Die kleine Dame melodiert ganz wunderbar (4). Stefanie Taschinski
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Читать онлайн книгу Die kleine Dame melodiert ganz wunderbar (4) - Stefanie Taschinski страница 5
»Hast du etwa auch noch Teig-Tierchen gebacken?«, wollte sie wissen.
»Nein«, antwortete Frau Schnacksel, die sich neben Lilly gehockt hatte. »Das ist echt. Darf ich vorstellen: Selma. Sie ist das Jemenchamäleon meiner Nichte Jessica. Sie ist für zwei Monate nach Australien verreist und ich habe Selma in Pflege.«
Lilly staunte. Sie hätte nicht gedacht, dass Frau Schnacksel eine Nichte hatte, die ein Chamäleon besaß. »Es ist ein Mädchen?«, fragte sie. Denn sie wusste nicht, woran man das bei Chamäleons erkennt.
Pim, der in seinem Körbchen neben dem Küchenschrank döste, hob den Kopf. Er hätte das natürlich sofort am Geruch feststellen können.
Frau Schnacksel nickte. »Du kannst sie gern rausnehmen«, sagte sie. »Die Kleine braucht ohnehin etwas frische Luft.«
Vorsichtig hob Lilly das Chamäleon aus der Tasche. Wie leicht es war.
»Schau mal, Mama.« Lilly setzte das Chamäelon auf den Küchentisch.
»Das sieht ja beinahe so aus wie das Chamäleon der kleinen Dame«, meinte Mama.
Lilly schüttelte den Kopf.
»Gar nicht. Sie ist viel kleiner und hat eine andere Farbe.«
Das Chamäleon namens Selma drehte den Kopf in Richtung des Tellers mit dem Knäckebrot. Ihre Augen rollten, ihre Zunge schnellte hervor, und schwupp, hatte die kleine Selma ein großes Stück Knäcke im Maul.
»Nicht«, rief Mama, »das ist das glutenfreie! Das hab ich noch nicht probiert.«
»Zu spät«, grinste Lilly.
Und ehe jemand die Chamäleondame davon abhalten konnte, hatte sie die Scheibe bis auf ein paar kleine Krümel verschluckt.
Frau Schnacksel öffnete das Küchenfenster. »Zeit für deine Runde«, sagte sie zu Selma und nahm das Chamäleon hoch.
»Läuft sie denn nicht weg?«, fragte Mama.
»Selma ist ein sehr kluges Tier. Sie kommt, sobald ich sie rufe.«
Lilly sah, wie das Chamäleon zielstrebig die Wand hinunterkletterte. »Soll ich nicht schnell Chaka holen?«, schlug sie vor. »Dann können die beiden zusammen auf Salafari gehen.«
Doch Mama legte ihr die Hand auf die Schulter. »Nicht jetzt, Süße. Es gibt noch jemanden, der eine kleine Mittagsrunde braucht.«
Als Pim das hörte, wedelte er mit dem Schwanz.
Gesagt – getan
Lilly musste sich den ganzen Nachmittag gedulden, bis Karlchen abends endlich von ihrer Verabredung nach Hause kam. Natürlich wollte Lilly ihr sofort berichten, wie die kleine Dame die Lage einschätzte, und beginnen, das Kinderzimmer richtig fein aufzuräumen. Aber da schickte Mama sie zusammen mit Pim raus für die Abendrunde und Karlchen schmollte.
Karlchen schmollte mit den Füßen, die heftig über den Gehweg stiefelten. Sie schmollte mit den Händen, die sie zu Fäusten ballte. Sie schmollte mit dem Mund, den sie zusammenpresste, und mit den Augen, die stur geradeaus sahen.
Pim, der an der Leine neben Karlchen lief, wandte ihr seine dunkle Schnauze zu, als wollte er sagen: »Hey, was ist los? Hab ich was falsch gemacht?«
Doch Pim, der ehemalige Räuberhund, hatte rein gar nichts verkehrt gemacht. Im Gegenteil: Gleich an der ersten Straßenecke hatte er brav das Bein gehoben und direkt in den Rinnstein gepieselt. Zwischen zwei Bäumen hatte er ganz schnell ein paar Grashalme gefressen, und als ihnen an der Ampel sein griechischer Kumpel entgegenkam, gab es nur ein kurzes Schnuppern und schon war Pim wieder an Karlchens Seite.
»So ein vergurkter Misttag«, brummte Karlchen in Lillys Richtung. Sie sprach Lilly nicht direkt an, denn wenn Karlchen schmollte, wollte sie mit niemandem reden. Aber zur Sicherheit schimpfte Karlchen so laut, dass Lilly es in jedem Fall hörte. »Zum Kuckuck! Nur wegen Mama und Papa hab ich heute meine Federtasche bei Jakob vergessen!«
»Halb so schlimm. Die bringt er dir morgen mit«, versuchte Lilly, sie zu beruhigen. »Weißt du, vorhin war ich bei der kleinen Dame und …«
»Halb so schlimm? Hallo, es ist sogar doppelt schlimm!«, unterbrach Karlchen sie. »Ich wollte noch mein Bild fertig malen!«
»Dann leih ich dir meine Stifte. Aber wenn du hörst, was mir die kleine Dame geraten hat …«
Karlchen kickte eine Dose weg, die auf dem Gehweg lag.
Eigentlich wäre Pim gern hinterhergesprungen, so wie sie es sonst immer machten. Doch heute hielt Karlchen die Leine einfach zu kurz.
»Von der kleinen Dame will ich sowieso nichts mehr hören, weil wir hier bald wegziehen und …«
Lilly sah, wie Karlchen schwer schluckte. Sie zog die Nase hoch. »… und Frau Schnacksels Chamäelon hab ich auch verpasst«, schniefte sie ganz unglücklich.
Lilly machte zwei lange Schritte und baute sich vor Karlchen auf, schließlich war sie hier die Große.
»Stopp«, sagte sie. »Hör mir mal zu. Ich finde Mamas und Papas Idee, aus dem Brezelhaus auszuziehen, genauso bescheuert wie du.«
Karlchen schob ihre Unterlippe vor. »Oberbescheuert«, sagte sie.
»Und deswegen war ich auch gleich nach der Schule bei der kleinen Dame und wir haben einen Plan geschmiedet.«
»Will die kleine Dame uns ein neues Zimmer zaubern?«, fragte Karlchen stirnrunzelnd.
Lilly nahm Karlchens Hand und zog sie mit. »Die kleine Dame kann doch gar nicht zaubern! Alles, was wir tun müssen, ist, Mama und Papa zu zeigen, dass unser Nest sehr wohl groß genug für einen weiteren Minimenschen ist.«
»Unser Nest«, seufzte Karlchen.
Sie waren jetzt nur noch wenige Schritte vom Brezelhaus entfernt. In der Regenrinne stimmte die Amsel ihr Abendständchen an. Im Nest der Brezelhaus-Tauben raschelte und gurrte es.
»Lilly?«, Karlchen blieb stehen.
Pim setzte sich mit einem kleinen Schnaufer hin.
»Ja?«
»Und wenn der Plan der kleinen Dame nicht funktioniert und wir ausziehen müssen?«
Lilly blickte hoch zur goldenen Brezel, die in der Abendsonne funkelte. »Wir ziehen nicht aus dem Brezelhaus aus«, erklärte sie mit fester Stimme. »Nie, nie, niemals!«
Und wie zur Bekräftigung ihres Schwurs erklang hinter ihnen das tiefe Dingeling-Dingelong von Papa Bärs Fahrradklingel. Im nächsten Moment kam er mit seinem Bakfiets neben ihnen zum Stehen.