchen schlimmen Fall hinaus kamen, was uns allein nicht möglich gewesen wäre.
Während der beiden Wochen nach unserer letzten Unterhaltung fiel nichts besonders Merkwürdiges vor. Nur ein einziges Ereigniß von ernstester Bedeutung ist mir unvergeßlich, und aus gutem Grund. Nicht den kleinsten Umstand dabei hätte ich aus dem Sinn verlieren können.
Am 7. August waren wir allmälig bis zu einer Tiefe von dreißig Lieues gelangt, das heißt über unserem Kopf waren dreißig Lieues an Felsen, Ozean, Festland und Städten. Wir mußten damals zweihundert Lieues von Island entfernt sein.
Diesen Tag zeigte sich im Tunnel sehr wenig Fall.
Ich ging voran. Mein Oheim trug einen der beiden Ruhmkorff’schen Apparate, ich den andern. Ich betrachtete die Granitschichten.
Auf einmal, als ich mich umsah, fand ich mich allein.
»Gut, dachte ich, ich bin zu rasch gegangen, oder Hans und mein Oheim sind stehen geblieben. So muß ich sie aufsuchen. Zum Glück geht der Weg nicht merklich aufwärts.«
Ich ging also meinen Weg zurück, eine Viertelstunde lang. Ich sah um mich. Kein Mensch. Ich rief. Keine Antwort. Meine Stimme verhallte unter einer Menge Echos, welche sie plötzlich wach rief.
Jetzt ward ich unruhig; es überlief mich ein Schauder am ganzen Körper.
»Nur ruhig, sagte ich laut. Sicherlich werde ich meine Gefährten wieder finden. Es gibt ja nur einen Weg! Da ich voran war, muß ich wieder rückwärts.«
Eine halbe Stunde lang ging ich in dieser Richtung. Ich horchte, ob man mir nicht zuriefe, und in dieser dichten Atmosphäre konnte ich schon von weitem her es hören. Todesstille herrschte in dem unermeßlichen Gang.
Ich blieb stehen. Ich konnte nicht glauben, daß ich mich ganz allein befand. Verirrt wollte ich wohl sein, nicht verloren. Verirrt, da findet man sich wieder.
Ich sagte mir wiederholt: »Da es nur einen Weg gibt und da sie diesen gehen, so muß ich wieder zu ihnen kommen. Ich brauche nur ferner rückwärts zu gehen, es sei denn, daß sie, als sie mich nicht sahen und nicht daran dachten, daß ich vorausging, auf den Gedanken kamen, zurück zu gehen. Nun, selbst in diesem Fall, wenn ich eile, werd’ ich sie wieder finden. Das ist klar!«
Ich wiederholte mir diese letzten Worte, wie ein Mensch, der nicht überzeugt ist. Übrigens brauchte ich lange Zeit, um diese so einfachen Gedanken zu verbinden und in Form eines Urteils zu bringen.
Nun kam mir ein Zweifel. War ich wirklich voran? Gewiß, Hans folgte mir nach hinter meinem Oheim her. Er war sogar einige Augenblicke stehen geblieben, um sein Gepäck auf seiner Schulter wieder zu befestigen. An alles dies erinnerte ich mich. Ich hätte in dem Augenblick weiter gehen müssen.
»Übrigens, dacht’ ich, hab’ ich ja ein sicheres Mittel, mich nicht zu verirren, meinen treuen Bach, der mich in dem Labyrinth leiten kann. Ich brauche nur an ihm aufwärts zurück zu gehen, so muß ich notwendig meinen Gefährten auf die Spur kommen.«
Diese Gedanken gaben mir wieder Mut, und ich beschloß, ohne einen Augenblick Zeitverlust mich auf den Weg zu machen.
Wie pries ich da meines Oheims Vorsicht, als er den Jäger hinderte, das für die Quelle in die Wand gehauene Loch wieder zuzumachen. Also sollte die heilsame Quelle, nachdem sie uns unterwegs erquickt, mich durch die Irrgänge der Erdrinde hindurch führen.
Bevor ich mich aufmachte, wollte ich mich etwas abwaschen.
Ich bückte mich, um im Hansbach mein Angesicht zu netzen.
Man denke sich meine Bestürzung! Ich griff nur auf dürren und rauhen Granit! Der Bach floß nicht mehr zu meinen Füßen.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Im dunkeln Labyrinth
Meine Verzweiflung war unbeschreiblich. Kein Wort der menschlichen Sprache könnte meine Gefühle ausdrücken. Ich war lebendig begraben; unter den Qualen des Hungers und Durstes hinzusterben war mein Los.
Unwillkürlich