Der Tempel der Drachen. Frank Rehfeld
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Читать онлайн книгу Der Tempel der Drachen - Frank Rehfeld страница 4
Aylon bückte sich. Hinter der Pforte war nichts als Schwärze zu erkennen. Darum bemüht, sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, folgte er dem Magier durch die Öffnung. Das Kribbeln, vor dem ihn Maziroc gewarnt hatte, war kaum zu spüren, und vielleicht hätte er es nicht einmal bemerkt, wenn er nicht bewusst darauf geachtet hätte, dafür erschreckte ihn etwas anderes umso mehr. Für einen Moment glaubte er, den Boden unter den Füßen zu verlieren und von der Schwärze aufgesogen zu werden. Ihm wurde schwindelig, aber noch bevor er das Gefühl richtig wahrnehmen konnte, hatte er die Pforte bereits durchquert.
Verwundert schaute er sich um. Was er sah, war völlig anders als alles, was er erwartet hatte. Die Mauer umfasste ein vom Mondlicht beschienenes Areal, das zu groß war, um es mit Blicken völlig zu erfassen. Darin erhob sich wie ein finsterer, gedrungener Klotz ein gleichfalls riesiges Bauwerk. Einst mochte es eine beeindruckende Festung gewesen sein, aber das musste bereits eine Ewigkeit zurückliegen. Nun war es nur noch eine Ruine; eine gewaltige Ruine zwar, aber dennoch kaum mehr als ein Schutthaufen. Zumindest sah es von außen so aus. Von ungläubigem Staunen erfüllt, ließ Aylon seinen Blick über die zerklüftete Fassade schweifen. Regen und Wind hatten daran genagt und deutliche Spuren hinterlassen. Die Zeit hatte die zyklopischen Außenwälle zerfressen; sie waren von Rissen durchfurcht und vielfach geborsten, an mehreren Stellen sogar ganz in sich zusammengebrochen. Wie zum Hohn stand das Eingangsportal noch an seinem Platz, während die Mauer zu beiden Seiten nur mehr ein von Unkraut überwucherter Haufen aus Geröll war.
Aylon verstand nicht viel vom Kriegshandwerk, dennoch war auf den ersten Blick zu erkennen, dass die Festung nicht allein ein Opfer der Jahrhunderte geworden war. Diese hatten sicherlich zu ihrem Verfall beigetragen, aber zuvor war sie geschleift worden. Die Spuren einer gewaltsamen Eroberung waren unverkennbar.
Fasziniert trat er auf das Portal zu. Aus der Nähe konnte er sehen, dass die meisten Gebäude ein Raub von Flammen geworden waren. Die Mauern waren pockennarbig und vom Ruß geschwärzt. Vereinzelt hoben sich verkohlte Balken wie dunkle Skelettfinger gegen den Sternenhimmel ab. Die Nacht war klar und wolkenlos, und der Mond schien hell, aber trotzdem hatte sich hinter den ausgefranst wirkenden Fensterhöhlen tiefe, von huschenden Bewegungen erfüllte Finsternis eingenistet. Aylon hatte das Gefühl, von unsichtbaren Augen angestarrt zu werden. Ein eisiger Schauer lief über seinen Rücken und sein Herz schlug schneller. Er war längst nicht mehr so begierig wie noch vor ein paar Minuten darauf, mehr über das Geheimnis der verbotenen Zone zu erfahren. Was auch immer es mit der Ruine auf sich haben mochte, sie flößte ihm Unbehagen ein. Mehr noch: Angst. Zugleich schlug ihn die Fremdartigkeit der Umgebung aber auch in ihren Bann und er trat noch ein paar Schritte weiter vor.
Der Boden unter seinen Füßen bestand aus unnatürlich grauem Schlamm, in dem sich ölig glänzende Pfützen gebildet hatten. Ein fauliger Gestank stieg daraus auf. Plötzlich bewegte sich der Boden, wurde von schlangenförmigen Wellen durchfurcht, als ob etwas unter dem Morast rasend schnell herankriechen würde. Ein schriller, verzerrter Schrei ertönte, fremdartiger als alles, was Aylon je gehört hatte.
Auch er schrie und wich mit zwei weiten Sätzen an Mazirocs Seite zurück. Die Bewegungen hörten auf; der Boden war wieder so trügerisch glatt wie zuvor.
"Was ... ist das?"
"Das ursprüngliche Cavillon", erklärte Maziroc. "Das, was noch davon übrig ist. Nur wenige wissen davon, und noch weniger haben es je mit eigenen Augen gesehen. Es wurde bereits vor mehr als einem Jahrtausend zerstört."
"Die Damonen?", erkundigte sich Aylon verwirrt.
"Ja, wenigstens zum Teil. Sie haben Arcana schon einmal überfallen, damals, als die Ishar und Vingala noch einen gemeinsamen Orden bildeten. Niemand wusste, woher sie kamen. Auch damals brachen sie plötzlich aus einer Weltenbresche hervor und begannen damit, das Land zu unterjochen. Die Menschen hielten sie für Dämonen, weil sie den Höllenkreaturen glichen, von denen die Prediger sprachen, und auch wenn sie in Wahrheit keine waren, prägte sich der Name ein." Maziroc machte eine kurze Pause. Er atmete ein paarmal tief durch, bevor er fortfuhr: "Mit vereinten Kräften gelang es den Hexen und Magiern, dem Elben, Zwergen und sogar Barbarenkriegern, die Damonen zurückzuschlagen und die Weltenbresche wieder zu verschließen, doch Cavillon sank in Schutt und Asche. Erst viel später wurde es an gleicher Stelle wieder aufgebaut, größer und prächtiger als zuvor. Du wirst es jetzt vielleicht noch nicht verstehen, aber auch wenn seine Unbesiegbarkeit nur ein Mythos ist, ist er dennoch wichtig, unendlich wichtig. Erst diese Legende verleiht Cavillon seinen Glanz und den Menschen Hoffnung."
"Aber ..."
"Du fragst dich, warum die Ruine nicht abgerissen wurde, nicht wahr? Nun, ursprünglich sollte sie als Mahnmal erhalten bleiben. Dann aber erkannten wir, dass uns der Krieg ein noch viel schlimmeres Erbe hinterlassen hatte. In seinem Verlauf waren Kräfte heraufbeschworen worden, die seit Äonen schliefen, und die auch wir wir nicht mehr zu bezwingen vermochten. Dunkle Mächte, Nachtmahre, die älter und furchtbarer noch als die Damonen sind. Der Hass, der Schmerz, das Morden ... Sie nahmen durch die von uns selbst freigesetzte Magie Gestalt an und ergriffen von diesem Ort Besitz." Das Gesicht des Magiers nahm einen gequälten Ausdruck an. Er schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, schien ein Ruck durch seine Gestalt zu gehen und er straffte sich. "Komm, wir haben etwas zu erledigen. Die Rune schützt uns zwar, aber trotzdem sollten wir nicht länger als nötig hierbleiben. Wir müssen in die Katakomben unter der Ruine. Glücklicherweise sind sie noch weitgehend unversehrt erhalten."
Aylon nickte beklommen. Mazirocs Worte hatten mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, aber er schwieg. Später würden sie noch genügend Zeit zum Reden haben. Schon was er bis jetzt gehört hatte, versetzte dem Weltbild, das man ihn von Kindheit an gelehrt hatte, solche Risse, dass es ihm schwerfiel, alles aufzunehmen und zu begreifen.
Durch das Portal gelangten sie auf einen ehemaligen Hof und betraten eines der Gebäude. Maziroc entzündete zwei Fackeln und gab Aylon eine davon. Sie gingen einen halb verschütteten Korridor entlang und erreichten eine steinerne, steil in die Tiefe führende Treppe. Ein Schwall feuchter, modriger Luft schlug ihnen entgegen. Die Stufen mündeten in eine Halle, von der wiederum mehrere Treppen abzweigten. Weißlicher Salpeter glitzerte wie ein bizarres, kunstvolles Gespinst an den Wänden. Auch hier lagen überall Schutt und Geröll, aber wie Maziroc gesagt hatte, waren die Verwüstungen längst nicht so schlimm, wie an der Erdoberfläche.
Mit wachsender Beklemmung folgte Aylon dem Magier in die unterirdische Steinwelt, durch ein labyrinthartiges Gewirr verwinkelter Treppen und alptraumhaft gekrümmter Korridore tiefer in den Leib der Erde hinab. Er begriff nicht, wie sich Maziroc hier zurechtfinden konnte, aber der Magier fand seinen Weg mit traumwandlerischer Sicherheit, ohne auch nur ein einziges Mal zu stocken oder gar stehen zu bleiben, um sich zu orientieren. Es schien, als wäre er schon zahlreiche Male hier gewesen. Anfangs versuchte Aylon, sich den Weg einzuprägen, doch schon nach ein paar Minuten verlor er vollends die Orientierung. Manchmal hatte er den Eindruck, als würde sich das Labyrinth allen Naturgesetzen zum Hohn verändern. Dann glaubte er Bekanntes zu entdecken, aber wenn er auf einen solchen Punkt zueilte, musste er stets erkennen, dass er sich getäuscht hatte.
Das Unbehagen, das er schon beim Betreten der verbotenen Zone verspürt hatte, verstärkte sich hier noch, und auch seine Angst wuchs sprunghaft an. Er glaubte, das Gewicht der Tonnen von Felsgestein über seinem Kopf wie einen körperlichen Alpdruck zu spüren, fühlte sich wie lebendig begraben. Das Fremde, von dem Maziroc gesprochen hatte, war immer noch da und belauerte sie. Auch wenn es sich seinem Blick immer wieder entzog, konnte er es deutlich spüren. Er bildete sich