Krimi Jahresband 2020 - 11 Spannungsromane in einem Band!. Frank Rehfeld
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Vandermoore riss seine Waffe hoch und feuerte. Der erste Schuss traf den falschen Cop im Oberschenkel, der zweite durchschlug seinen Hals.
Im nächsten Moment hörte Vandermoore, wie der Motor des Gefangenentransporters gestartet wurde. Mit durchdrehenden Reifen brauste der Wagen davon.
Vandermoore schnellte hoch, versuchte mit einem Schuß die Reifen zu erwischen und ließ dann die Waffe sinken.
Feigling!, dachte er.
2
Um ein Haar hätte ich mich an Helens vorzüglichem Kaffee verschluckt, als ich an diesem Morgen in Mr. Leighs Büro saß und an einer eiligst einberufenen Besprechung teilnahm.
Was Mr. Leigh, der Chef des FBI-Districts New York im Rang eines Special Agent in Charge, uns G-men mitzuteilen hatte, verschlug uns allen die Sprache.
Rod Vandermoore - in der Boulevardpresse und in der Unterwelt auch als 'Die Bestie' bekannt - war von der Gefängnisinsel Riker's Island entkommen.
Erst vor gut drei Monaten war dieser Mann, bei dem es sich um einen der gefährlichsten Lohnkiller in der Geschichte des organisierten Verbrechens handelte, ins Netz des FBI gegangen. Mein Partner Lew Tucker und ich hatten daran nur mittelbaren Anteil. Unser Kollege Special Agent Fred Raska hatte bei der Verhaftung die Einsatzleitung gehabt. Ein Tipp aus Gangster-Kreisen hatte dafür gesorgt, dass Vandermoore auf der New Yorker Gefängnisinsel Riker's Island gelandet war.
Eine ganze Abteilung des District Attorneys arbeitete inzwischen an der Anklageschrift.
Ich tauschte einen kurzen Blick mit Lew. Er war ebenso erstaunt wie ich. Als ich ihn vor einer halben Stunde an unserer bekannten Ecke abgeholt hatte, war von Vandermoores Ausbruch noch nichts in den Radionachrichten gewesen. Aber vielleicht wurden die Informationen auch aus fahndungstaktischen Gründen noch zurück gehalten. Länger als ein paar Stunden würde das aber aller Erfahrung nach nicht klappen. Irgendwo gab es immer eine undichte Stelle.
Außer Lew und mir waren noch ein halbes Dutzend weiterer G-men im Raum, darunter auch Fred Raska.
"Wie konnte das nur passieren?", fragte Fred. "Ich dachte, ein Ausbruch von Riker'S Island sei so gut wie unmöglich!"
Mr. Leigh zuckte die Schultern.
Sein Gesicht wirkte sehr ernst.
"Wie man sieht geht es doch", sagte er.
"Allerdings wohl nicht ohne fremde Hilfe. Ein Computer-Dossier liegt noch nicht vor, aber die Einzelheiten sehen zusammengefasst so aus: Ein Kommando von angeblichen Beamten der State Police wird auf Riker's Island vorstellig, um Vandermoore ins Staatsgefängnis von Newark zu verlegen. Sie legen die richtigen Papiere vor, es kommt die telefonische Bestätigung aus Newark und von der hiesigen Justiz..."
"Das heißt, die konnten völlig unbehelligt mit ihm davonfahren!", stieß unser indianischer Kollege Delladonna hervor.
Mr. Leigh nickte. "Das ist leider der Fall. Dieser Coup ist perfekt eingefädelt worden. Die Täter müssen über Verbindungen verfügen, die es ihnen erlaubt haben, die fingierten Nachrichten abzusenden. Möglicherweise hatten sie Unterstützung von Hackern, um sich in die entsprechenden Datensysteme einzuloggen. Und der Zeitpunkt war auch geschickt gewählt."
"In wie fern?", hakte Lew Tucker nach.
"Weil es seit einigen Wochen ein juristisches Hin und Her um eine mögliche Verlegung gab, über das auch die Medien hinreichend berichtet haben.
Es dürfte so ziemlich jeder New Yorker davon erfahren haben. So schöpfte auch bei den Verantwortlichen auf Riker's Island niemand Verdacht, als es dann tatsächlich zu einer Verlegung des Gefangenen kam."
"Jetzt werden einige Gangster-Größen bestimmt erleichtert aufatmen", war Cleve Caravaggio überzeugt. Der flachsblonde Italo-Amerikaner stellte den Kaffeebecher auf den Tisch und beugte sich etwas vor. "Als erstes würde mir da zum Beispiel der Batistuta-Clan einfallen..."
"Das sind nicht die Einzigen, die froh sind, dass Vandermoore jetzt wohl kaum noch einen Deal mit dem District Attorney schließen und auspacken wird", erklärte unser Chef.
"Es gibt da wirklich genug Adressen für Sie alle und ich kann Ihnen die mühsame Aufgabe leider nicht ersparen, sie der Reihe nach abzuklappern."
Ich sah, dass Lew die Augen verdrehte. Das war genau die Art von Sisiphos-Arbeit, nach der wir uns alle sehnten.
"Die Chancen stehen schlecht, Vandermoore wieder einzufangen", war Fred Raska überzeugt. "So viel Glück wie beim letzten Mal werden wir kaum noch einmal haben..."
Mr. Leigh sah Fred an. "Dieser anonyme Informant, der Ihnen vor drei Monaten den entscheidenden Tipp gegeben hat..."
"...ist leider immer noch so anonym wie ein Schweizer Nummernkonto", sagte Fred. "Aber möglicherweise bekommt der Kerl jetzt kalte Füße. Schließlich könnte Vandermoore wissen, wer für seine Verhaftung verantwortlich ist."
"Dann wird er sich an dem Verräter sicher rächen wollen", sagte ich.
"Eben."
In diesem Moment meldete Helen, die Sekretärin unseres Chefs, über die Gegensprechanlage: "Sir, die Mitarbeiter des District Attorney warten hier!"
"Gut, Helen. Sie möchten hereinkommen!" Mr. Leigh wandte sich wieder uns zu. "Die Staatsanwaltschaft wird Sie jetzt gleich auf den letzten Stand ihrer Prozessvorbereitungen bringen. Vielleicht ergeben sich daraus ein paar Anhaltspunkte, wo wir bei der Fahndung nach Vandermoore am Sinnvollsten ansetzen können!"
Die Staatsanwaltschaft erschien in Gestalt eines grauhaarigen, blassen Mannes mit kantigem Gesicht und einer jungen Frau im adretten Kostüm und seriös wirkender Steckfrisur. Unter dem biederen Kostüm zeichneten sich allerdings deutlich prächtige Kurven ab, die geeignet waren, die männliche Hälfte jeder Geschworenen-Jury völlig aus dem Häuschen zu bringen.
Sie hieß Gail Lebrocki und hatte durch ihre akribische Arbeitsweise von sich reden gemacht. Der Grauhaarige war der Staatsanwalt persönlich. Jay Garrison würde bei den kommenden Wahlen ganz sicher nicht wieder antreten, sondern sich in den Ruhestand zurückziehen. Ziemlich offen favorisierte er Gail Lebrocki als seine Nachfolgerin. Der Ausbruch eines Verbrechers wie Vandermoore konnte die Stimmung natürlich gegen diese Pläne kippen lassen, auch wenn keiner der beiden etwas dafür konnte.
Entsprechend nervös waren die beiden.
"Vor einem halben Jahr wurde Victor Minchew, der Boss der ukrainer Müll-Mafia in Brooklyn ermordet", erinnerte uns Gail Lebrocki. "Dank der Arbeit Ihres Special Case Field Offices, Mr.
Leigh, hatten wir in dem Fall die besten Aussichten, Vandermoore die Tat nachzuweisen und ein Todesurteil zu erwirken."
"Und der mutmaßliche Auftraggeber war der Batistuta-Clan aus Little Italy", ergänzte Fred Raska.
Gail Lebrocki nickte ihm zu. "Die direkte Konkurrenz der Ukrainer - Sie sagen es!"
Und Jay Garrison sagte: "Auf Initiative von Miss Lebrocki haben wir Rod Vandermoore