Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred Bekker
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Das Krächzen eines Raben, der in einem der blattlosen Äste eines knorrigen, vom Blitz getroffenen Baumes hockt, mischt sich mit dem metallischen Ratschen einer Waffe, die durchgeladen wird.
Es ist lausig kalt, aber fast windstill.
Letzteres ist selten in der Gegend und wirkt beinahe so, als hielte die Natur den Atem an, als würde sie die Konzentration des Jägers vor dem Schuss teilen.
Die Waffe wird angelegt, das Zielfernrohr justiert.
Im Fadenkreuz befindet sich das Gesicht eines Menschen. Man sieht sogar, dass es grinst. Ein Grinsen, das im krassen Gegensatz zur Melancholie der Landschaft steht.
Noch ahnt der Mann, zu dem dieses Gesicht gehört, nichts davon, dass er zur Zielscheibe geworden ist.
Der Finger legt sich um den Abzug.
Krümmt sich.
Verstärkt den Druck.
Es ist so leicht.
Das Fadenkreuz liegt genau zwischen den Augen.
Der Druckpunkt wird überschritten.
Eine Melone zerplatzt.
Ein paar Reste hängen noch an der Nylonschnur, deren oberes Ende um einen Ast geknotet worden ist.
Das Fadenkreuz schwenkt nach links, zur zweiten Melone, auf die das Foto eines anderen Mannes geklebt wurde. Der Rabe fliegt krächzend davon. Die zweite Melone schwingt etwas hin und her. Der Schuss trifft sie trotzdem.
Training ist eben alles!
Dezember ...
Ein Schrei, der Entschlossenheit demonstrieren soll. Die Hand trifft auf die Spanplatte auf und zuckt zurück.
Ein weiterer Schrei folgt – diesmal vor Schmerz.
„Wo sind Sie mit Ihren Gedanken?“
„So ein verdammter Mist!“
„Wir machen hier Kampfsport! Wenn Sie mit Ihren Gedanken nicht richtig dabei sind, kann das gefährlich werden.“
„Ja, ja ...“
„Und einen Bruchtest sollte man dann schon gar nicht machen! Das habe ich Ihnen aber gesagt!“
„Ah, meine Hand ...“
„Legen Sie ein Kühl-Pack drauf. Und dann machen Sie erst einmal eine Pause.“
„Okay.“
„Wenn Sie zuschlagen, haben Sie eine Wut, als wollten Sie jemanden umbringen –
aber Sie vergessen dann alles, was ich Ihnen gesagt habe – und dann tut’s halt weh!
Es geht um Konzentration! Um die Bündelung aller Kräfte - und dazu reicht es nicht, wenn nur die Muskeln fit sind. Das Oberstübchen muss auch mitmachen!“ Januar ...
Peter Gerath ließ das Pferd – eine ruhige Island-Stute – den aufgeweichten Feldweg entlangtraben. Es hatte am Vortag geregnet, und die Wege waren entsprechend nass.
Die Hufe sanken manchmal ein paar Zentimeter in den Schlamm, und wenn er das Tier durch eine Pfütze preschen ließ, spritzte es hoch auf. Das Wetter war von einem Tag zum anderen vollkommen umgeschlagen, am Tag zuvor noch nasskalt und durchwachsen, an diesem schwitzte Peter Gerath bereits in seiner gefütterten Reiterweste, und es sah nach einem der ersten wirklich schönen Tage des Jahres aus.
Gerath zügelte das Pferd, streckte sich im Sattel und ließ den Blick schweifen. Die Landschaft war durch Hecken, Büsche, kleine Baumgruppen und Wäldchen geprägt.
Dazwischen lagen kleinere Siedlungen oder Gehöfte. Die Wege waren gut in Schuss und wurden wenig frequentiert. Ein Paradies für jemanden, der allein ausreiten und mit sich, seinem Pferd und der Welt allein sein wollte.
Im Südwesten konnte man die ersten Häuser von Münchheide sehen und aus dem Norden klang ein beständiges Rauschen herüber. Das war die A44.
Dahinter begann das Stadtgebiet von Krefeld, und die Tatsache, dass er die Autobahn hören konnte, sagte Gerath, dass er bereits zu weit nach Norden geritten war.
Es war nicht das erste Mal, dass er auf dem Rücken dieser ruhigen Stute, die auf den Namen Laura hörte, förmlich Raum und Zeit vergaß. Selbst sein Handy nahm Peter Gerath auf diese Ausritte, die er sich in schöner Regelmäßigkeit einmal in der Woche gönnte, nicht mit. Die Maschinen seiner Firma Avlar Tex mochten rund um die Uhr und ohne Pause laufen – ihr Besitzer gönnte sich den Luxus, zwei bis drei Stunden jeden Sonntagmorgen für sich zu reservieren. Das musste einfach sein. Die Zeit war noch knapp genug bemessen, um die mentalen Batterien wieder aufzuladen.
Peter Gerath sog die noch kühle Luft in sich ein.
Mitte fünfzig bist du, dachte er. Zu alt, um noch mal neu anzufangen, aber alt genug, um schon einiges erreicht zu haben. Der Aufbau von Avlar Tex, einer Herstellerfirma für Spezialfasern, hatte seine Haare grau und seine Gesichtszüge hart und wie aus Stein gemeißelt werden lassen. Der Erfolg hatte eben seinen Preis. Aber der Preis des Misserfolgs war höher – in so fern dachte Gerath nicht im Traum daran, sich zu beklagen.
Letzte, bereits verblassende Nebelschwaden krochen aus den Gräben heraus, stiegen von den feuchten Feldern empor, bis sie von der Kraft der Sonnenstrahlen aufgelöst wurden. Peter Gerath versuchte diesen wunderschönen Anblick zu genießen, ihn in sich aufzunehmen und diesen Eindruck in seinem Gehirn abzuspeichern, damit er ihn jederzeit wieder abrufen konnte, wenn die Dämonen des hektischen Arbeitstages ihn allzu sehr hetzten. Er versuchte an nichts zu denken. An gar nichts. Aber das war zurzeit unmöglich.
Ich sollte mit allem Schluss machen, dachte er. Das ist es nicht wert. Soll jemand anderes die Millionen einsacken und dafür das Risiko in Kauf nehmen, immer und in jeder Hinsicht die Zielscheibe zu sein! Warum tust du dir das an? Dir und deiner Familie?
Die Gedanken rasten nur so durch seinen Kopf. Es war ein schlechtes Zeichen, wenn er nicht einmal in dieser Umgebung abzuschalten vermochte. Das kam nur ganz selten vor. Gerath schluckte und schloss für einen Moment die Augen. Das überraschend warme, fast schon frühlingshafte Sonnenlicht schimmerte rot durch seine Augenlider.
Du bringst es zu Ende, dachte er. Und gleichgültig, was dir die Stimmen in deinem Kopf auch einflüstern mögen, du gibst nicht so einfach auf und lässt dich vom Geld jagen ...
Einigen leitenden Angestellten von Avlar Tex hatte Gerath schon einmal Seminare gegen das Burn-out-Syndrom verordnet. Er selbst glaubte allerdings, so etwas nicht nötig zu haben. Vielleicht ein Irrtum!, hörte er den Kommentator in seinem Hinterkopf, der sich einfach nicht unterdrücken ließ. Die Zeichen waren doch deutlich. Und wer, zum Teufel, verlangte eigentlich von ihm, dass er den Super-Macher spielte – abgesehen von ihm selbst?
Peter Gerath öffnete die Augen. Er seufzte hörbar, er rang förmlich nach frischer Luft.
Das