Muss ich dir die Wahrheit sagen? Der dramatische Arztroman. Sandy Palmer

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Muss ich dir die Wahrheit sagen? Der dramatische Arztroman - Sandy Palmer

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wie er es in den letzten Wochen immer häufiger getan hatte.

      Was fehlte ihm nur? Warum tat er so etwas? Warum gab er seinen Untergebenen Grund, über ihn zu spotten und zu lästern? Warum erniedrigte er sich so?

      Dabei war er ein ausgezeichneter Arzt, ein glänzender Chirurg, der seit Jahrzehnten in der Fachwelt einen ausgezeichneten Ruf genoss.

      War es vielleicht das Alter, das ihm zu schaffen machte? Er war mit seinen achtundsechzig Jahren schließlich nicht mehr der Jüngste. Und schon mehrmals hatte Barbara ihn dabei ertappt, dass er sich die Augen rieb und sich mit einer müden Geste über die Stirn strich.

      Es hatte ihr immer ein wenig weh getan, ihn so müde sehen zu müssen, da stets eine tiefe Resignation in seinem Gesicht zu lesen stand.

      Während sie ihren Gedanken nachhing, hatte sie sich darangegeben, das Operationsbesteck zu wechseln. Die benutzten Skalpelle, Klammern und Nadeln legte sie in den Sterilisator, und aus dem zweiten silberglänzenden, völlig keimfreien Behälter nahm sie neue Operationsinstrumente heraus.

      „Sind Sie schon wieder bereit, Schwester Barbara?“ Dr. Breitner, der junge Assistenzarzt, trat zu ihr. „Sie sind mit Abstand die tüchtigste OP-Schwester, die wir je hier hatten“, lobte er.

      Barbara errötete. „Ich tue nur meine Pflicht“, gab sie leise zur Antwort.

      „Das tun wir alle, aber wie wir es tun, das ist wichtig.“

      Der junge Arzt trat noch ein wenig näher zu dem schönen Mädchen hin. Verliebt betrachtete er das ebenmäßige Gesicht der Schwester, ihren kleinen, nur zart rosa geschminkten Mund, ihre blauen Augen, die von einem Kranz dichter Wimpern umrahmt wurden und ihre süße Stupsnase, die dazu verlockte, geküsst zu werden.

      Jetzt fiel auch noch ein kleiner Sonnenstrahl durch die mattierten Fenster des Operationssaales, und er zauberte Reflexe in das blonde Haar Barbaras, so dass es goldene Kringel bekam. Das Häubchen saß keck auf dem halblangen Haar, das Schwester Barbara im Operationssaal stets zusammengebunden trug, das in ihrer Freizeit jedoch in Wellen auf ihre Schultern fiel.

      „Barbara“, sagte Markus Breitner in diesem Augenblick, „gehen Sie heute Abend endlich einmal mit mir essen? Ich habe Sie schon so oft darum gebeten, doch immer haben Sie mir einen Korb gegeben. Warum eigentlich? Bin ich Ihnen so unsympathisch?“

      Die junge Schwester schaute von ihrer Arbeit hoch und dem Arzt direkt in die Augen. Sie lächelte ein wenig, als sie antwortete: „Unsympathisch sind Sie mir nicht, Herr Doktor, aber Sie scheinen nicht die ungeschriebenen Gesetze zu kennen, die an jeder Klinik herrschen. Und eines dieser Gesetze besagt: Flirte nie mit Ärzten, das gibt nur Ärger mit der Verwaltung und den anderen Ärzten. Und ich möchte diesen Ärger vermeiden. Es gefällt mir hier an diesem Krankenhaus. Ich arbeite gern hier – und ich möchte nicht durch Tratsch und Neid und Intrigen meine Stellung hier verlieren.“

      „Aber es braucht doch niemand zu erfahren, dass wir gemeinsam aus waren!“, rief Markus unterdrückt aus.

      „Irgendwann einmal käme es doch heraus“, erwiderte das Mädchen. „Und dann finge der Ärger an. Nein, Herr Doktor, es ist nett, dass Sie mich einladen wollen, aber ich bleibe bei meiner Absage.“

      „Sie sind grausam, Barbara.“ Markus Breitner legte seinen ganzen Charme, von dem er eine ganze Menge hatte – und den er auch schon oft erprobt hatte – in seine Stimme und in seinen Blick. Doch die Masche verfing bei Barbara nicht. Sie lächelte nur freundlich und widmete sich weiter intensiv ihrer Arbeit.

      Inzwischen war der Operationssaal wieder gesäubert, und zwei Schwestern brachten Direktor Kürschner herein.

      „Wo bleibt nur Professor Gerstenbach?“ Dr. Breitner sah auf die Uhr. „Es ist schon weit über die Zeit. Ob er sich wieder mal entschuldigen lässt und anderen die Arbeit zuschanzt?“

      Barbara blickte hoch. Was wollte der junge Arzt damit sagen?

      „Ich will nicht hoffen, dass es wieder so ist. In letzter Zeit häufen sich seine Drückebergereien.“ Der Oberarzt sprach noch deutlicher aus, was Markus nur angedeutet hatte.

      „Warum sollte sich der Professor vor der Arbeit drücken?“ Barbara sah die beiden Männer in der grünen Operationstracht fragend an.

      „Genau weiß ich das auch nicht, doch ich habe einen ganz bestimmten Verdacht“, antwortete Oberarzt Dr. Munther zögernd.

      „Und der wäre?“ Barbaras Stimme klang ganz atemlos vor Spannung.

      „Warum interessiert Sie das denn so?“ Markus Breitner blickte überrascht zu der OP-Schwester hin. Wie verstört das schöne Mädchen aussah! Ob sie eventuell Gefühle für den alten Professor hegte? Aber das konnte doch nicht sein! Markus verbannte die Eifersucht, die in ihm aufsteigen wollte, schnell wieder. Sicher war es nur grenzenlose Bewunderung, die die junge Schwester dem Professor entgegenbrachte. Sie wollte deshalb nicht einsehen, dass auch er nur ein Mensch mit Fehlern und Schwächen war.

      Markus Breitner gestand sich ein, dass es auch ihm anfangs so gegangen war, als er in dieses Krankenhaus gekommen war. Er hatte schon viel von Professor Gerstenbach gehört gehabt und einen Heidenrespekt vor ihm.

      Lange hatte dieser Zustand angedauert, fast zwei Jahre. Doch im letzten Vierteljahr hatte er erkennen müssen, dass auch der verehrte Professor Gerstenbach Schwächen hatte.

      Und seine größte Schwäche war der Stolz! Er konnte nicht abtreten, konnte seinen Platz nicht freimachen für jüngere, frischere Mediziner, die über mehr Elan verfügten als er.

      Dabei wurde es von Tag zu Tag deutlicher, dass er immer größere Schwierigkeiten bei den Operationen hatte. Manchmal hatte Markus sogar das Gefühl, dass Professor Gerstenbach gar nicht richtig sah, was er tat.

      Erst in der letzten Woche war es nur durch das beherzte Eingreifen Dr. Munthers gelungen, den Professor daran zu hindern, eine große Arterie durchzuschneiden, die er mit einem Sehnenstrang verwechselt hatte.

      Sah er etwa nicht mehr genau, was er tat, ließ seine Augenschärfe nach?

      Markus Breitner und der Oberarzt hatten sich diese Frage im Anschluss an diese Operation in einem vertraulichen Gespräch gestellt, und sie waren zu der Überzeugung gelangt, dass es so sein musste. Anders ließen sich die Fehler, die Professor Gerstenbach in letzter Zeit unterliefen, einfach nicht erklären.

      Aber wenn es wirklich so war, dann war es direkt sündhaft, dass der alte Chirurg nicht abtrat, dass er immer noch weiter operierte, dass er Menschenleben gefährdete, nur weil seine Eitelkeit größer war als sein Verantwortungsbewusstsein dem ihm anvertrauten Menschen gegenüber.

      „Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Schwester Barbara“, lächelte er. „Warum sind Sie so sehr an der Person unseres Chefs interessiert?“

      „Darf ich nicht menschlichen Anteil an seinem Schicksal nehmen?“, fragte das blonde Mädchen zurück. „Wenn Sie bereit sind, ihn schlechtzumachen, darf ich ihn doch sicher verteidigen, oder?“

      „Und warum tun Sie das?“

      „Weil ich Ungerechtigkeit nicht ausstehen kann!“ Barbaras Stimme war schärfer geworden, und sie blitzte den jungen Arzt wütend an.

      „Wie schön Sie sind in Ihrem Zorn.“ Markus Breitner sah ein, dass er zu weit gegangen war und versuchte, das Thema zu wechseln.

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