Gesammelte Erzählungen. Jules Verne
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Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen - Jules Verne страница 47
Wir sind von Strapazen erschöpft. Hans, wie gewöhnlich. Das Floß läuft unverändert südöstlich. Wir haben vom Inselchen Axel aus über zweitausend Kilometer zurückgelegt.
Zu Mittag verdoppelt sich die Gewalt des Sturmes. Man ist genötigt, alle Gegenstände der Ladung festzubinden. Jeder von uns bindet sich ebenfalls an. Die Wellen gehen uns über den Kopf.
Seit drei Tagen ist’s nicht möglich, ein Wort mit einander zu reden. Wir öffnen den Mund, bewegen die Lippen, ein verständlicher Ton kommt nicht zum Vorschein. Selbst wenn man sich ins Ohr spricht, kann man sich nicht verstehen.
Mein Oheim nähert sich mir, artikuliert einige Worte. Ich glaube, er sagte: »Wir sind verloren«. Doch weiß ich’s nicht gewiß.
Ich schreibe ihm die Worte auf: »Weg mit unserm Segel!«
Er gibt durch ein Zeichen seine Zustimmung.
Auf einmal fällt eine feurige Kugel auf das Floß. Mast und Segel sind augenblicklich entfernt und flattern hoch in den Lüften, wie ein urweltlicher Vogel.
Wir sind starr vor Schrecken. Die Kugel, halb weiß, halb lazurblau, von der Größe einer sechszölligen Bombe, rollt langsam, hier und dorthin, springt auf den Lebensmittelsack, gleitet langsam wieder herunter, hüpft, streift an die Pulverkiste. Grauenhaft! Wir alle in die Luft springen! Nein. Die schreckliche Kugel entfernt sich, nähert sich Hans, der sie fest anstarrt; meinem Oheim, der, um auszuweichen, auf die Kniee fällt; mir, der totenblaß zurückschaudert vor dem Glanz und der Hitze; sie kreiselt neben meinem Fuß, den ich zurückziehen will, was aber nicht möglich ist.
Ein Geruch von Salpetergas füllt die Luft, dringt in die Kehle, die Lungen – zum Ersticken.
Weshalb kann ich meinen Fuß nicht zurückziehen? Die elektrische Kugel hat alles Eisen an Bord magnetisiert; die Instrumente, Geräte, Waffen geraten in Bewegung und stoßen mit hellem Klang an einander; die Nägel an meinen Schuhen hängen fest an einer Eisenplatte, die in Holz eingelassen ist. Darum kann ich meinen Fuß nicht wegziehen! Endlich gelingt mir’s mit höchster Anstrengung, als eben die Kugel in ihrer Kreisbewegung ihn erreichen will …
Da zerspringt sie mit hellem Lichtglanz; wir sind mit Flammenströmen übergossen! Darauf erlischt alles. Ich hatte eben nur Zeit, meinen Oheim auf dem Floß hingestreckt zu sehen, und Hans, getreulich an seinem Steuer, »Feuer speiend«, da er von Elektrizität durchdrungen ist!
Wohin fahren wir? Wohin?
* * *
Dienstag, 25. August. – Ich erwache aus langer Ohnmacht. Das Gewitter dauert fort; die Blitze zischen entfesselt, wie eine Brut Schlangen.
Sind wir noch immer auf dem Meer? Ja, fortgerissen mit unberechenbarer Schnelligkeit. Wir sind unter England hergefahren, dem Kanal, Frankreich, vielleicht ganz Europa!
* * *
Abermals wird ein Getöse vernehmbar! Offenbar bricht sich das Meer an Felsen! Aber dann …
* * *
* * *
Sechsunddreißigstes Kapitel
Verschlagen
Hier endigt mein Tagebuch, wie ich’s oben nannte, das ich glücklich aus dem Schiffbruch gerettet habe. Ich fahre in meiner Erzählung fort, wie oben.
Was beim Scheitern des Floßes an den Felsen der Küste vorging, kann ich nicht sagen. Ich fühlte, daß ich in die Wogen stürzte; daß ich aber dem Tod entrann, daß nicht mein Körper an den spitzen Felsen zerrissen ward, verdanke ich dem starken Arm unseres Hans.
Der mutige Isländer trug mich aus dem Bereich der Wellen auf glühenden Sand, wo ich mich an der Seite meines Oheims fand.
Darauf begab er sich wieder zu den Felsen, in die tobenden Wellen, um etwas von der Habe aus dem Schiffbruch zu retten. Ich vermochte nicht zu reden; ich war von Gemütsbewegungen und Strapazen gebrochen; ich bedurfte eine volle Stunde, um mich zu erholen.
Inzwischen regnete es fortwährend, wie bei der Sündflut. Einige überhängende Felsen boten uns Schutz gegen diese Ströme. Hans bereitete ein Mahl, das ich nicht anrühren konnte, dann verfielen wir alle, erschöpft vom Wachen durch drei Nächte, in einen schmerzvollen Schlaf.
Am folgenden Tag war prachtvolles Wetter. Himmel und Meer hatten sich friedlich geeinigt. Jede Spur von Gewitter war verschwunden. Der Professor begrüßte mich beim Erwachen. Er war fürchterlich munter.
»Nun, lieber Junge, hast Du gut geschlafen?«
Hätte man nicht denken sollen, wir befänden uns in dem Hause der Königsstraße, ich käme da ruhig zum Frühstück herab, meine Hochzeit mit Gretchen solle heute gefeiert werden?
Ach! Wäre das Floß vom Sturm nach Osten verschlagen worden, so wären wir unter Deutschland gefahren, unter meine Vaterstadt Hamburg, unter die Straße, wo mein Liebstes auf der Welt weilt. Dann wären wir kaum vierzig Lieues von einander! Aber vertikal durch eine Granitwand, und in Wirklichkeit mehr als tausend Lieues getrennt!
Alle diese schmerzlichen Gedanken durchliefen meinen Geist, bevor ich auf meines Oheims Fragen antworten konnte.
»Nun, wiederholte er, Du hast wohl nicht Lust zu antworten, ob Du gut geschlafen hast?
– Sehr gut, erwiderte ich; ich bin noch ganz zerschlagen; aber das tut nichts.
– Gar nichts, ein wenig Ermüdung, das ist alles.
– Aber Sie scheinen recht lustig diesen Morgen, lieber Oheim.
– Voll Freude, mein Junge! Entzückt! Wir sind angelangt.
– Am Ziel unserer Reise?
– Nein, aber am Ende dieses Meeres, das kein Ende nehmen wollte.
Jetzt werden wir wieder den Landweg einschlagen, daß wir wirklich ins Innere der Erde dringen.
– Lieber Oheim, erlauben Sie mir eine Frage.
– Das Fragen ist Dir vergönnt, Axel.
– Und die Rückreise?
– Die Rückreise! Denkst Du an Rückkehr, ehe wir angekommen sind?
– Nein, ich will nur fragen, wie sie ausgeführt werden soll.
– Auf die einfachste Weise, die es gibt. Sind wir einmal im Zentrum unseres Erdballs angekommen, so finden wir entweder einen neuen Weg, um auf seine Oberfläche zurückzukehren, oder wir gehen ganz ruhig den Weg, welchen wir gekommen sind, wieder zurück. Ich denke wohl, man wird nicht hinter uns die Pforten schließen.
– Dann muß man das Floß wieder in guten Stand setzen.
– Notwendig.
– Aber werden die Lebensmittel