Im Strom. Hans Garbaden

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Im Strom - Hans Garbaden

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den Brand schnell unter Kontrolle bekommen. Nur ein Teil der Schule musste neu eingedeckt werden. Eine Woche später wurden neue Dachpfannen angeliefert. Selbst die Erstklässler mussten beim Hochtragen mit anpacken. So verging für die Schüler ein nicht enden wollender Schultag damit, Dachziegel vier endlos lange Treppen hochzuschleppen. Der dicke Schulleiter stand mit den Händen in den Hüften dabei, beaufsichtigte die Arbeiten und hielt die Schüler an, für jeden Gang nach oben zwei statt einen Ziegel zu tragen.

      Auch an die Heultöne der Sirenen, die einen Bombenangriff der englischen oder amerikanischen Geschwader ankündigten, konnten sich die Freunde erinnern. Die Mütter der beiden Kinder hatten an der einen Hand den Jungen und in der anderen Hand einen Koffer mit Dokumenten wie Geburts-, Heirats-, Sterbeurkunden und Ariernachweis der Familie und alles, was als wertvoll erachtet wurde und hineinpasste, und liefen vor dem Bombenhagel der Alliierten zum Bunker. Da die Angriffe sehr häufig in der Nacht passierten, wurden die aus dem Tiefschlaf gerissenen Kinder mehr in die Sicherheit des Bunkers gezogen, als dass sie an der Hand der Mutter gingen. Die Mutter von Heinz hatte ihm später einmal erzählt, dass „Fliegeralarm“ das erste Wort war, das er fehlerfrei sprechen konnte.

      Auch an ein Spielzeugflugzeug konnte Heinz sich erinnern. Spielzeug für Kinder war in den Kriegsjahren Mangelware. Seine Mutter war jedoch hellwach gewesen, als in ihrer Straße ein Mann von Haus zu Haus ging, den sie unschwer als kriegsgefangenen Russen erkannt hatte. Er bot ein Modellflugzeug an, das er aus Metallresten aus einem Rüstungsbetrieb, in dem er arbeiten musste, in seiner Freizeit gebaut hatte. Sie hatte ihn im Hausflur abgefangen, bevor er an der Wohnung gegenüber, in der Peter, ein fast gleichaltriger Junge wohnte, klingeln konnte. Sie machte den Handel perfekt, bevor Peters Mutter in die Kaufverhandlungen einbezogen wurde. So wurde Heinz stolzer Besitzer eines wundervollen, handgearbeiteten Modellflugzeugs. Es war ein Flugzeugtyp der deutschen Luftwaffe. Auch dieses Flugzeug hat den Krieg nicht überdauert. Es wurde ein Opfer einer Brandbombe, die im letzten Kriegsjahr das Wohnhaus der Bendowskis traf.

      Dass die Bunker keine absolute Sicherheit gegen die Bomben der Alliierten boten, mussten Heinz und seine Mutter auf besonders schmerzliche Weise erfahren. Sie hatten Mutters Freundin Elsbeth in Harburg besucht. Heinzʼ Mutter wollte Elsbeth Trost spenden, weil deren Mann an der Front in Russland gefallen war. „Für Führer und Vaterland“, wie es auf der schriftlichen Nachricht, die Elsbeth bekommen hatte, hieß.

      Während die Mutter von Heinz die schluchzende Freundin tröstend im Arm hielt, ertönte plötzlich Fliegeralarm. Schnell suchten die drei Zuflucht in einem in der Nähe gelegenen Tiefbunker. Es dauerte nicht lange, und ein Inferno brach los. Da der Harburger Hafen den Alliierten kriegswichtig erschien, wurde dieser Stadtteil besonders stark bombardiert. Die Wände des Bunkers wackelten, die Menschen schrien, und die Kinder klammerten sich an die Mütter.

      Als die Entwarnungssirene ertönte, war ein Teil des Bunkers zerbombt und eingestürzt. Die Ausgänge waren verschüttet. Panik brach unter den noch Lebenden aus. Nach Stunden voller Verzweiflung und Angst zwischen Toten und Verletzten wurden die Überlebenden von Feuerwehrleuten, die zuvor die Brände um den Bunker gelöscht und die Trümmer beseitigt hatten, herausgeholt.

      Elsbeth und die Bendowskis waren mit dem Schrecken davongekommen. Da keine Verkehrsmittel mehr fuhren, mussten Heinz und seine Mutter zwischen brennenden Wohnhäusern zu Fuß nach Wilhelmsburg zurücklaufen. Dabei mussten sie über Schuttberge klettern und über Leichen oder Leichenteile steigen. Als sie in die Fährstraße einbogen, sahen sie es schon von weitem: Das Wohnhaus war von einer Bombe so schwer getroffen worden, dass es unbewohnbar war.

      Irene Bendowski stammte aus Ertinghausen, einem Dorf im Solling; abseits der Autobahnen und Bundesstraßen. In diesem Ort, der eingebettet in einer hügeligen Landschaft in der Nähe von Nort-heim lag, war die Welt noch in Ordnung. Irene Bendowskis Eltern lebten als Rentner in einer kleinen Kate am Dorfrand. Es war selbstverständlich, dass sie ihre Tochter mit Enkel trotz ihrer beengten Wohnverhältnisse bei sich aufnahmen.

      Heinzʼ Mutter bekam in einem Anbau ein karges Zimmer, das aus einem alten Hühnerstall von ihrem Vater zu einem Zimmer ausgebaut worden war. Heinz bezog den Spitzboden unter dem Dach der Kate. Auf dem Rücken im Bett liegend, blickte er auf die nicht isolierten Dachpfannen, durch die der Wind pfiff. Die kalten Winternächte überstand er unter einem dicken Federbett. Wenn er mit dem Gesicht zur Wand schlief, war durch seine Atemluft nach frostigen Nächten am nächsten Morgen die Wand mit Eisblumen verziert.

      Zur Kate gehörte ein Schuppen. Hierin hielten die Großeltern Kaninchen. Auch die Hühner hatten hier ihr Nachtquartier. Im Haushalt wurde nichts verschwendet oder wie die Großmutter sagte, „kam nichts um“. Küchenabfälle wurden an die Hühner und Karnickel verfüttert. Der Großvater schlachtete selbst. In der Waschküche der Kate hingen dann die abgezogenen Kaninchen und bluteten aus. Anders als in den Großstädten, in denen schon Mangel herrschte, war der Tisch immer gut gedeckt. Auch Zeitungspapier wurde weiterverwertet. Der Großvater verbrachte jeden Tag etwas Zeit damit, ausgelesene Zeitungen in handliche Stücke zu zerschneiden und als Klopapier auf einen Nagel neben dem Donnerbalken zu spießen.

      Vom Krieg merkten die Bewohner des abgelegenen Dorfes noch nichts. Heinz, der in Hamburg nach seiner Einschulung nur noch bis zur Zerstörung ihres Wohnhauses den Unterricht besuchen konnte, ging in die Volksschule des Nachbardorfes. Ein Lehrer unterrichtete alle Jahrgänge von sechs bis vierzehn Jahren in allen Fächern in einem einzigen Raum.

      Für die Kinder waren das Dorf und die ländliche Umgebung im Vergleich zu den bombardierten Städten das reine Paradies. Heinz trieb sich nach der Schulzeit in den Ställen der Gehöfte herum, während seine Mutter der Großmutter im Haushalt oder bei der Versorgung der Schweine, Gänse und Hühner half. Sie wartete auf ein Lebenszeichen ihres Mannes, der irgendwo an der Ostfront in Russland war.

      Heinz hatte an seinen Vater keine Erinnerung, denn der war kurz nach seiner Geburt eingezogen worden.

      Eines Tages kam der Krieg doch noch in das stille Dorf. Mit ein paar gleichaltrigen Freunden streunte Heinz durch die Umgebung, und sie wurden wieder einmal magisch von dem in der Nähe gelegenen Eisenbahntunnel angezogen. Es war ihnen von den Müttern und dem Lehrer streng untersagt worden, diesen Tunnel zu betreten. Es fuhr zwar unregelmäßig, aber hin und wieder ein Regionalzug durch. Die Anziehungskraft des Tunnels war für die Kinder an diesem Tag jedoch zu groß. Sie liefen unter lautem Gejohle hinein. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wurden sie still. Sie sahen eine große Anzahl von Waffen der deutschen Wehrmacht, wie Gewehre und Panzerfäuste. Auch Munition, Uniformen und Stahlhelme lagen herum. Die Kinder liefen ins Dorf zurück, um ihren Fund zu melden. Später hörte Heinz von seinem Großvater, dass sich Soldaten, die keine Chance auf den Endsieg mehr sahen, im Tunnel ihrer Waffen und Uniformen entledigt hatten und in den Wäldern des Solling das Kriegsende abwarteten.

      Ein paar Wochen später hatte Heinz von seiner Mutter die erste und einzige Backpfeife seines Lebens bekommen. Sie waren auf dem Weg zum Kolonialwarenladen, als sie dem Lehrer begegneten. Mit Beginn der Schulzeit war den Kindern als erste Amtshandlung der Hitlergruß beigebracht worden. Sowohl nach der Einschulung in Hamburg, als auch bei Schulbeginn in der einklassigen Dorfschule hatten die Lehrer allergrößten Wert darauf gelegt.

      Heinz hatte bei der Begegnung auf der Straße, wie an jedem Schultag vor Beginn der ersten Unterrichtsstunde, den rechten Arm hochgerissen, und „Heil Hitler, Herr Lehrer“, gebrüllt.

      Heinz hatte wegen der Backpfeife die Welt nicht mehr verstanden. Seine Mutter hatte daraufhin selbst auf ihre Reaktion erschreckt reagiert und versucht, Heinz aufzuklären. Sie hatte ihn schnell weitergezogen und etwas von Kriegsende und Kapitulation erzählt und dass er auf diese Art niemanden mehr begrüßen dürfe.

      Nach Kriegsende hoffte Irene Bendowski auf eine Rückkehr ihres Mannes nach Hamburg. Sie hatte seit Monaten kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Tränenreich wurde von Eltern und Großeltern Abschied genommen. Irene

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