Die kleine Dame in den Blauen Bergen (5). Stefanie Taschinski
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Читать онлайн книгу Die kleine Dame in den Blauen Bergen (5) - Stefanie Taschinski страница 2
»Seltwürdig«, sagte die kleine Dame. »Herr Kreideweiß ist sonst immer sehr zuverlässig. Nun, dann kommt der Brief sicher in den nächsten Tagen.«
»Herr Kreideweiß? Wer ist das?«, fragte Lilly, während sie den Briefkasten aufschloss.
»Ein alter Freund von mir. Er ist auf einer mächtigen Bergsalafari quer durch Europa, und ich erwarte seinen Bericht.«
Lilly hörte nur mit einem Ohr zu, denn in ihrem Briefkasten lag ein Brief! Die untere Ecke war umgeknickt, und es klebte eine Fliegenpilz-Briefmarke darauf. »Der ist von Oma!«, rief sie.
»Ich hab mich wohl verhört«, krächzte die Leberwurst, steckte sich die Zahnbürste ins linke Ohr und begann, rischelwischelpisch, zu putzen.
»Bäh!« Lilly verzog das Gesicht.
Da wechselte Herr Leberwurst schon das Ohr und putzte rechts weiter. Mit einem Plopp zog er die Zahnbürste aus dem Ohr. »Was hast du gesagt?«
»Ich … ich meinte, dass der Brief von meiner Oma ist.«
Nun klopfte die kleine Dame gegen ihren Schirm. »Chaka, hast du jemals von einer OMA im Brezelhaus gehört?«
Der Schirm wechselte seine Farbe von Pfefferminzgrün zu Butterblumengelb, und Chakas Schwanz, der unten aus dem Schirmoberteil ragte, formte ein Fragezeichen.
Lilly schüttelte den Kopf. »Oma ist eben einfach Mamas Mama.«
»Ts, ts, ts, eben einfach?«, wiederholte die kleine Dame mit einem Lachen.
»Karlchen und ich kennen sie auch fast gar nicht. Aber jetzt kommt sie uns endlich besuchen, weil sie Bruno sehen will.«
»Seit wir gemeinsam die geheimsten Winkel des Hinterhofs erforschen, war sie noch kein einziges Mal hier, oder kann sie sich etwa unsichtbar machen?«, fragte die kleine Dame.
»Ich glaub, irgendwie schon. Aber anders als du.« Lilly sah wieder auf den Brief. »Ich muss hoch. Kommst du mit?«
Doch die kleine Dame war bereits auf dem Weg zur Haustür. »Wir haben noch einige Messungen vorzubereiten.« Schon war sie mit Chaka aus dem Haus spaziert. »Bis später!«
Lilly flitzte die Treppe zum Hochparterre hinauf. Vor ihrer alten Wohnungstür wurde sie ein bisschen langsamer, denn nach drei Monaten hatte sie sich noch nicht ganz daran gewöhnt, dass sie, Mama und Papa, Karlchen und Bruno und Pim, ihr schwarzer Hund, jetzt auf der anderen Flurseite in Leberwursts Hausmeisterwohnung wohnten. Die hatte nämlich zwei Zimmer mehr als die alte Wohnung der Familie Bär und war für eine Familie mit drei Kindern viel besser geeignet.
Mithilfe der kleinen Dame war es ihnen gelungen, den nasenhaarigen Hausmeister dazu zu bringen, seine Wohnung mit ihnen zu tauschen. Darüber war Lilly sehr froh, denn um nichts in der Welt wollte sie aus dem Brezelhaus ausziehen – nicht einmal für ihren süßen Minibruder.
Lilly schloss auf und schlüpfte in den Flur. Neben der Garderobe standen einige Umzugskartons. Nach Brunos Geburt waren sie noch nicht dazu gekommen, sie alle auszupacken.
»Bin wieder da«, rief Lilly.
Rechts neben ihr ging die Badezimmertür auf, und Karlchen winkte ihr zu. »Kannst du heißes Wasser aufsetzen? Und Mama Bescheid geben, dass Papa Brunolein gleich fertig gebadet hat.«
Hinter Karlchen hörte Lilly ein leises Quengeln und Platschen.
»Er bekommt Hunger!«, rief Papa durch die Tür.
Das Quengeln wurde lauter.
»Mach ich!«
Keine zehn Minuten später saßen Karlchen und Lilly neben Mama auf dem großen Mama-Papa-Bett. Auf dem Nachttisch dampfte der Tee, den Lilly gekocht hatte, und Bruno lag zufrieden nuckelnd in Mamas Arm.
»Darf ich den Brief vorlesen?«, fragte Karlchen und sah neugierig auf den Umschlag. »Was ist denn das für eine Briefmarke?«
»Ein Fliegenpilz.« Mama strich den Mädchen über den Kopf. »Wechselt euch doch ab.«
»Aber ich mach ihn auf«, sagte Lilly, und noch bevor Karlchen protestieren konnte, hatte sie den Umschlag aufgerissen.
Sie faltete das Papier auseinander und hielt es so, dass Karlchen mit reinschauen konnte. »Du darfst anfangen.«
»Danke.« Karlchen runzelte die Stirn. »Griaß eich mit-a-nand.«
Sie sah fragend zu Mama. »Was schreibt Oma denn da?«
Mama lachte. »Na, das heißt so viel wie ›hallo, meine Süßen‹.«
Neben Mama machte Papa ein grunzendes Geräusch. »Von ›meine Süßen‹ hab ich aber nichts gehört.«
»Ich les weiter«, sagte Karlchen. »I konn … ned … keman.«
»Sie kommt nicht?«, fragte Lilly und zupfte Karlchen den Brief aus der Hand.
Mama schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Du hast dich bestimmt verlesen. Lilly, lies du mal weiter.«
Lilly las. »Die Sissi ist schwer erkrankt und tut kein Futter nehme. I mua noch ihr schaun. I kimm, sobald i vamog. Pfiat eich, Oma Anni.«
Papa Bär schloss die Augen. »Ich versteh ja nur die Hälfte, aber …«
Mama legte Bruno auf die andere Seite. »Das kann alles nicht wahr sein.«
»Wer ist Sissi?«, fragte Karlchen.
»Die ist sehr krank, schreibt Oma«, sagte Lilly.
Mama sah zur Decke. »Sissi ist Omas Lieblingskuh.«
»Ihre Kuh?«, fragten Lilly und Karlchen gleichzeitig.
Papa schüttelte den Kopf. »Deine Mutter wollte in zwei Tagen hier sein. Sie hat uns seit fünf Jahren nicht mehr besucht und jetzt sagt sie ab, weil ihre Kuh krank ist!«
»Hat Oma ihre Kuh lieber als uns?«, fragte Lilly.
Mama legte Bruno an ihre Schulter und klopfte sanft auf seinen Rücken, bis er ein ordentliches Bäuerchen machte. »Bestimmt nicht. Nein! Mit der Oma und mir … ist es nicht so einfach.«
Papa schnaubte. »Schatz, mit dir ist alles einfach. Aber deine Mutter …« Er sprach den Satz nicht zu Ende.
»Es war nicht leicht für sie, dass ich ausgerechnet nach Hamburg gegangen bin«, sagte Mama.
»Als wenn das das Ende der Welt wäre«, widersprach Papa.
»Für meine Mutter schon.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Lilly.
Papa kam um das Bett herum und nahm Mamas Hand. »Ich denke, wir verschieben den Besuch, bis die Kuh deiner Mutter wieder munter ist.«
Mama