Gesammelte Erzählungen. Jules Verne
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Alle diese Wunder betrachtete ich im Stillen. Es mangelte mir der Ausdruck für meine Empfindungen, denn für neue Lebenserscheinungen fehlte die Bezeichnung. Ich betrachtete, dachte nach, bewunderte mit einer Bestürzung, zu der sich einiger Schrecken gesellte.
Das Unerwartete dieses Anblicks rief die Farbe der Gesundheit wieder auf mein Angesicht, und ich war im Zug mich durch Erstaunen zu kurieren und meine Genesung durch diese neue therapeutische Methode zu vollenden; zudem belebte mich die Lebenskraft einer sehr dichten Luft, indem sie meinen Lungen mehr Sauerstoff zuführte.
Es ist leicht begreiflich, daß nach einer siebenundvierzigtägigen Einkerkerung in einem engen Gange ein unendlicher Genuß darin lag, diesen Seewind voll salzhaltiger Feuchtigkeit einzuatmen.
Darum hatte ich auch nicht zu bereuen, daß ich aus meiner dunkeln Grotte herausgekommen war. Mein Oheim, der schon an solche Wunder gewöhnt war, geriet nicht mehr in Erstaunen.
»Fühlst Du Dich stark genug zu einem kleinen Spaziergang? fragte er mich.
– Ja, gewiß, erwiderte ich; es wird mir höchst angenehm sein.
– Nun, so nimm meinen Arm, Axel, wir wollen uns längs dem Ufer halten.«
Voll Eifer nahm ich’s an, und wir begannen an der neuen Meeresküste zu wandeln. Links bildeten steile, über einander getürmte Felsen eine riesenhafte Gruppe von wundervoller Wirkung, an deren Seiten zahllose Kaskaden mit klarem, rauschendem Wasser herabströmten. Einige leichte Dünste, die zwischen den Felsen hervordrangen, zeigten warme Quellen an, und Bäche rieselten sanft zu dem gemeinschaftlichen Becken.
Unter diesen Bächen erkannte ich unseren treuen Reisegefährten, den Hansbach, der sich gemächlich in dem Meer verlief, als hätte er seit Anfang der Welt es so gemacht.
»Er wird von nun an uns fehlen, sagte ich seufzend.
– Bah! erwiderte der Professor, ob dieser oder ein anderer, gleichviel.«
Die Antwort kam mir etwas undankbar vor.
Aber in dem Augenblick erregte ein unerwarteter Anblick meine Aufmerksamkeit. In einer Entfernung von hundert Schritten, an der Ecke eines hohen Vorgebirgs, lag vor unseren Augen ein hoher, dichter Wald. Derselbe bestand aus Bäumen mittlerer Höhe von einem Wuchs gleich regelmäßigen Sonnenschirmen mit deutlich abgezirkelten Umrissen; die Lichtströmung schien ihrem Laube nicht beizukommen, denn trotz eines Windes blieben sie unbeweglich, wie ein Gebüsch versteinerter Zedern.
Ich beeilte mich hinzukommen, ich wußte diese ganz sonderbaren Wesen nicht zu benennen. Gehörten sie nicht zu den bereits bekannten zweimalhundertausend Pflanzengattungen, und mußte man ihnen in der Flora der Sumpfgewächse eine besondere Stelle anweisen? Nein. Als wir nahe kamen, war meine Überraschung so groß, als mein Erstaunen.
In der Tat hatten wir Produkte der Erde vor uns, aber von riesenhaftem Maßstab. Mein Oheim wußte sie sogleich richtig zu benennen.
»Nur ein Wald von Champignons«, sagte er.
Und er täuschte sich nicht. Nun mache man sich einen Begriff, welche Entwickelung diese teuren Pflanzen in warmer, feuchter Umgebung erreichen können. Ich wußte, daß nach Bulliard das Lycoperdon giganteum acht bis neun Fuß Umfang erreichen kann; hier aber waren weiße Champignons, dreißig bis vierzig Fuß hoch, mit einer Kappe von entsprechendem Durchmesser. Sie standen da zu Tausenden. Kein Lichtstrahl drang durch ihren dichten Schatten und es herrschte völliges Dunkel unter diesen Domen, die gleich runden Dächern einer afrikanischen Stadt neben einander gereiht waren.
Doch wünschte ich weiter vorzudringen. Todeskälte drang aus diesen fleischigen Wölbungen herab. Eine halbe Stunde lang schweiften wir in diesem feuchten Dunkel umher, so daß wir mit wahrem Wohlbehagen uns wieder am Meeresufer einfanden.
Aber die Vegetation dieser unterirdischen Landschaft beschränkte sich nicht auf diese Champignons. Weiter hinaus sah man gruppenweise eine Menge anderer Bäume mit farblosem Laub. Sie waren leicht zu erkennen; es waren niedere Gesträuche der Erdoberfläche in außerordentlichen Dimensionen, hundert Fuß hohe Lycopodien, riesenhafte Sigillarien, Farrenkräuter so hoch wie breitastige Tannenbäume, Lepidodendreen mit runden gabelförmigen Stämmen, die in lange Blätter endigten und mit rauhen Haaren besetzt waren.
»Zum Staunen, prachtvoll! rief mein Oheim. Da ist ja die ganze Flora der zweiten Epoche der Welt, der Übergangsepoche. Da sehen wir unsere niedrigen Gartengewächse in den ersten Jahrhunderten als Bäume! Schau doch, Axel, bewundere! Eine festliche Freude für einen Botaniker!
– Sie haben Recht, lieber Oheim. Die Vorsehung scheint in diesem ungeheuren Gewächshaus die vorsündflutigen Pflanzen aufbewahrt zu haben, welche der Scharfsinn der Gelehrten so glücklich wieder aufgefunden hat.
– Du sagst ganz richtig, es sei ein Gewächshaus; besser noch würdest Du’s vielleicht eine Menagerie nennen.
– Eine Menagerie!
– Ja, ohne Zweifel. Sieh nur diesen Staub unter unseren Füßen, diese auf dem Boden zerstreuten Gebeine.
– Gebeine! rief ich aus. Ja, Gebeine vorsündflutiger Tiere!«
Ich stürzte über diese Jahrhunderte alten Trümmer von einer unzerstörbaren Mineralsubstanz her, und wußte ohne Besinnen diese riesenhaften Knochen, welche wie ausgetrocknete Baumstämme aussahen, zu benennen.
»Hier ist der Unterkiefer des Mastodon, sagte ich; hier die Backenzähne des Dinotherium; dieser Hüftknochen kann nur dem allergrößten dieser Gattung, dem Megatherium, angehört haben. Ja, es ist wohl eine Menagerie, denn diese Gebeine sind gewiß nicht durch eine Überschwemmung hieher verpflanzt worden. Die Tiere, von welchen sie herrühren, haben an den Ufern dieses unterirdischen Meeres, unter dem Schatten dieser Riesenpflanzen gelebt. Sieh, da sind ja ganze Skelette. Und dennoch.
– Dennoch? sagte mein Oheim.
– Ich begreife nicht das Vorkommen solcher Vierfüßler in dieser Granithöhle.
– Weshalb?
– Weil das tierische Leben auf der Erde erst in den sekundären Perioden existiert hat, als sich durch Anschwemmungen aus dem Niederschlag das Erdreich gebildet und an die Stelle der Felsen der Urperiode getreten war.
– Ah nun, Axel, auf Deinen Einwand gibt’s eine sehr einfache Antwort, nämlich, daß dieses Terrain ein durch Niederschlag gebildetes ist.
– Wie? in einer solchen Tiefe unter der Erdoberfläche!
– Ja wohl, und diese Tatsache läßt sich geologisch erklären. Zu einer gewissen Zeit bestand die Erde nur aus einer elastischen Rinde, welche kraft der Gesetze der Anziehung abwechselnden Bewegungen nach oben und unten unterworfen war. Es ist wahrscheinlich, daß Einsenkungen des Bodens stattfanden, und daß ein Teil des sedimentären Terrains auf den Grund eines plötzlich geöffneten Abgrundes hinabgezogen wurde.