Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts. Sandy Palmer

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Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts - Sandy Palmer

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Gefahr mehr. Außerdem wurde sie mehr und mehr ein Pflegefall. Und da habe ich sie halt gepflegt und selber ganz zu leben vergessen. Und dieser Zustand dauerte, ich weiß nicht, zehn Jahre mindestens.“

      „He, da muss ich dich ja heftig beklagen. Und ich dachte immer, ich bin der Beklagenswerte von uns beiden. Und wie sagst du? Einmal hat sich der Märchenprinz bei dir eingestellt? War das vor oder nach meiner Zeit?“

      Irmi lächelt süß. „Weder noch. Aber ich habe ihn vertrieben. Und erst heute hat er sich mir wieder gezeigt.“

      „Oh, ah“, stammle ich geschmeichelt. „Aber in einem Punkt muss ich dir energisch widersprechen. Von alt und hässlich kann bei dir überhaupt keine Rede sein.“

      „Geh, du Schmeichler.“

      „Wenn ich's dir sage. Viele Jüngere würden sich alle zehn Finger abschlecken, wenn sie nur halb so hübsch und halb so schlank wären.“

      „Oh, danke für das Kompliment. Du schaust aber auch blendend aus. Ich hoffe, du bist so gesund, wie du ausschaust. Das ist ja in unserem Alter leider keine Selbstverständlichkeit mehr.“

      „Nein, wirklich nicht. Und dass ich gesund bin und gesund ausschaue, habe ich, wenn ich ehrlich sein soll, nur der Kunst der Ärzte zu verdanken. Wäre ich ein paar Jahrzehnte früher auf die Welt gekommen, wäre ich in meinem jetzigen Alter höchstwahrscheinlich schon mausetot.“

      „Was sagst du da?“

      „Krebs. Prostatakarzinom. Und frage nicht, um welchen Preis ich noch lebe. Denn wenn ich noch einmal ehrlich sein soll, muss ich dir verraten, dass ein Teil von mir seit der Operation tatsächlich mausetot ist. So tot, dass auch kein Viagra hilft. Heute würde mich keine Frau mehr nehmen.“

      Irmi errötet lieblich. „O ja“, flüstert sie. „Ich schon.“

      „Du schon?“, entfährt es mir. Dann verschlägt es mir die Sprache, und ein paar Herzschläge lang bin ich eine Marmorstatue, eine Sitzstatue aus Marmor, und starre Irmi an wie einen Engel des Herrn, der mir plötzlich erschienen ist; und mich umstrahlt die Herrlichkeit Gottes. Hierauf springe ich auf und tue genau das, wonach es mich schon die ganze Zeit gelüstet: Ich umfasse ihre weichen Wangen, in denen noch immer Eros lauert, und presse meine Lippen auf ihren Mund. Und sie erwidert meine Küsse, und wir küssen uns, als wollten wir all die Küsse nachholen, die wir durch einen menschenfeindlichen Moralkodex, durch den Egoismus einer Mutter, durch die Unbill des Schicksals versäumt haben.

      Nachdem wir uns danach lange Zeit verzückt aus unmittelbarer Nähe angeblickt haben – beide können wir offenbar dieses Wunder noch nicht fassen -, beginnt Irmi: „Liebster Benedikt? Erzählst du mir, wohin es dich verschlagen hat, nachdem du mich und den Thesaurus verlassen hast? Und wie es dir in der Folge ergangen ist? Von mir weißt du ja sicher aus den jährlichen Rundbriefen der Thesaurusleitung an ehemalige Mitarbeiter, dass ich bis zu meiner Pensionierung am Thesaurus geblieben bin und sogar Redaktorin geworden bin. Und wie es mir all die Jahre ergangen ist – na ja, das Wesentliche habe ich ja schon erzählt. Und viel gibt's da nicht hinzuzufügen.“

      9

      Also beginne ich zu erzählen, wie ich mich nach dem Weltuntergang vom Juni 1969 in den österreichischen Schuldienst versetzen ließ. Und wohin? Nun, mein frommer Zimmerkollege aus dem Studentenheim hatte ein Ordensgymnasium in Feldkirch, der westlichsten Stadt Österreichs, besucht und stand anscheinend noch in engem Kontakt zu den dortigen Patres. In deren Auftrag hatte er mich schon mehr als einmal aufgefordert, ja gedrängt, mich dort um eine Stelle als Lehrer zu bewerben; die Schule leide unter akutem Lehrermangel. Natürlich hatte ich bisher stets abgelehnt, ablehnen müssen. Aber auch jetzt noch wurde ich vom Direktor der Schule mit offenen Armen aufgenommen. Also übersiedelte ich im September 1969 nach Feldkirch und trat meinen Dienst als Lehrer an.

      Da einer der Patres Leiter des Feldkircher Kirchenchores war, ließ ich mich sehr leicht überreden, diesem beizutreten. Schon während meiner ganzen Schulzeit in Melk hatte ich als Sängerknabe die verschiedenen kirchlichen Zeremonien verschönern geholfen (und meinen Eltern dadurch das Schulgeld erspart). Jetzt erneut in einem Kirchenchor mitzuwirken war mir sogar ein besonderes Anliegen. Ich scheute mich ja noch immer, das strenge Sonntagsgebot der katholischen Kirche zu missachten. Aber ich hatte damit bereits beträchtliche Schwierigkeiten, nicht weil ich es nicht für gerechtfertigt hielt, sondern weil ich regelmäßig mit entsetzlicher Langeweile zu kämpfen hatte, seit ich in der Kirche nichts mehr zu tun hatte. Die Zeremonien des Priesters am Altar empfand ich mehr und mehr als sinnentleert, wie übrigens auch manche meiner Schüler.

      Einmal besuchten mich nämlich mehrere von ihnen bei mir zu Hause, beklagten sich bitter über den Zwang, täglich die heilige Messe mitzufeiern, und fragten mich, ob ich nicht auch meine, der Sinn der Religion bestehe in wesentlicheren Dingen als in diesem „liturgischen Brimborium“, wie sie es ehrfuchtslos nannten. Ich suchte sie zu trösten, indem ich ihnen vollinhaltlich beipflichtete, und wurde bald darauf vor das hohe Gericht der heiligen Inquisition, nein, der Schul- und Internatsleitung zitiert und regelrecht verhört und, stell dir vor, mit dem Hinauswurf bedroht, sollte ich noch einmal derart ketzerische Ansichten verbreiten.

      Aber jetzt bin ich vom Thema abgekommen. Also zurück zu meiner Langeweile während des Gottesdienstes. Nun, dagegen war Chorgesang für mich in der Tat ein probates Mittel der Abhilfe. Außerdem war man da Teil einer Gemeinschaft, konnte sich auch leise unterhalten und fühlte sich nicht inmitten der Menge der Gläubigen im Kirchenschiff gar so einsam, isoliert, verloren. Und noch etwas: Man konnte in aller Ruhe die Sopranistinnen und Altistinnen studieren und mit der einen oder anderen vielleicht sogar ein wenig flirten, falls sie jung und hübsch genug waren. Denn obwohl ich dir, liebste Irmi, gar heftig nachtrauerte, verzehrte mich unstillbare Sehnsucht nach einer weiblichen Ergänzung meines männlichen Ich. Du weißt ja, jeder Mensch ist genau genommen nur die Hälfte eines ursprünglich vollständigen Doppelwesens. Siehe Platon.

      Auf diese Weise gelang es mir, mit zwei Chormädchen gleichzeitig anzubandeln. Zu dritt gingen wir nach den Chorproben und Gottesdiensten spazieren, und ich nahm beide zugleich in mein Untermietzimmer mit, wo wir nichts anderes taten als gemütlich plaudern. Daraufhin wurde ich, offenbar als Gefahr für die öffentliche Sittlichkeit oder vielleicht auch nur für den guten Ruf meiner Gastfamilie, in hohem Bogen hinausgeschmissen und musste mir eine andere Bleibe suchen.

      Aber das bekümmerte mich nicht sonderlich. Viel mehr bekümmerte mich die Frage: Welche von den zwei Grazien soll ich mir zur Freundin erküren? Schöne Augen machten mir beide. Die eine hieß Augusta und war ausgesprochen hübsch, aber ein wenig dick. Die andere hieß Erika und war nicht ganz so hübsch, aber dafür schlank wie, ja, wie eben eine Grazie. Und da ich bisher weder in die eine noch in die andere schwer verliebt war, musste ein Test die Entscheidung herbeiführen. Ich ermannte mich und versuchte sie, natürlich jede extra, zuerst zu küssen und dann mit einigen Zärtlichkeiten zu bedenken, die bis zur Brust gehen sollten, für mich, wie du weißt, damals ein außergewöhnliches Wagnis. Und das Ergebnis? Augusta stieß mich entrüstet von sich und verabreichte mir eine saftige Ohrfeige. (Vergiss übrigens in diesem Zusammenhang

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