Das Mysterium der Einheit in der Vielheit. Stefan Ahmann

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Das Mysterium der Einheit in der Vielheit - Stefan Ahmann

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ist also ganz allein die Selbsterkenntnis und Selbstwahrnehmung des Menschen. Wenn sich der Mensch als verbunden erlebt, als Teil von allem, dann wird er folgerichtig und „automatisch“ das tun, was man als „moralisch gut“ bezeichnet. Ein Mensch hingegen, der sich als getrennt erlebt, kann solche guten Handlungen zwar imitieren, aber das sind dann bloße Äußerlichkeiten. Die „guten Werke“, die im Christentum so sehr Vordergrund stehen, sind bloß die Folge der rechten Selbsterkenntnis, die im Hinduismus im Vordergrund steht. So könnte man zwar von zwei unterschiedlichen Ansätzen sprechen, aber der Kern ist der gleiche, vor allem dann, wenn man berücksichtigt, dass Jesus Christus die Selbsterkenntnis gelehrt hat, indem er gesagt hat: „Ich und der Vater sind eins“ und „Das Reich Gottes ist in euch“. Die mystischen Aussprüche Christi stehen dem Advaita Vedanta sehr nahe. Aber gerade dieser Teil seiner Lehre wurde am häufigsten gar nicht oder falsch verstanden, einfach weil er im Kontext der aus Vorschriften bestehenden Morallehren des Alten Testaments manchen vielleicht als weniger wichtig erschien und weil er mehr auf das Innere zielt als auf das Äußere, das den allermeisten Menschen leider näher liegt und das sie leichter verstehen können.

      Im Interesse der Annäherung der spirituellen Bewegungen und Religionen ist es natürlich zu begrüßen, wenn Eckhart Tolle und andere Lehrer, die eher einer indischen oder buddhistischen Tradition zuzuordnen sind, Offenbarungsschriften, wie das Neue Testament oder die Bibel, im Sinne ihrer Lehre interpretieren, wobei sie oft erstaunliche Parallelen finden. Gerade in Kernaussagen, wie dem „Ich bin der ich bin“ oder „Ich und der Vater sind eins“ findet sich eine unleugbare Übereinstimmung indischer und semitischer Lehren. Dennoch ist es so, dass diese Einordnung von Offenbarungsschriften in die eigene Lehre vieles ignoriert oder auch den Sinn entstellt und verkürzt, denn während Offenbarungsschriften natürlich oft das bestätigen, was die Selbsterforschung dieser Lehrer zutage gefördert hat, so geht Offenbarung doch per Definition eben über Selbsterforschung hinaus und ist eine Kommunikation höherer Ebenen mit unserer irdischen Ebene. Das Zusammenwachsen von Offenbarungsreligionen und spirituellen Bewegungen, die stärker auf Meditation und philosophische Erkenntnisse setzen, würde darin bestehen, dass Anhänger von Offenbarungsreligionen (Christen, Muslime etc.) auch grundlegende Meditationstechniken (Atem-, Zen- etc.) nutzen und auch die Methoden und tiefen philosophischen Erkenntnisse der indischen Spiritualität, etwa des Advaita Vedanta, kennenlernen, dass aber auch andererseits Menschen, die z.B. in buddhistischen und Vedanta-Traditionen ihren geistigen Weg gehen, die Legitimität und die tiefe Bedeutung von Offenbarungen, Eingebungen und Glauben verstehen und anerkennen. Denn ein ganzes und vollständiges Bild erhält man nur, wenn man alle im Untertitel dieses Buches genannten spirituellen Wege und Erkenntnisquellen berücksichtigt und miteinander verbindet.

      Dass Gott die Welt geschaffen hat, ist ja so etwas wie ein religiöser Konsens. Die Frage nach Schöpfer und Schöpfung ist eine in fast allen Religionen sehr zentrale. Bei den Details der Frage und der Antwort auf sie wird es interessant: Wer oder was ist Gott? Was ist die Welt? Hat er sie in der Vergangenheit erschaffen oder ist das „Schaffen“ etwas, was im Hier und Jetzt stattfindet? Gibt es eine Kausalbeziehung zwischen Gott (als Ursache) und der Welt (als Wirkung) oder ist das Konzept der Kausalität nur immanent gültig? Ist Gott in uns, außer uns, oder beides? Sind wir in Gott oder ist Gott in uns – oder beides? Ist die Welt wirklich oder ist sie nur ein Bild, eine Projektion - oder gar ein Trugbild? Oder ist sie das Abbild eines Urbildes? Bei den Antworten auf diese „Detailfragen“ divergieren die Religionen oft sehr stark.

      Selbsterkenntnis bedeutet im Vedanta, das wahre Selbst in sich als reines Bewusstsein zu erkennen, woraufhin sich die Identität des Selbst mit dem kosmischen Geist, Brahman, erschließt. Wer also das Selbst in sich kennt, kennt den Urgrund allen Seins. Es „kennen“ heißt aber es sein. Dieses Sein-wahres-Wesen-Sein ist aber nichts anderes, als ein Nicht-mehr-von-der-Welt-geblendet-Sein (wobei die Welt „Maya“ ist). Einheit ist demnach Realität, Vielheit ist Illusion. Sagen Nahtoderfahrungen dasselbe? Ja und nein. Sie sagen: „Einheit ist Realität, Getrenntheit ist Illusion.“ Das ist der entscheidende Unterschied und die entscheidende Richtigstellung. In der geistigen Welt besteht die Vielheit, die wir auf der Erde kennen, fort und doch gibt es kein Gefühl der Getrenntheit mehr, sondern ein Gefühl der Liebe und Verbundenheit. Das bedeutet ein Sowohl-als-Auch: Die Wesen sind selbstbewusste Einzelwesen und doch ganz miteinander und mit der Quelle verbunden. Sie sind miteinander verbunden, weil sie mit der „Quelle“, mit ihrem tiefsten Wesen verbunden sind. Das ist die große Lehre aus Nahtoderfahrungen und es gibt gute Gründe, zu sagen, dass damit die Lehre, dass Vielheit nur Täuschung ist und nur auf Unwissenheit beruht, widerlegt ist. Vielheit ist Realität, aber ein Geheimnis; ebenso ist Einheit Realität, aber ein Geheimnis: Der kürzeste Ausdruck für dieses Geheimnis ist „Einheit-in-der-Vielheit“.

      Das „östliche“ Weltbild des Advaita Vedanta geht von der Erfahrung aus und Rupert Spira hat Recht, wenn er fragt, wovon man denn auch sonst ausgehen sollte. „Erfahrung“ ist aber nicht im Sinne von „Erfahrungswissenschaft“ zu verstehen, sondern im Sinne von unmittelbarer, „innerer“ Erfahrung, von jener Erfahrung, die einfach schaut, „Was ist da?“ und die die Tatsache des Bewusstseins nicht überspringt, sondern bei ihr anfängt. Wenn man mit Hilfe dieser Methode die „äußere“, vermeintlich objektive, aber in Wahrheit vom Bewusstsein geschaffene Realität gewissermaßen durchschaut und enttarnt, dann bleibt jenseits der Welt der Vielheit die absolute Einheit des Selbst, das Atman und Brahman zugleich ist. Der Mensch sagt dann: „Ich bin Brahman und es gibt nichts, was nicht Brahman ist. Es gibt keine von mir verschiedenen Objekte. Es gibt auch keine Individuen. Es gibt Brahman und alles was sich in der Welt der Vielheit darstellt, ist im Innersten nur das „Gesicht Gottes“. Alle Wesen sind Brahman und jeder Unterschied zwischen ihnen ist ausschließlich Maya oder Täuschung.“ Es muss nicht besonders hervorgehoben werden, dass dieses Weltbild die Einheit in der Vielheit betont. Allerdings merkt man auch, dass der Begriff „Weltbild“ hier nicht mehr passen will; es ist nichts anderes als ein intuitives Verstehen der Welt, ja mehr noch: Es ist Wissen als Sein, also im Hinblick auf das herkömmliche Wissen betrachtet eigentlich Nicht-Wissen oder das „Zurückweisen“ von (letztlich immer unzureichenden) Weltbildern. Deswegen kann es auch mit Worten nicht weitergegeben werden und deswegen sind alle Fragen, die darauf zielen, letztlich nur Fragen, die davon ablenken, wie klug auch die Antworten sein mögen. Ramana Maharshi sagte zu Recht, die höchste Lehre würde in der Stille gegeben.

      Das andere, „westliche“ Weltbild betont verhältnismäßig stärker die Vielheit und die Individuation. Dies ist das esoterischchristliche Weltbild, wie es sich auch aus den Offenbarungen unserer Zeit, den Nahtoderfahrungen, ergibt. In diesem Weltbild gehen wir als Geschöpfe Gottes, als Individuen in Gruppen, die das irdische Dasein transzendieren, einen spirituellen Entwicklungsweg, der zu größerem spirituellen Wissen und zur Entwicklung selbstloser Liebe führt. Auch in diesem Weltbild sind wir insofern eins, als wir alle Kinder Gottes sind, aber es gibt einen übergeordneten, alles verbindenden Geist (Gott) und Schöpfungen dieses Geistes, die eben nicht nur Maya oder Täuschung sind, sondern, wie die biblische Familienmetaphorik es ausdrückt, wirklich seine „Kinder“, von ihm ausgehende Manifestationen, die sowohl selbstständig, als auch von ihm, dem größeren Geist, abhängig sind. Ein wichtiger Unterschied ist, dass man hier einen langsamen geistigen Entwicklungsweg geht, auf dem man zwar die Einheit mit Gott und allen Wesen intuitiv begreift und allmählich lernt, aber dennoch ein kleiner Teil eines großen geistigen Kosmos mit vielen geistigen Wesen ist. Die einzige Entwicklung und das einzige Lernen, das andererseits im Weltbild des Vedanta stattfindet, ist, dass Brahman, der menschgewordene und damit der Täuschung der Maya erlegene einzige Geist oder Gott, diese von ihm selbst geschaffene Illusion durchschaut und sein eigenes Wesen erkennt, indem er begreift: „Ich bin. Ich bin bewusst. Ich bin alles und außer mir ist nichts.“

      Natürlich ist keines dieser Weltbilder wirklich falsch. Sie sind gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille und doch ist dieser Satz allein zu wenig, wenn wir sie philosophisch miteinander in Einklang bringen wollen, was ein großes Ziel dieses Buches ist. Zunächst muss deutlich gezeigt werden, dass sie sich im Innersten nicht widersprechen. Das beide Weltbilder umfassende Weltbild ist das der „Einheit-in-der-Vielheit“. Diese Einheit in der Vielheit

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