Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts. Sandy Palmer

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Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts - Sandy Palmer

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style="font-size:15px;">      Ja, aber vielleicht sei der Künstler im Herzen noch Heide gewesen. Er habe ja zu einer Zeit des Übergangs vom Heidentum zum Christentum gelebt. Und wie wolle man den Berghang anders erklären?

      Indes, Irmi blieb hartnäckig bei ihrer Auffassung und schien meine Meinung sogar als Verstoß gegen das erste Gebot zu empfinden: Du sollst an einen Gott glauben. Sie selbst war, das wusste ich schon lange, streng katholisch. Das war ich zwar an und für sich auch, aber offenbar nicht ganz so streng wie sie. Immerhin wurde ich wegen unserer eigenen glückseligen Himmelfahrt in der vergangenen Nacht von einem schlechten Gewissen geplagt, nicht sehr, aber eben doch. Solche Himmelfahrten sind ja, zumindest laut katholischer Morallehre, ausschließlich Paaren erlaubt, denen zuvor ein Gottesmann den Segen der Kirche gespendet hat. Alles andere ist schwere Sünde, für die man, falls man sie nicht rechtzeitig beichtet, in das ewige Feuer der Hölle geworfen wird. Ob auch Irmi deshalb ein schlechtes Gewissen hatte? Ich wagte sie nicht zu fragen. Zugleich wünschte ich mir ja noch unendlich viele Wiederholungen dieser Sünde. Aber vermutlich ja. Und vielleicht hielt sie mich jetzt für einen verdammenswerten Ungläubigen, wer weiß.

      Montag, 23. Juni 1969. Morgen.

      Ich finde Irmi, bereits emsig arbeitend, in der Bibliothek. Freudig erregt, begrüße ich sie im Flüsterton. Sie blickt auf, wirft mir einen langen und, so scheint es, unendlich traurigen Blick zu.

      „Komm, gehen wir hinaus“, murmelt sie anstelle einer Begrüßung. Und draußen, mit steinerner Miene und im Ton einer Grabrede: „Du, Benedikt, so kann das nicht weitergehen.“

      „Ha? Was kann so nicht weitergehen?“, stammle ich, und mir schwant nichts Gutes.

      „Das soll heißen, dass es aus ist. Es ist aus zwischen uns.“

      Ich kann sie nur fassungslos anstarren und glaube zu ersticken. Mein Herz hört auf zu schlagen. Der Boden unter mir gibt nach. Die Wände des Ganges, in dem wir stehen, drehen sich in absurdem Tempo.

      „Es tut mir leid“, höre ich sie wie aus weiter Ferne sagen. Sie wendet sich ab, verschwindet hinter der Bibliothekstür, lässt mich in einem Zustand völliger Bestürzung zurück. Glich ich in der vorletzten Nacht einem vom Blick der Gorgo Medusa Versteinerten, so gleiche ich jetzt wohl einem Menschen, der zusehen muss, wie die Welt untergeht.

      4

      Tatsächlich ging damals für mich die Welt unter. Durch nichts war Irmi zu bewegen, ihre Entscheidung rückgängig zu machen oder auch nur zu begründen. Ich glaube, ich hätte mir die Brust aufreißen und ihr mein gebrochenes Herz zeigen können; es hätte nichts genutzt. Homer würde sagen: Die Augen standen ihr wie Horn oder Eisen unbewegt in den Lidern. Aus purer Verzweiflung beendete ich meine Arbeit am Thesaurus – mein Stipendium lief ohnedies mit Ende August aus; allerdings hatte ich bereits um Verlängerung angesucht – und kehrte München den Rücken. Irmi hingegen (das weiß ich durch die regelmäßigen Rundbriefe an ehemalige Mitarbeiter) blieb am Thesaurus, und wir verloren uns gänzlich aus den Augen. Was nicht heißen soll, dass ich sie jemals vergessen hätte. Nein, die Erinnerung an sie und unsere Liebe ließ mich niemals los und hörte niemals auf, mich zu verfolgen. Und immer wieder fragte ich mich: Was habe ich nur falsch gemacht? Sie hat mich doch geliebt, vielleicht nicht so inbrünstig wie ich sie. Oder vielleicht doch? Einem mit mehr Erfahrung, als ich damals hatte, wäre solches sicher nicht passiert. Was hätte der anders, was hätte er besser gemacht?

      Tatsache ist: Ich besaß praktisch null Erfahrung. Wo hätte ich mir auch eine solche erwerben sollen, aufgewachsen, wie ich bin, in streng katholischem Milieu: in einer frommen Familie und in einer geistlichen Knabenschule? Heutzutage sind ja schon die Kleinen mehr oder weniger aufgeklärt und haben zumindest eine dunkle Ahnung vom Unterschied zwischen Männlein und Weiblein und dessen Zweck. Wir hingegen – ach Gott, wir waren ja so was von unaufgeklärt. Unschuldig nannte man es damals. Wie „unschuldig“, soll ein Beispiel zeigen: Schon als Zehn-, Zwölf-, Vierzehnjähriger durfte (oder musste) ich des Öfteren mit einer Gleichaltrigen schlafen. Sie hieß Karin, und ihre und meine Eltern waren befreundet. Und immer dann, wenn ein Elternpaar am Abend ausging, wurden wir in der jeweils anderen Familie zusammengesteckt, soll heißen, mussten wir zusammen in einem Bett, unter derselben Decke, schlafen, fühlten uns wie ein richtiges Ehepaar und kamen uns ungeheuer erwachsen vor. Und da erhebt sich nun die Frage: Was trieben wir unter der Decke? Die richtige Antwort lautet: Nichts. Gar nichts. Wir waren ahnungslose Engel und wären nie auf die Idee gekommen, dass man da etwas treiben könnte, ebenso wenig wie anscheinend unsere Eltern.

      Zum Glück kamen sie auch nicht auf die Idee, mich als Ministrant betätigen zu lassen oder in ein geistliches Internat zu stecken. In Melk, wo wir lebten, gab es ja ein solches, angeschlossen an das von mir besuchte geistliche Gymnasium in dem berühmten Kloster, das unsere kleine Stadt im buchstäblichen Sinne überragt. So kam ich nicht in Gefahr, durch das süße Begehren allzu kinderliebender Priester allzu früh meine sogenannte Unschuld zu verlieren, sondern wurde von der offiziellen katholischen Lehre geprägt, und die besagt: Meide die Frauen als Gefäß der Sünde und hüte dich vor jeder Unkeuschheit, sei es in Gedanken, Worten oder Taten; denn das wäre eine Sünde wider das sechste Gebot. Wobei uns nie erklärt wurde, was das Wörtchen unkeusch bedeuten soll; ich konnte mir darunter absolut nichts vorstellen, so sehr ich mich auch vor jeder Beichte bemühte, nicht einmal, als mich zu gegebener Zeit die sogenannten feuchten Träume heimzusuchen begannen.

      Diese waren mir nämlich über alle Begriffe peinlich, schon zu Hause, noch mehr aber, als ich in Wien zu studieren begann und zunächst bei einer Tante, einer sogenannten alten Jungfer, Unterschlupf fand. Niemand hat sich jemals dazu herabgelassen, mir dieses Phänomen zu erklären (oder auch andere, etwa den Umstand, dass ich bei Zugfahrten regelmäßig von Dauererektionen gepeinigt wurde). Und mir zu verraten, was man dagegen unternehmen könnte, fiel natürlich niemandem ein – außer der Frau Jirka, einer Freundin meiner Tante.

      Wie diese war Frau Jirka uralt, wohlgemerkt, in meinen damaligen Augen. Heute kann ich über eine solche Einschätzung nur lachen. Objektiv betrachtet, war weder die Tante noch Frau Jirka alt. Noch dazu war diese deutlich jünger als die Tante. Sie war Witwe. Ihr Mann war im Krieg gefallen. Damals, erzählte sie mir, habe man in der Regel besonders früh und besonders schnell geheiratet, nämlich für den Fall, dass der Mann nicht mehr heimkommen sollte, ein Fall, der bei ihr tatsächlich eingetreten sei. Und so habe der Sohn, der auf die Welt kam, als sein Vater nicht mehr unter den Lebenden weilte, wenigstens nicht als uneheliches Kind gegolten und habe seinen Namen tragen können. (Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie grausam damals die unehelichen Kinder und deren Mütter diskriminiert wurden. Um ein harmloses Beispiel zu geben: Ein Religionslehrer, zugleich Pfarrer der Gemeinde, legte sein Veto gegen ein Sehrgut in Betragen ein, das die übrigen Lehrer für das Zeugnis einer braven Schülerin vorgesehen hatten. Seine Begründung: Sie ist doch ein uneheliches Kind.)

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