Jeden Tag aufs Neue glücklich. Anna von Rüden

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Jeden Tag aufs Neue glücklich - Anna von Rüden

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Anna …

      „Oma Anna holt mich freitags immer vom Schwimmkurs ab. Dann darf ich mir am Automaten in der Schwimmhalle Lollis kaufen. Danach spielen wir dann bei ihr zu Hause mit dem Puppenhaus und den Mäusen. Die Oma ist nett, und am liebsten an ihr mag ich die Süßigkeiten. Und sie kann richtig leckere Spaghetti mit Tomatensauce kochen. Manchmal gehen wir auch zusammen Sushi essen. Das mit Orange in der Mitte mag ich am liebsten.“

      Enkelin Greta, 5

      Besonders mein ältester Sohn Johannes hat meine Begeisterung für eine richtig große Familie wohl von mir geerbt. Gemeinsam mit seiner Frau Nina hat er fünf wunderbare, muntere Kinder: Paul (11), Theo (7), Sophia (5), Hermine (3) und die kleine Wilma Rosi (9 Monate).

      Hermine sollte ich genau wie ihre drei älteren Geschwister auch für eine Zeit betreuen. Ihre Mutter ist Ärztin und wollte relativ bald nach der Geburt wieder in ihren Job zurück. Hermine trägt den Namen meiner Mutter, und das ist wohl ein Zeichen. Denn wie in früheren Zeiten mit meiner Mutter hatten es auch die kleine Hermine und ich anfangs nicht leicht miteinander. Während alle anderen Enkel sehr gern zu mir kamen, wollte Hermine partout nicht bei mir bleiben. Sie schrie bereits fürchterlich, wenn sie mich nur sah. Auf Knopfdruck ging die Sirene los. Und keiner wusste so genau, warum sie sich wirklich vor mir ängstigte.

      Hermine kam deshalb in die Kita zu ihrer älteren Schwester Sophia – und kaum ein halbes Jahr später hatte sich unser Verhältnis grundlegend gewandelt: Wir verstehen uns mittlerweile mehr als prächtig!

      Für mich war die Kinderbetreuung als wichtige Entlastung meiner Schwiegertöchter gedacht. Sie haben alle lang studiert und hart daran gearbeitet, beruflich da hinzukommen, wo sie jetzt stehen, sodass ich sie von Herzen gern unterstützt habe. Denn ich weiß, wie schwer es für Mütter oft ist, nach einer längeren Babypause im Arbeitsleben wieder Fuß zu fassen. Ohne Unterstützung von außen und eine gute Organisation lässt sich ein anspruchsvoller Job heute mit Kindern kaum vereinbaren. Meine Schwiegertochter Nina beispielsweise bekam von einer ihrer ehemaligen Vorgesetzten in der Klinik die Frage gestellt: „Wollen Sie Chirurgin oder Mutter werden?“ Das sagt wohl alles …

      Hinzu kommt die im Alltag oftmals fehlende Wertschätzung gegenüber Müttern. Dass in der U-Bahn oder im Bus Menschen für eine Mutter mit Kind Platz machen, kommt außerordentlich selten vor. Wenn ich mit dem Kinderwagen unterwegs war und mal wieder an einer S- oder U-Bahn-Station mit defektem Fahrstuhl ausgestiegen bin, musste ich nicht selten viele lange Minuten unten an der Treppe warten. Meist sind es ältere Frauen und junge Männer um die 20, die von selbst anbieten zu helfen. Ganz schlecht ist es, einen Mann zwischen 40 und 60 um Hilfe zu bitten, die haben in der Regel alle „Rücken“ …

      Mir kommt es so vor, als hätte ich zu der Zeit, als meine Kinder klein waren, mehr Achtung erfahren. Ob es daran lag, dass wir in Lübeck, also in einer kleineren Stadt, lebten oder sich die Zeiten geändert haben, kann ich nicht sagen. Ich glaube eher, dass vielen Menschen das Einfühlungsvermögen und die Empathie für ihre Mitmenschen abhandengekommen sind. Sehr viele leben offensichtlich gnadenlos nach dem Motto „Me first“.

      Auch Mütter selbst erlebe ich manchmal als äußerst ichbezogen. Nach dem Motto „Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter“ parken sie ihren Kinderwagen mitten auf der Straße oder quer im Laden und machen sich scheinbar auch nicht nur ansatzweise Gedanken darüber, ob sie andere damit behindern.

      Helikoptermütter gab es allerdings auch früher schon, das ist durchaus keine neue Erscheinung. Als meine Kinder klein waren, kannte ich einige Frauen, für die das Muttersein ihr einziger Lebensinhalt zu sein schien. Sie machten aus der Ernährung ihrer Kinder eine Wissenschaft, stellten aus Angst vor Schadstoffen möglichst alles selbst her und wollten auch andere Mütter nur allzu gern zu ihrer Ansicht bekehren.

      Meine Schwiegertöchter erlebe ich in dieser Beziehung als recht gelassen. Sie achten natürlich auf die Ernährung ihrer Kinder, beginnen aber nicht bei jedem Gummibärchen oder Karamellbonbon eine Grundsatzdiskussion. Nina, Ilka und Madeleine sind einfach großartige Frauen, die es auf bewundernswerte Weise schaffen, den Spagat zwischen Familie mit Kindern und einem anspruchsvollen Job hinzukriegen. Freitags treffen wir uns immer alle bei mir zum Kaffeetrinken. Ich koche Kaffee und Tee, die drei bringen Kuchen mit. Und während wir herrlich erzählen, sitzen die Enkel im Spielzimmer und schauen sich Kinderfilme an. Das Ganze hat sich im Lauf der Jahre zu einem schönen Ritual entwickelt, das wir, denke ich, alle nicht mehr missen wollen.

      Über Anna …

      „Ich war gerade 30, frisch getrennt und hatte das Gefühl, ich würde nie wieder im Leben einen Mann kennenlernen. Doch dann kam plötzlich Johannes, der älteste Sohn von Anna, und ist mit seinem unwiderstehlichen, ihm ganz eigenen Charme in mein Leben eingebrochen, sodass ich völlig hin und weg war und es bis heute noch bin.

      Zum ersten Mal gesehen habe ich Anna ein paar Tage später in der Studentenbude von Johannes. In seiner Einzimmerwohnung hingen einige Fotos der Familie, unter anderem ein Porträt von ihr bei einem ihrer Model-Jobs. Das wusste ich nur damals noch nicht. Auf diesem Foto schaut eine Frau mit kurzem weißem Haar, Perlenkette und hochgerecktem schlankem Hals streng an der Kamera vorbei. Bei dem Familiennamen ‚von Rüden‘ ahnte ich Schlimmes …

      Ich stellte mir Johannes’ Mutter als eine disziplinierte, kühle und strenge Aristokratin vor, an der ich mir wohl ein bisschen die Zähne ausbeißen würde. Oder eher noch sofort bei der ersten Begegnung in Ungnade fallen würde. Johannes aber wollte mich so schnell wie möglich seiner Familie vorstellen, was ich so lang wie möglich versuchte hinauszuzögern. Die Hochzeit seines Bruders Wilhelm vermied ich noch, ich war zu schüchtern, um dort als Neuling reinzuplatzen.

      Dann aber war es so weit: Ich betrat eine riesige Sechs-Zimmer-Altbauwohnung in der Mommsenstraße in Charlottenburg, dem feinen Westen der Stadt. Alle meine Klischees schienen sich zu bestätigen: Ich betrat eindeutig eine mir fremde Welt. Ich bin in Wannsee groß geworden, in einem Einfamilienhaus aus den 1980er-Jahren, und so etwas hatte ich bislang noch nicht gesehen. Am liebsten wäre ich rückwärts wieder hinausgestolpert. Aber da kam Anna, und das Bild veränderte sich mit einem Mal: Sie begrüßte mich ruhig und herzlich und so einladend, dass ich vom ersten Moment ein Gefühl von Willkommensein und Geborgenheit spürte.

      Dieses Gefühl hat sich in den folgenden Jahren immer weiterentwickelt, ist zu einem echten Vertrauensverhältnis geworden, und ich sehe, dass das nicht nur für mich, sondern für alle Neuzugänge in der Familie gilt. Annas Lebensmittelpunkt ist die Familie, sie hat eine unglaubliche Art, für die Familie da zu sein und sie zusammenzuhalten. Nicht nur einmal hat sie zu mir gesagt, das Wichtigste im Leben seien für sie die Kinder. Das ist ein Satz, mit dem ich mich zu 100 Prozent identifizieren kann. Nie werde ich vergessen, wie Anna völlig unvermittelt anbot, auf unseren kleinen Sohn Paul aufzupassen, während ich nach dem Elternjahr in meinen Vollzeitjob in der Klinik zurückkehren sollte und wollte, um meine Facharztausbildung zu beenden. Wir liefen damals über den Ku’damm, sie schob den Kinderwagen mit Paul und sagte es so ernst, aber gleichzeitig so leicht und selbstverständlich, dass ich dachte: Weiß sie eigentlich, worauf sie sich da einlässt, jeden Tag von morgens bis abends ein einjähriges Kind, bei meinen Nachtdiensten und Überstunden? – Anna hat diese Zusage ein ganzes Jahr lang voll durchgezogen, ohne sich je anmerken zu lassen, wie anstrengend das gewesen sein muss, obgleich sie manches Mal doch recht müde aussah, wenn ich Paul abends abholte. Dafür liebt Paul, wie alle anderen Enkelkinder, seine Oma über alles. Und mir hat Anna durch diese uneigennützige und großartige Hilfestellung die Möglichkeit gegeben, meine berufliche Selbstverwirklichung zu erreichen.

      Bemerkenswert finde ich dabei aber auch gerade den Umstand, dass Anna trotz ihrer Hingabe für die Familie ihre Arbeit als Model konsequent ernst nimmt und durchzieht. Wenn Anna zur Arbeit geht, geht sie zur Arbeit, dann steht sie für andere Dinge nicht

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