Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval. Bernhard Hennen

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Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval - Bernhard Hennen

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zu lassen. Noch nie hat er jemanden gehört, der so voller Leidenschaft ist, so erfüllt von Liebe zum geschriebenen Wort.

      Elektrisiert von dieser Energie bedankt er sich bei der Schutzfee dieses kleinen Ortes der Ruhe. Wo das geschriebene Wort zum Nachdenken anregt und zum Verweilen einlädt. Aber er kann nicht bleiben, denn die Klänge weiterer fremder Instrumente locken ihn. Und so eilt er vom Chor der Raben zum Hof der Apokalypse, er tanzt mit Elben und trinkt mit Wikingern. Er teilt das Brot mit einem Ritter und stößt an mit einem Haufen wilder Piraten. Die Nacht wird zum Tag und wieder zur Nacht. Das Licht und die Musik ziehen ihn immer wieder zurück, treiben ihn von Bühne zu Lichtung zu Lesung, bis es schließlich, und er weiß nicht mehr, wie, zu Ende geht.

      Der Zauber ist vorbei, die Zelte werden abgebaut. Das fahrende Volk zieht weiter, die Elben und Kobolde und Wikinger und Ritter werden zu Menschen, ziehen sich die Maske des Alltags an und verbergen sich in den Schatten der Zivilisation. Als er den Hof verlassen will, bleibt er mit seinem Band an einem Ast hängen. Er schaut auf das kleine Stück Stoff, das ihn zurückhält. Er lässt den Blick schweifen und erkennt die normalen Menschen hinter der Schminke, die angeklebten Ohren, das nachgemachte Fell. Dann reißt er das Band mit einem Ruck ab.

      Denn er hat sie gesehen – sie haben sein Herz berührt, und er weiß jetzt, dass er sie immer wieder finden kann. Die Elfen und Zwerge, die Feen und Zauberinnen, Ritter und Spielfrauen. Sie sind wahrhaftig – in ihrer Musik, in ihren Geschichten, in ihren Weisen – und jetzt in seinem Kopf, seinem Herz und seiner Seele. Er kam her als verschreckter Junge und geht als befreites Wesen – er weiß noch nicht, welches Fabelwesen in ihm schlummert, aber er wird es finden. Und nächstes Jahr wird er hier sein, und diesmal wird er als eines von ihnen tanzen.

      Wenn die Flamme einmal entzündet ist, verlischt sie nicht wieder. Das Festival hat einen neuen Jünger, und die Welt ist ein bisschen bunter geworden.

Bild

      © Stefan Marchhart

      Astrid Rauner

      Astrid Rauner wurde 1991 in der hessischen Wetterau geboren und hat in Gießen Umwelt- und Ressourcenmanagement studiert. Beruflich ist sie im Bereich Landschaftsökologie und Landschaftsplanung tätig. Ihre große Leidenschaft gilt der Vor- und Frühgeschichte Europas. Zum Thema Kelten und Germanen hat sie sechs Romane veröffentlicht, in denen sie historische Lücken gern mit phantastischen Elementen füllt. Weiterhin ist sie als Herausgeberin und Organisatorin von Live-Rollenspiel-Veranstaltungen aktiv.

      Das Festival-Mediaval hat alles zu bieten, was Astrid Rauner seit Kindertagen liebt: Musik, Literatur und einen breiten Querschnitt der deutschen Mittelalter- und Reenactmentszene. Gerne folgte sie daher schon zweimal der Einladung zu einer Lesung auf Europas größtem Mittelalterfestival, um zu lesen, zu lagern und zu feiern.

      www.astrid-rauner.de

      Eine besondere Genehmigung

      Menschen erinnern sich. Viel besser, als ich es ihnen zugetraut hätte. Fremd ist das alles und vertraut zur gleichen Zeit – wie die Musik aus den riesigen Lautsprechern ihr Echo zwischen den Bäumen schlägt. Dudelsack, Laute und Flöte, von elektrischen Mischpulten zurechtgebogen. Der erste Soundcheck. Anfangs zuckt mein Auge noch, als mich die Klänge überrollen. Was diese Menschen der Musik antun, wirkt falsch. Doch je länger ich sie höre, irgendwie auch vertraut.

      Das kleine Männlein, das mit mir Schritt zu halten versucht, hat die Arme ineinander verschränkt. Mit der Abenddämmerung schlägt Kälte über dem Goldberg nieder. Die Sommersonne verliert Anfang September hier zunehmend an Kraft. Es duftet nach Herbst und Vergänglichkeit, dem die Menschen mit Räucherwerk und Feuerholz trotzen. Sie halten fest an Zeiten und Epochen, die die meisten anderen Bewohner dieses Landes längst losgelassen haben.

      Gerade deshalb bin ich so skeptisch. Es ist mein erster Besuch, doch ich weiß genau, worauf ich achten muss. Die Anweisungen waren eindeutig. Wahrscheinlich ist mein Begleiter deshalb so nervös. Er hat vergessen, sich eine Jacke mitzunehmen und schlottert nun in seinem kurzen Festival-T-Shirt. Das Walkie-Talkie das sämtliche der Verantwortlichen hier herumtragen, hat er ausgeschaltet. Besser wäre es für ihn, wenn dieses Prozedere nicht gestört wird.

      Vom Marktbereich riecht es so verführerisch nach den ersten Leckereien, dass ich mich kurzerhand entscheide, vom langen Weg zur Hauptbühne nach rechts abzubiegen. »Wir fangen hier an!«, verkünde ich meiner Begleitung. Und eigentlich ist klar – wenn es etwas zu finden gibt, dann hier. Die meisten Händler haben ihre Stände bereits aufgebaut. Morgen ist Einlass.

      Mein Appetit steuert mich zielsicher zum ersten Essensstand. Die ersten Vanillekrapfen werden Probe gebacken. Das Fett zischt und es duftet herrlich. Kein Wunder! Zwischen Efeudekoration und allerlei Laternen erkenne ich eine kleine Matronenstatue, die neben der Kasse drapiert ist, ein altes Götterbild aus moderner Fertigung. Ohne ein Wort mache ich halt, blicke erwartungsvoll zu meinem Begleiter, der zum Glück auf Anhieb versteht. Ich hätte es ihm nicht noch einmal erklärt. Sofort wendet er sich an die Krapfen-Bäckerin: »Wir brauchen hier eine kleine Probeportion!«

      »Aber gerne doch!«, antwortet die ältere Dame vergnügt und hebt mit einer Schaumkelle das Zuckergebäck in eine kleine Tonschale. Sie trägt bereits ihre Gewandung und hat sich ein paar Wiesenblumen in die Haare gesteckt. »Darf es für die Dame ein wenig Zimt-Zucker sein? Oder lieber eine feine Soße aus heimischen Früchten?«

      »Mit Soße!«, entscheide ich mich diesmal selbst und nehme kurz darauf das dampfende Gebäck entgegen. Als ich hineinbeiße, vergesse ich fast, meine Begeisterung zurückzuhalten. Mir wurde nicht zu viel versprochen. Das Menschlein neben mir zeigt einen Anflug von Euphorie, bis ich meine Mimik wieder in den Griff bekomme. Eindeutig – ein fast perfektes Gebäck. Der Göttersegen verleiht ihm eine unverkennbare Geschmacksnote. Ich hätte wenig anderes erwartet. Jetzt kommt es drauf an.

      Nachdem ich mir einen zweiten Krapfen in den Mund geschoben habe, nähere ich mich der Theke, um einen genauen Blick auf die Matronenstatue zu werfen. Drei kleine Frauenfiguren mit antikem Kopfputz wurden aus einem weißlichen Material herausgearbeitet, wahrscheinlich Kunststein. Ich hätte mir etwas Würdevolleres gewünscht. Doch diese Zeit hat nun einmal ihre Eigenarten. »Wo ist das Opfer?«, frage ich die Bäckerin unverblümt und nicke in Richtung der Göttinnenbilder. Ihre Irritation lässt mich beinahe ungehalten werden.

      »Welches Opfer?«, hakt sie verdutzt nach und ich bemühe mich, ihr ganz langsam zu erklären: »Ihr backt mit dem Segen dieser Göttinnen? Wo ist ihr Dankopfer?« Ein Herzschlag vergeht, dann noch einer. Endlich realisiert die Dame, dass meine Frage eindeutig ernst gemeint ist. Wahrscheinlich ist es die zunehmende Nervosität meines Orga-Männleins, dass sie fast hektisch nun einen Krapfen frittiert, das Fett abtropft, fein mit Zimt-Zucker anrichtet, nur, um ihn der Statue vor die gemeißelten Füßchen zu bröseln. Vor den kaum fünfzehn Zentimeter großen gallo-römischen Göttinnen liegt nun ein unordentlicher Haufen aus Krapfenresten, deren Krümel teilweise über die Thekenkante rollen. Sie scheint selbst von ihrem Ergebnis nicht besonders begeistert und pflückt kurzerhand eine der Blüten aus ihren Haaren, um sie auf dem Gebäckopfer anzurichten. Ich ziehe kritisch eine Augenbraue in die Höhe und schiebe mir noch einen Krapfen in den Mund. Besser als nichts. Ich ignoriere den verständnislosen Blick meines Begleiters, als ich mein Klemmbrett zücke, mir einzelne Notizen mache und letztlich hinter den ersten Punkt einen Haken setze.

      »Ein Klemmbrett?«, platzt es aus ihm heraus und scheint ihm im nächsten Moment bereits leidzutun. Mein Blick sprüht Gift. »Warum auch nicht?«, zische ich. »Glaubst du, die Zeit ist stehengeblieben, wo ich herkomme?«

      Ja, das glaubt er wohl. Vermutlich hofft er es sogar. Denn in seinem Blick macht sich ein wenig Enttäuschung

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