Gesammelte Erzählungen. Jules Verne

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Gesammelte Erzählungen - Jules Verne

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von diesen Ungeheuern noch jetzt in dieser dunkeln Waldung oder hinter diesen steilen Felsen umherstreift?«

      Bei diesem Gedanken fragte ich, nicht ohne Schrecken, den Horizont in verschiedenen Richtungen; aber es zeigte sich kein lebendes Wesen an diesen öden Gestaden.

      Ich war ein wenig müde und setzte mich am Ende eines Vorgebirgs nieder, an dessen Fuß sich die Wellen rauschend brachen. Von da aus umfaßte mein Blick die ganze durch eine Ausbiegung der Küste gebildete Bai. Im Hintergrunde fand sich ein kleiner Hafen zwischen den pyramidalen Felsen. Seine Gewässer schlummerten ruhig im Schutze vor’m Wind. Eine Brigg und zwei bis drei Goeletten hätten daselbst bequem ankern können. Ich war fast darauf gefaßt, ein Fahrzeug mit vollen Segeln herauskommen zu sehen, um unter’m Südwind das Weite zu suchen.

      Aber diese Täuschung verschwand rasch. Wir waren wohl die einzigen lebenden Geschöpfe dieser unterirdischen Welt. Wenn es mitunter windstille war, kam eine tiefere Stille, als die der Wüste über die trockenen Felsen und lastete auf der Oberfläche des Meeres. Ich suchte dann den Nebel der Ferne zu durchdringen, diesen vor den geheimnißvollen Hintergrund des Horizonts gezogenen Vorhang zu zerreißen. Wie drängten da sich die Fragen auf meinen Lippen? Wo endigte das Meer? Wohin führte es? Würden wir je die jenseitigen Ufer desselben zu erkennen im Stande sein?

      Mein Oheim zweifelte seinerseits nicht daran. Ich wünschte und fürchtete es zugleich.

      Nachdem wir eine Stunde in Betrachtung dieses merkwürdigen Anblicks hingebracht, gingen wir zu der sandigen Uferstelle zurück, um wieder in die Grotte zu gelangen. Und so schlief ich unter’m Eindruck der seltsamsten Gedanken ein und ruhte in tiefem Schlummer.

      Einunddreißigstes Kapitel

      Zu Schiffe

      Am folgenden Tag wachte ich völlig geheilt auf. Ich dachte, ein Bad würde mir sehr heilsam sein, und tauchte mich einige Minuten lang in die Gewässer dieses mittelländischen Meeres.

      Als ich zurückkam, speiste ich mit trefflichem Appetit. Hans verstand sich darauf, ein Frühstück zu bereiten; er war mit Wasser und Feuer versehen, so daß er ein wenig Abwechselung in unser Frühstück bringen konnte. Zum Dessert lieferte er uns einige Tassen Kaffee, und nie hat mir dieses köstliche Gebräu angenehmer geschmeckt.

      »Jetzt, sagte mein Oheim, ist die Zeit der Ebbe und Flut, und wir dürfen die Gelegenheit, diese Erscheinung zu studieren, nicht vorüber gehen lassen.

      – Wie? Ebbe und Flut.

      – Allerdings.

      – Reicht der Einfluß von Sonne und Mond so weit hinab?

      – Warum nicht? Sind die Körper nicht im Ganzen der allgemeinen Anziehung unterworfen? Diese Wassermasse kann sich folglich nicht dem allgemeinen Gesetz entziehen. Daher wirst Du auch sehen, daß sie, trotz des Drucks der Atmosphäre, welcher auf ihre Oberfläche wirkt, steigt, wie das atlantische Meer.«

      In diesem Augenblick betraten wir den Sand am Ufer, und sahen die Wellen nach und nach mehr auf dem flachen Boden vordringen.

      »Da ist ja die beginnende Flut, rief ich aus.

      – Ja, Axel, und aus dieser Anhäufung von Schaum kannst Du abnehmen, daß das Meer wohl zehn Fuß hoch steigt.

      – Wunderbar!

      – Nein, es ist natürlich.

      – Sie haben gut reden, lieber Oheim, alles dies kommt mir außerordentlich vor, und ich kann kaum meinen Augen trauen. Wer hätte jemals sich in dieser Erdrinde ein wirkliches Meer gedacht, mit Ebbe und Flut, Seewind und Stürmen!

      – Warum nicht? Spricht ein Grund der Physik dagegen?

      – Ich sehe nicht, sobald man das System der Zentral-Wärme aufgeben muß.

      – Also bis auf diesen Punkt findet sich Davy’s Theorie gerechtfertigt?

      – Offenbar, und dennoch liegt darin kein Widerspruch, daß es Meere oder Landschaften im Innern der Erde gibt.

      – Ohne Zweifel, aber unbewohnte.

      – Richtig! Warum sollten diese Wasser nicht einige Fische von einer unbekannten Gattung enthalten?

      – Jedenfalls haben wir bis jetzt noch nicht einen einzigen wahrgenommen.

      – Nun, wir können Angeln machen, und sehen, ob der Köder hier unten ebenso anzieht als in den Gewässern unter’m Mond.

      – Wir wollen’s versuchen, Axel, denn wir müssen in alle Geheimnisse dieser neuen Gegenden dringen.

      – Aber wo befinden wir uns denn? Lieber Oheim, denn ich habe noch nicht diese Frage an Sie gerichtet, worauf Ihre Instrumente Ihnen die Antwort schon gegeben haben müssen.

      – Horizontal dreihundertundfünfzig Lieues von Island.

      – So weit?

      – Ich bin überzeugt, daß ich nicht um fünfhundert Toisen irre.

      – Und die Magnetnadel weist fortwährend auf Süd-Ost?

      – Ja, mit einer westlichen Abweichung von neunzehn Grad und zweiundvierzig Minuten, gerade wie oben auf der Erde. Was die vertikale Richtung betrifft, so ist ein merkwürdiger Fall eingetreten, den ich sorgfältig beobachtet habe.

      – Und welcher?

      – Die Nadel, anstatt sich, wie sonst auf der nördlichen Hemisphäre, gegen den Pol hin zu richten, hebt sich dagegen.

      – Also muß man daraus schließen, daß der magnetische Anziehungspunkt sich zwischen der Erdoberfläche und dem Punkt, wo wir eben sind, findet.

      – Ganz richtig, und es ist zu vermuten, daß, wenn wir in die Polargegenden kämen, zum siebenzigsten Grad, wo James Roß den magnetischen Pol entdeckt hat, die Nadel in senkrechter Richtung stehen würde. Folglich liegt dies geheimnißvolle Zentrum der Anziehung nicht sehr tief.

      – Wirklich, und das ist eine von der Wissenschaft nicht geahnte Tatsache.

      – Die Wissenschaft, lieber Junge, ist voll Irrtümer, die man aber nicht zu scheuen hat, weil sie allmälig der Wahrheit zuführen.

      – Und wie tief sind wir jetzt unten?

      – Dreihundertundfünfzig Kilometer.

      – Also, sagte ich mit einem Blick auf die Karte, das schottische Hochland über unserm Kopf, und dort die mit Schnee bedeckten Gipfel der Grampiangebirge sind wunderbar hoch.

      – Ja, erwiderte der Professor lachend. Eine etwas schwere Bürde, aber das Gewölbe ist solid; der große Baumeister des Weltalls hat es aus guten Materialien errichtet, und niemals hätte der Mensch ihm eine gleiche Tragfähigkeit zu geben vermocht. Was wollen die Brückenbogen und die Gewölbe der Kathedralen gegen dieses Schiff mit einem Durchmesser von dreißig Kilometer, unter welchem ein Meer und seine Stürme sich bequem entwickeln können?

      – O! Ich habe keine Angst, daß mir der Himmel auf den Kopf falle. Jetzt, lieber Oheim, was haben Sie im Plan? Denken

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