Hamburgliebe. Stefanie Thiele
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hamburgliebe - Stefanie Thiele страница 5
SmileStuff – Ich bin ein Du
Du bist Autorin, Verlagsfrau, Redakteurin, Erotik-Fachberaterin, Reiki-Lehrerin und hast auch schon einmal ein eigenes Kabarettprogramm auf die Bühne gebracht. Das klingt nach einem interessanten Leben. Wie können wir uns deinen Alltag vorstellen?
Sehr schön! Da du als Überschriften zu den Fragen Kapitelblöcke aus meinem Buch »Der beste Suizid ist immer noch, sich tot zu leben« gewählt hast, erklärt sich das fast von selbst.
Es passt eine Menge Vielfalt in den Alltag, wenn man nicht ausschließlich in die Länge, sondern auch in die Breite leben möchte. Ich habe mich immer wieder verändert, bin aber meinen Wurzeln, Interessen und Talenten treu geblieben.
Für den Broterwerb arbeite ich seit einigen Jahren in der Boutique Bizarre, der größten Erotik-Boutique Europas. Da berate ich Menschen rund um ihre Sexualität und finde die Toys, die zu ihnen passen. Das Schreiben lässt sich dort im Social-Media-Bereich ebenso gut einbringen wie ins Autorinnenleben. Rein privat verlasse ich nach Feierabend aber den Kiez und lebe mit meiner 16-jährigen Tochter ganz solide im schönen Barmbek.
Vielleicht ist der Wechsel zwischen den unterschiedlichen Welten das Geheimnis der Machbarkeit. Freiheit braucht auch immer wieder Erdung, sonst verliert man sich.
HardStuff – nur dieses eine Leben
Du bist eigentlich gebürtige Augsburgerin. Wieso hat es dich vor 20 Jahren nach Hamburg verschlagen?
Es hat mich ebenso nach Hamburg verschlagen, wie es mich einige Jahre zuvor an den Bodensee verschlug: Ich war auf der Suche nach mehr und es ergaben sich Möglichkeiten. Die ergeben sich immer plötzlich, wenn man wirklich etwas Neues finden möchte: ein neuer Job, ein neuer Mensch, neue Ideen und Pläne … Und wenn man die Angst vor Veränderung einfach beiseiteschiebt und sich einlässt, probiert man eben aus und es ergibt sich ein neuer Abschnitt, mit dem vorher nicht zu rechnen war. Für Hamburg war der Auslöser damals tatsächlich die Liebe. Allerdings eine mit geringer Haltbarkeit, kurz nach meinem Ankommen ging mir damals der Kerl stiften. Also hatte ich wieder zwei Möglichkeiten: Entweder würde ich frustriert hadern und Hamburg unter Scheitern verbuchen oder ich blieb und machte diese Stadt zu meiner neuen Liebe. Ich habe mich für Zweites entschieden und diese Wahl nie bereut.
Hamburg bietet viel an Freiheit, an Toleranz und Weltoffenheit. Das sind alles Züge, die mir viel bedeuten. Wer ich heute bin, konnte ich vermutlich nur in Hamburg werden. Hier bin ich gereift, bin Mutter und Autorin geworden, ohne gleichzeitig die mir so ungeliebte starre Bürgerlichkeit annehmen zu müssen. Das ist das Schöne an Hamburg: Du kannst »Hanselette« werden, Gucci tragen und in Eppendorf Latte macchiato mit Zahnarztgattinnen trinken. Aber du musst es nicht.
MindStuff – Part of the Game
Was bedeutet das Kiezleben für dich?
Ein Kiez ist ja erst einmal jedes Viertel, das von Menschen als vielfältig, urban und mit seinen außergewöhnlichen Lebensbedingungen als besondere Heimat empfunden wird. Also das politisch eher linksorientierte Dorf mitten in der Großstadt. Das kann auch die wilde Schanze oder das bis zur Unbezahlbarkeit gentrifizierte St. Georg sein. Aber wer, wie ich, sein Herz an St. Pauli verloren hat, der liebt wohl die Ehrlichkeit vom Kiez. Alles Menschliche, dazu zählen der Schmutz und die Schattenseiten, aber eben auch aufrechte Freundschaften, bedingungslose Unterstützung und echte Wertschätzung. Wenn dich St. Pauli einmal aufgenommen hat, dann hast du bewiesen, dass du dich vom ersten Eindruck eines Menschen weder blenden noch abschrecken lässt und auch selbst nicht in Schubladen gesteckt werden möchtest. Dass du für deinen eigenen Erfolg niemanden opferst. Echtes Kiezleben ist fair und die Währung besteht nur selten aus Geld, ist also im wahrsten Sinne des Wortes »unbezahlbar«. Witzig, dass die meisten Menschen genau das – rund um die Reeperbahn – niemals vermuten würden. Und dennoch ist es so, die Menschen, die auf St. Pauli leben und lieben, ticken so. Vielleicht sind wir hier aber auch einfach die letzten verklärten Romantiker, wer weiß?
Der beste Suizid ist immer noch, sich tot zu leben
Welche sind deine Hamburger Lieblingsorte? Und wo trifft man dich sicher nicht?
Man trifft mich mit großer Wahrscheinlichkeit mittags auf einen schnellen Kaffee im »Lieblings« auf St. Pauli oder an einem freien Tag irgendwo vor dem »Café Mey«, wenn ich als Raucherin pflichtbewusst »draußen« schreibe. Wenn alle Touristen weg sind, irgendwann spätnachts an den Landungsbrücken oder in einem der vielen Hamburger Theater. Die sind Glückselixier pur für mich und irgendwann werde ich unbedingt noch 4 Wochen Urlaub opfern, um eine Regie-Hospitanz im Schauspielhaus hinzubekommen. Das ist seit Jahren ein großer Traum. Möglicherweise könnte man mir auch auf der Elbe, Höhe Wedel, zuwinken, wenn mich besonders liebe Freunde hin und wieder auf ihr wunderbares, kleines, fast antikes Segelboot einladen. Ganz sicher trifft man mich selten bei hippen VIP-Italienern in Eppendorf und niemals in Blankenese oder Othmarschen. Extrem dankbar bin ich dem Leben aber auch, dass (leider eher) unglückliche Viertel wie Jenfeld, Mümmelmannsberg u. Ä. ausscheiden.
Das Leben ist kein verdammter Roman
Aus welchem Fehler in deinem Leben hast du gelernt?
Ich habe hoffentlich aus allen Fehlern gelernt, auch wenn viele davon zu ihrer Zeit richtig oder zumindest notwendig waren. Schlimm ist ja eigentlich immer nur der eine Fehler, der sich niemals wirklich »weglernen« lässt: unüberlegte und verletzende Worte, der Satz zu viel, der Satz zu wenig. Verlorene anstatt verschenkte Zeit. Gut gemeint anstatt gut gemacht. All das, was jeder in seiner dunkelsten Herzkammer bereut. Und ich mache da ganz sicher keine Ausnahme.
Auf den ruinierenden Kauf einer aufgeschwatzten Schrottimmobilie im Osten hätte ich aber tatsächlich gut und gerne verzichten können. Manchmal kann dich eine unüberlegte Unterschrift das halbe Leben kosten. Außer, du bist eine Bank, dann lebt es sich wohl ganz gut damit.
RedLightStuff – Big Spender
In deinem neuen Buch »Eine neutrale Tüte bitte« erzählst du Geschichten aus deinem Alltag im Sex-shop. Magst du uns auch eine deiner Geschichten verraten?
Ich mag menschliche Geschichten. Alles, was uns berührt und überrascht, weil wir es so an einem bestimmten Ort nicht erwartet hätten. Deshalb schreibe ich und deshalb funktioniert vermutlich »Eine neutrale Tüte bitte« bei den LeserInnen so gut, obwohl dem Titel im Vorfeld »leider keine Zielgruppe« prognostiziert wurde. Aber kugelrunde Rocker, die unter der Kutte Lackfummel tragen, sind eben genauso liebenswert zu betrachten wie die Menschen von nebenan, die sich ihre geheimen Sehnsüchte eingestehen.
Ich liebe es, wenn grundsympathische Touristen aus dörflichen Regionen die »Boutique Bizarre« entern und alles, was sie sehen, mit Sätzen honorieren wie: »Komm, Hilde, schau doch mit rein! Hier gibt’s des all’s in echt! Die schwarz’n, besonder’n Sachen wie im Tatort und in dene Reportagen!« Oder ein seriöses, gut situiertes Paar aus der Schweiz, das sich nach einem Ein kauf von mir mit den Worten verabschiedete: »Merci vielmals, Gott segne und beschütze Sie!« Das sind wunderbare