Gesammelte Erzählungen. Jules Verne

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Gesammelte Erzählungen - Jules Verne

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Sinnentäuschung!« dachte ich.

      Doch nein. Als ich achtsamer lauschte, hörte ich wirklich Stimmengemurmel. Aber zu vernehmen, was man sagte, war mir aus Schwäche nicht möglich. Doch waren’s Worte, die man sprach, ganz gewiß.

      Eine Weile fürchtete ich, es seien meine eigenen Worte, die mir ein Echo zurückwarf. Hatte ich wohl ohne mein Wissen geschrieen? Ich preßte meine Lippen fest zusammen und lehnte mein Ohr abermals wider die Wand.

      »Ja, sicherlich, man spricht! Man spricht!«

      Als ich längs der Wand einige Fuß weiter ging, hörte ich deutlicher. Es gelang mir unbestimmte, seltsame, unbegreifbare Worte zu vernehmen. Sie drangen zu mir, als seien sie leise gesprochen, sozusagen gemurmelt. Öfters wiederholt mit schmerzlicher Betonung hörte ich das Wort: »förlorad«.

      Wer sprach? Offenbar Hans oder mein Oheim. Aber wenn ich sie hörte, konnten auch sie mich hören.

      »Hilfe! Zu Hilfe!« schrie ich aus Leibeskräften.

      Ich horchte, lauschte nach einer Antwort, einem Schreien, einem Seufzer. Kein Laut ließ sich vernehmen einige Minuten lang. Eine Welt von Gedanken erschloß sich in meinem Geist. Ich dachte, meine Stimme sei zu schwach, um bis zu meinen Gefährten zu dringen.

      »Denn sie sind’s unfehlbar, wiederholte ich. Wer sonst, dreißig Lieues unter der Erde?«

      Ich horchte abermals. Als ich mein Ohr längs der Wand fortbewegte, kam ich auf einen mathematischen Punkt, wo die Stimmen ihren Höhegrad an Stärke zu erreichen schienen. Abermals drang das Wort »förlorad« zu meinen Ohren; dann wieder so ein Donnergeroll, wie das, welches mich aus meiner Erstarrung geweckt hatte.

      »Nein, sagte ich, nein. Quer durch die Grundmassen kann man diese Stimmen nicht vernehmen. Die Granitwand würde den stärksten Ton nicht hindurchdringen lassen! Die Töne kommen aus der Galerie selbst! Es muß dabei eine ganz besondere Wirkung der Akustik im Spiel sein!«

      Ich horchte abermals, und diesesmal ja! Hörte ich meinen Namen deutlich hinaus gerufen!

      Mein Oheim rief! Er sprach mit dem Führer, von dem das dänische »förlorad« herrührte.

      Jetzt begriff ich alles. Um mir vernehmlich zu werden, mußte ich hart neben der Wand sprechen, welche meine Stimme, wie der elektrische Draht, fortleitete.

      Aber ich hatte keine Zeit zu verlieren. Entfernten sich meine Gefährten noch eine kurze Strecke, so war die Akustik nicht mehr möglich. Ich trat also nahe an die Wand heran, und sprach so deutlich, wie möglich, die Worte:

      »Mein Oheim Lidenbrock!«

      Ich wartete in höchster Spannung. Der Ton läuft nicht äußerst schnell, und die dichtere Luft erhöht nicht seine Schnelligkeit, sondern nur seine Stärke. Einige Sekunden verflossen, bis endlich diese Worte zu meinem Ohr drangen:

      »Axel, Axel! Bist Du’s?«

      * * *

      »Ja! ja!« erwiderte ich.

      * * *

      »Mein Kind, wo bist Du?«

      * * *

      »Verloren, im tiefsten Dunkel!«

      * * *

      »Aber Deine Lampe?«

      * * *

      »Verloschen.«

      * * *

      »Und der Bach?«

      * * *

      »Verschwunden.«

      * * *

      »Axel, armer Axel, fasse wieder Mut!«

      * * *

      »Warten Sie ein wenig, ich bin erschöpft! Habe nicht mehr die Kraft zu antworten. Aber sprechen Sie zu mir!«

      * * *

      »Mut, fuhr mein Oheim fort. Rede nicht, lausche mir. Wir haben Dich auf- und abwärts in der Galerie gesucht; konnten Dich nicht finden. Ich habe sehr um Dich geweint, mein Kind! Endlich, in Voraussetzung, Du seist noch längs dem Hansbach, sind wir wieder abwärts gegangen und haben unsere Flinten abgefeuert. Jetzt können unsere Stimmen zwar akustisch zusammen kommen, aber die Hände noch nicht sich berühren! Doch verzweifle nicht, Axel! Sich hören zu können, ist schon etwas!«

      * * *

      Während dessen hatte ich überlegt. Eine gewisse, noch unbestimmte Hoffnung kam mir wieder. Vor Allem war mir ein Punkt von Wichtigkeit. Ich hielt meine Lippen an die Wand und sprach:

      »Mein Oheim?«

      * * *

      »Mein Kind? Hörte ich nach einer kleinen Weile.«

      * * *

      »Vor allem, wie weit sind wir von einander?«

      »Das kann man leicht erfahren.«

      * * *

      »Haben Sie Ihren Chronometer?«

      * * *

      »Ja.«

      * * *

      »Nun, nehmen Sie ihn. Sprechen Sie meinen Namen und verzeichnen genau die Sekunde. Ich will ihn wiederholen, sobald er zu mir gelangen wird, und Sie verzeichnen ebenso genau den Augenblick, wo meine Antwort eintreffen wird.«

      * * *

      »Gut, und die Hälfte der Zeit zwischen meiner Frage und Deiner Antwort wird angeben, wieviel meine Stimme braucht, um bis zu Dir zu gelangen.«

      * * *

      »Richtig, Oheim.«

      * * *

      »Bist Du bereit?«

      * * *

      »Ja.«

      * * *

      »Nun, gib Acht, ich spreche Deinen Namen.«

      * * *

      Ich hielt mein Ohr an die Wand, und sobald das Wort »Axel« bei mir anlangte, antwortete ich unverzüglich »Axel«, dann wartete ich.

      * * *

      »Vierzig Sekunden«, sagte darauf mein Oheim. Vierzig Sekunden verflossen zwischen den beiden Worten; der Ton brauchte also zwanzig Sekunden, um zu mir zu gelangen. Nun, da tausendundzwanzig Fuß auf die Sekunde kommen, so macht das zwanzigtausendvierhundert Fuß, d.i. über fünfzehn Kilometer.

      * * *

      »Fünfzehn

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