Gesammelte Erzählungen. Jules Verne

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Gesammelte Erzählungen - Jules Verne

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* *

      »Nun, das kann man schon fertig bringen, Axel!«

      * * *

      »Aber, muß ich auf- oder abwärts?«

      * * *

      »Abwärts, und zwar deshalb: Wir sind an einen weiten Raum gekommen, wo eine Menge Galerien münden. Ohne Zweifel wird die, welche Du eingeschlagen hast, Dich dahin führen, denn es scheint, alle diese Spalten, diese Risse im Erdkörper, bilden einen Strahl um die ungeheure Höhle, wo wir uns befinden. Mache Dich auf und setze Deinen Weg fort. Gehe, schleppe Dich fort; wenn’s Not tut, rutsche über steile Abhänge, und Du wirst unsere Arme finden, Dich am Ende des Weges aufzunehmen. Auf, mein Kind, auf den Weg!«

      * * *

      Diese Worte belebten mich wieder.

      »Adieu, Oheim, rief ich; ich gehe. Sobald ich diese Stelle verlassen habe, können wir nicht mehr durch Worte verkehren. Adieu also!«

      * * *

      »Auf Wiedersehen, Axel! Auf Wiedersehen!«

      * * *

      Dies waren die letzten Worte, welche ich hörte. Diese merkwürdige Unterredung, welche mitten durch die Masse der Erde in einer Entfernung von fast einer französischen Meile geführt wurde, schloß mit diesen Worten voll Hoffnung. Ich dankte Gott im Gebet, denn er hatte mich in dem unermeßlichen Dunkel an den Punkt geleitet, der vielleicht der einzige war, wo die Stimme meiner Gefährten zu mir gelangen konnte.

      Diese sehr erstaunliche Wirkung der Akustik ist durch die Gesetze der Physik leicht zu erklären; sie rührte von der Form des Ganges und der Leitungsfähigkeit des Gesteins her. Es gibt manche Beispiele solcher Fortpflanzung der Töne, welche in dem Zwischenraum nicht vernehmbar sind. Ich erinnere mich, daß diese Naturerscheinung an manchen Stellen beobachtet worden ist, unter anderen in der inneren Galerie der Paulskirche zu London, und besonders mitten in den merkwürdigen Höhlen Siziliens, den Latomien bei Syrakus, von welchen die merkwürdigste unter dem Namen »Ohr des Dionysius« bekannt ist.

      Diese Erinnerungen kamen mir in den Kopf, und es war mir klar, daß, weil meines Oheims Stimme bis zu mir drang, kein Hinderniß zwischen uns lag. Indem ich dem Weg des Tones mich anschloß, so mußte ich logisch ebenso wohl, wie er, ankommen, wenn mir die Kräfte nicht ausgingen.

      Ich richtete mich also auf und schleppte mich fort. Der Abhang war ziemlich jäh; ich ließ mich hinabgleiten.

      Bald nahm die Schnelligkeit, womit ich hinabrutschte, in erschreckendem Verhältniß zu, und drohte ein wirkliches Fallen zu werden. Es fehlte mir die Kraft mich zurückzuhalten.

      Plötzlich schwand mir der Boden unter den Füßen. Ich fühlte, daß ich über die Unebenheiten einer senkrechten Galerie abprallend hinabrollte. Mein Kopf schlug wider einen spitzen Felsen und ich verlor das Bewußtsein.

      Neunundzwanzigstes Kapitel

      Rettung

      Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem halbdunkeln Raum auf dicken Decken gelagert. Mein Oheim wachte und forschte auf meinem Angesicht nach einem letzten Lebenszeichen. Bei meinem ersten Aufatmen ergriff er meine Hand, bei meinem ersten Blick stieß er ein Freudengeschrei aus.

      »Er lebt! Er lebt! rief er.

      – Ja, versetzte ich mit schwacher Stimme.

      – Mein Kind, sagte mein Oheim, und drückte mich an seine Brust, Du bist also gerettet!«

      Der Ton, womit er diese Worte sprach, rührte mich lebhaft, und mehr noch die Sorge, womit sie begleitet waren. Aber es bedurfte auch solcher Prüfungen, um bei dem Professor solche Ergießungen hervorzurufen.

      In dem Augenblick kam Hans dazu. Er sah meine Hand in der meines Oheims; ich darf versichern, daß seine Augen eine lebhafte Befriedigung ausdrückten.

      »God dag, sprach er.

      – Guten Tag, Hans, guten Tag, murmelte ich. Und jetzt, lieber Oheim, laß mich wissen, wo wir uns eben befinden.

      – Morgen, Axel, morgen; heute bist Du noch zu schwach; ich habe Deinen Kopf mit Bäuschchen umgeben, die man nicht aus der Ordnung bringen darf! Schlaf’ nur, lieber Junge, und morgen sollst Du alles hören.

      – Aber wenigstens, fuhr ich fort, wie viel Uhr, welcher Tag ist’s?

      – Elf Uhr Abends, und heute ist Sonntag, 9. August. Jetzt erlaube ich Dir nicht, vor dem 10. d.M. mich weiter zu fragen.«

      Ich war wirklich sehr schwach, und meine Augen schlossen sich unwillkürlich.

      Ich mußte mich eine Nacht ausruhen; ich ließ mich also mit dem Gedanken beruhigen, daß meine Trennung vier lange Tage gedauert hatte.

      Am folgenden Morgen beim Erwachen blickte ich um mich her. Mein Lager, aus allen Reisedecken bereitet, befand sich in einer reizenden Grotte, die mit prächtigen Tropfsteinen verziert war, der Boden mit seinem Sand bestreut. Es war darin Halbdunkel. Keine Lampe oder Fackel brannte, und doch kam einige unerklärliche Helle von außen, durch eine enge Öffnung der Grotte eindringend. Ich hörte auch ein unbestimmtes Murmeln gleich leisem Wellenschlag wider ein Ufer, und mitunter ein Windessausen.

      Ich fragte mich, ob ich völlig wach sei, ob ich noch träume, ob nicht etwa mein Gehirn von dem Fall Schaden gelitten, so daß dies nur Einbildungen seien. Jedoch, weder meine Augen noch Ohren konnten in der Hinsicht sich täuschen.

      »Es ist ein Strahl vom Tageslicht, dacht’ ich, welches durch diese Felsspalte hinabdringt! Aber der Wellenschlag, und das Wehen des Windes! Irre ich mich, oder sind wir wieder zur Erdoberfläche gekommen? Hat mein Oheim sein Vorhaben aufgegeben, oder ist er damit glücklich zu Ende?«.

      Ich stellte mir diese unlösbare Frage, als der Professor dazu kam.

      »Guten Morgen, Axel! sagte er freudig. Ich wollte wetten, daß Dir’s gut geht!

      – O ja, sagt’ ich, und richtete mich auf.

      – Das konnte nicht fehlen, denn Du hast ruhig geschlafen. Wir haben, Hans und ich, abwechselnd gewacht, und gesehen, daß Deine Genesung merklich fortschritt.

      – Ich fühle mich wirklich wieder kräftig, und zum Beweis will ich dem Frühstück, das Sie mir freundlich zukommen lassen, Ehre machen!

      – Du sollst zu essen haben, lieber Junge! Du bist frei vom Fieber. Hans hat Deine Wunden mit einer Salbe, die bei den Isländern ein Geheimniß ist, gerieben, und sie sind auffallend rasch vernarbt. Es ist doch ein wackerer Mensch, unser Jäger.«

      Während er sprach, bereitete mir mein Oheim einige Nahrung, die ich, trotz seiner Mahnungen, gierig verschlang. Inzwischen überhäufte ich ihn mit Fragen, welche er mir zu beantworten beflissen war.

      Nun hörte ich, daß ich durch göttliche Fügung gerade an das Ende einer fast senkrechten Galerie gefallen war. Da ich mitten in einem Strom von Steinen herab kam, von welchen der kleinste mich hätte zerquetschen können, so war daraus abzunehmen, daß ein Teil der Steinmasse mit mir gerutscht war. Auf diese erschreckliche Art gelangte ich bis in die Arme meines Oheims,

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