Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts. Sandy Palmer
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Dies geschah, wie schon erwähnt, im September 1967. Ich übersiedelte nach München und fand dort die Liebe meines Lebens. Und obwohl ihr Geist offenbar ähnlich wie der meine von den Fesseln katholischer Erziehung gelähmt war, ermöglichte uns nach allzu langem Darben Gott Bacchus eine Erfüllung aller unserer geheimen Wünsche und Sehnsüchte, obwohl wir noch nicht den Segen von Mutter Kirche empfangen hatten; denn natürlich betete ich täglich darum, dass Irmi meine Frau werden möge. Aber dann verstieß sie mich ohne Vorwarnung und ohne jede Begründung von heute auf morgen, stieß mich in einen Abgrund an Schmerz und Unglück.
Und siehe da, jetzt, nach so vielen Jahrzehnten, steht sie plötzlich neben mir und blickt mich unverwandt an, und ihre Augen glänzen verdächtig, und sofort ist das alte Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Seelenverwandtschaft, der Leidenschaft wieder da und macht meinen Kopf glühen und die Ohren dröhnen und mein Herz im Rhythmus eines Höllentanzes hämmern, und ich habe mit den Tränen zu kämpfen, und mich drängt es, ihr um den Hals zu fallen und sie an mich zu drücken und sie stürmisch zu küssen. Zugleich scheue ich eben davor zurück, und nicht nur, weil Yvonne, meine Liebste, in der Nähe steht (und mit einem wildfremden Mannsbild schäkert).
„Ich werd verrückt“, stammle ich. „Irmi? Meine Irmi?“
„Ach, Benedikt“, stammelt sie. „Du sprichst noch mit mir?“
„Aber wieso sollte ich nicht mit dir sprechen?“
„Weil ich ... Ach, du weißt schon. Bist du mir noch bös?“
„Ich ... dir? Nach so langer Zeit?“
„Du hast dich kaum verändert.“
„Aber geh.“
„Ich habe dich sofort erkannt. Also bist du mir nicht mehr bös?“
„Aber nein. Wo denkst du hin.“
„Bist du auch allein?“
„Ich? Nein, nein. Ich bin liiert.“ Und ich zeige auf Yvonne. „Ich bin nur geflüchtet, weil mich der mit seiner stinkenden Giftnudel vertrieben hat.“
„Der sie gerade anbaggert?“
Ich lache. „Und mit dem sie gerade schäkert. Genau. Und du? Du bist allein?“
In diesem Moment kommt Bewegung in die Menschenmenge. Was ist los? Ach, unser Boot legt soeben an, und alle geraten in Panik, sie könnten auf ihm keinen Platz mehr finden und müssten die Nacht hier auf Delos unter freiem Himmel verbringen (was ohnedies verboten ist) und unterdessen verhungern und verdursten. Irmi und ich geraten nicht in Panik, sondern setzen uns nur zögernd in Bewegung, blicken uns mit unglücklicher Miene an und beschließen in wortloser Übereinkunft, dass wir uns nicht sofort wieder aus den Augen verlieren dürfen, dass wir zumindest unser unvollendetes Gespräch weiterführen müssen. Ob wir es auf dem Boot fortsetzen können, ist ja höchst ungewiss. Also frage ich sie, in welchem Hotel auf Mykonos sie wohnt, und sie erwidert, in gar keinem Hotel, sondern in einem Privatzimmer nahe den berühmten Windmühlen, und beschreibt mir bereitwillig den genauen Weg dorthin, und ich verspreche, sie, sobald ich mich freimachen könne, zu besuchen; ihre Privatunterkunft dürfte von unserem Hotel aus leicht zu Fuß zu erreichen sein.
Yvonne empfängt mich mit der sarkastischen Bemerkung, ich hätte den Zigarettenrauch wohl zum Vorwand genommen, um mir eine neue Freundin anzulachen.
O nein, erwidere ich in ähnlichem Ton. Sondern um ihr Gelegenheit zu geben, sich einen neuen Freund anzulachen. Im Übrigen sei das keine neue, sondern eine alte Freundin von mir, die ich hier durch Zufall oder ein veritables Wunder wiedergefunden hätte.
„Und die du natürlich sofort besuchen musst, um die alte Freundschaft aufzufrischen, wie?“
„Aber nein. Sondern um dir Gelegenheit zu geben, deine neue Freundschaft zu pflegen.“
„Geh, Benedikt, mach dich nicht lächerlich. Nur weil ich einmal ein bisserl mit einem anderen als mit dir geplaudert habe. Das ist halt ein Engländer, der vor zwanzig Jahren in Österreich lebte. Und damals war er ein ganzes Schuljahr lang englischer Sprachassistent an einem Grazer Gymnasium. Vielleicht kennt ihr euch sogar von damals.“
Also kann ich nicht umhin, mit ihm während der Überfahrt nach Mykonos ein kurzes Gespräch zu führen, nur um festzustellen, dass wir uns nicht kennen. Aber trotz meiner spontanen Aversion gegen seine Person bin ich ihm innerlich zutiefst dankbar. Hat er doch Irmi und mich nach über vierzig Jahren unabsichtlich wieder zusammengebracht. Und sobald ich, in unserem Hotel angekommen, geduscht und mich umgezogen habe, gebe ich Yvonne einen flüchtigen Kuss und eile schnurstracks zu Irmi und quäle mich auf dem ganzen Weg zu ihr mit der Frage, wie sie mich wohl empfangen wird.
Wie empfängt sie mich also? Ich staune: Mit stürmischer Umarmung. Und mit einem wahren Strom an Tränen. Ich suche sie zu trösten, indem ich zaghaft ihre tränennassen Wangen streichle, und stelle fest, dass in ihnen noch immer Eros lauert.
„Ach, Benedikt“, sagt sie, sobald sie sich einigermaßen beruhigt hat, „ich war ja so hässlich zu dir. Aber glaub mir, nicht aus bösem Willen oder so. Und auch nicht, weil ich dich zu wenig geliebt hätte. Aber weißt du, ich war so was von verklemmt. Und Mama-hörig. Ich war ihr einziges Kind und ihr einziger Lebensinhalt. Mein Vater ist vor Stalingrad gefallen. Drum hielt sie mich ja auch immer von den Jungen fern. Und als ich eines Tages dich anschleppte, na, da war der Teufel los. Und so ...“
Neuerlich versagt ihr die Stimme, und die Tränen brechen mit unglaublicher Gewalt hervor, und ich bin hin- und hergerissen zwischen Mitleid und gerechtem Zorn. Denn natürlich ist mir durch ihr Geständnis und überhaupt durch die Wiederbegegnung mit ihr die alte, nur oberflächlich vernarbte Wunde aufgebrochen, und ich habe selbst mit den Tränen zu kämpfen.
So stehen wir, ich weiß nicht, wie lange, aneinandergeschmiegt und geben uns dem Schmerz unserer alten Wunden hin, und es dauert eine kleine Ewigkeit, ehe sich Irmi wieder beruhigt und mich bittet, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, sich mir gegenüber setzt und mich schweigend mit großen Augen anblickt.
„Du lebst also allein?“, beginne ich zögernd, um dieses unbehagliche Schweigen zu beenden.
Sie nickt.
„Und? Hast du jemals geheiratet? Oder mit einem Mann zusammengelebt?“
Sie schüttelt den Kopf und stößt ein bitteres Lachen aus. „Nein, nein, der Märchenprinz hat sich kein zweites Mal bei mir eingestellt.