Alter Mann im Bus. Bernhard Weiland

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Alter Mann im Bus - Bernhard Weiland страница 3

Alter Mann im Bus - Bernhard Weiland

Скачать книгу

Auskunft, ob denn der Bus in Rhüden dann und dann wieder zurückführe, mit ihr. Der Fahrer reagiert erst ein wenig störrisch, wie ein Busfahrer eben reagiert, wenn er aus seiner Routine geworfen wird, etwas seinen Fahrplan verhageln könnte. Wenn ihm ein Mensch gegenübersteht, der seinem Fahrplan nicht gerecht wird. Doch nach einem tiefen Atemzug und Ausatmen desselben hat er sich wieder gefangen und antwortet freundlich und zugewandt mit den Daten des fahrplanmäßigen Fahrplans, wie ein Busfahrer eben reagieren muss.

      Dorfleben

      In Bornhausen steigen wir an der Haltestelle Kammerkrug aus. Hier sind wir in der alten Heimat meiner Frau. Hier liegen ihre Eltern begraben. Wir statten zunächst dem Friedhof einen Besuch ab. Heute auf den Tag genau jährt sich der hundertste Geburtstag ihres Vaters.

      Während eines anschließenden Spaziergangs durch das Dorf machen wir Halt am Dorfgemeinschaftshaus. Hier befindet sich offensichtlich der Mittelpunkt des sozialen Lebens des heutigen Dorfes. In Schaukästen finde ich Aushänge der Gruppen, die dieses Haus regelmäßig nutzen: CDU, SPD, Kindergarten, DRK, SOVD, Schildberger Theatergruppe, Turnverein MTV, Gesangsvereine, Schützenverein, Heimat- und Verkehrsverein, Freiwillige Feuerwehr und Ortsrat. Einige der Namen von Mitgliedern und Vorständen, Aktiven und Geehrten tauchen in mehreren Gruppierungen gleichzeitig auf. Das lässt auf lebendige menschliche Netzwerke schließen. In diesem Dorf haben die sozialen Netzwerke des WorldWideWeb mit ihren „digital communities“ vermutlich eine eher untergeordnete Bedeutung. Hier scheint man sich wöchentlich noch von Angesicht zu Angesicht Aug in Aug zu begegnen.

      Die früheren persönlichen dörflichen Treffpunkte sind jedoch offensichtlich gegen Null geschrumpft, denn fast alle Läden des täglichen Bedarfs sind verschwunden. Und damit auch die Orte spontaner Begegnungen. 1965, als P.s Familie von Seesen nach Bornhausen in das eigene Haus zog, gab es einen Fleischer, zwei Bäcker, vier Lebensmittelläden, einen Kurzwarenladen, später eine Versandhausniederlassung in einem der Bäckerläden und drei Gaststätten. Noch in den 80er Jahren setzten unsere noch nicht schulpflichtigen Söhne an einer der Ladentheken im Dorf die Münzzuwendungen von Oma heimlich in ‚verbotene‘ Leckereien um. Wie wir erst viele Jahre später erfuhren. Heute wäre das mangels Möglichkeiten nicht mehr machbar. Jedenfalls nicht an altem Ort.

      Versorgungsstationen

      Unter einem Regendach zwischen dem Flüßchen Schildau und der ‚Domäne‘ ersetzt heute eine öffentliche Lebensmittelversorgungsstation auf ca. zwei Quadratmetern die früheren Einkaufsmöglichkeiten nur spärlich: Ein Kühlschrank gefüllt mit Zehnerpacks Eiern, vom Bauern irgendwo aus der Nachbarschaft, ein Kühlschrank mit Honiggläsern, befüllt vom Seesener Imker, und eine Kiste mit abgepackten Kartoffeln, auch aus der Gegend. Daneben kleine, festmontierte Kassen, in denen der geneigte Kunde den ausgepreisten Obulus abgezählt hinterlassen möge. Sehr praktisch. Wir nehmen ein Zehnerpack Eier und ein Glas Honig mit auf die Reise zurück nach Hannover. Und hinterlassen den geforderten Betrag.

      Eine letzte Gaststätte, der Kammerkrug, scheint noch in Nutzung zu sein, ausgewiesene Öffnungszeiten oder eine Speisen- und Getränkekarte finde ich nicht, allerdings einen Auftritt bei „Facebook“. Dann gibt es einen Kiosk incl. Getränkehandel dort, wo früher in einer Tischlerei gewerkelt wurde. Der hat nur stundenweise geöffnet. Für die Dorfgesundheit bietet eine Heilpraktikerin ihre Dienste an. Für einen Arztbesuch müsste man nach Seesen fahren. Dorthin konnte man bis 1989 auch den schienengebundenen Nahverkehr der Bahn nutzen. Die Verbindung vom Bornhäuser Bahnhof existiert schon lange nicht mehr, die Schienen der Strecke Derneburg - Seesen sind teilweise abgebaut. Auf einem Abschnitt verläuft mittlerweile ein touristischer Radweg. Würde man den Europaradweg R1 von Boulognesur-Mer bis St. Petersburg fahren – irgendwann führe man auch durch Bornhausen über die Schildau. So hat die große Weltpolitik nach der deutschen Einheit auch in Bornhausen sichtbaren Einzug gehalten.

      Im Gebäude der ehemaligen Schule – jetzt Teil des Dorfgemeinschaftshauses – ist seit 1986 ein Kindergarten in Trägerschaft des ‚Kindergarten Selbsthilfeverein Bornhausen‘ beheimatet. Die lärmenden Dorfjüngsten sind nicht zu überhören. Die Kirche samt Pfarrhaus hat man natürlich im Dorf gelassen, auch wenn der Pfarrer seit einiger Zeit auch die Schäfchen in den benachbarten Dörfern Mechtshausen und Bilderlahe mitversorgen muß. In Sichtweite runden eine Tankstelle mit EC-Karten-Zahlung, wo früher die Bauern ihren steuerbefreiten Raiffeisen-Diesel zapfen konnten, und ein Geldautomat das Bornhäuser Dienstleistungsangebot ab. So sieht die Infrastruktur eines gewachsenen Dorfes von heute aus.

      Damals

      Natürlich schauen wir auch an P.s Elternhaus vorbei. Das ist so ein einfaches freistehendes Einfamilienhaus, wie es in vielen Dörfern zu finden ist. Nach dem Krieg wurde es im Einheitsbaustil der Niedersächsischen Siedlungsbaugesellschaft mit preiswerten Krediten gefördert: Satteldach, Keller, Untergeschoss, Obergeschoss, Dachboden, überdachter Hauseingang, kleiner Multifunktionsstall, großer Garten. In den Genuss der Baumittel kamen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Voraussetzung war allerdings, dass sie dort einen Bauernhof besessen hatten. So wurden im ländlichen Raum ganze Neubaugebiete als Nebenerwerbssiedlungen zur Selbstversorgung erschlossen. Flüchtlingspolitik der fünfziger Jahre.

      Wir stehen vor dem Gartenzaun und sehen, dass die früheren Nutzflächen eines großen Obst- und Gemüsegartens pflegeleichtem Rasen gewichen sind. Vor dem Haus stehen diese modernen, in Form geschnittenen Buchsbäumchen auf hellem sauberen, unwirklich weiß wirkendem Kies, warum auch immer. Die große Tanne ist abgeholzt. Auf mich wirkte früher alles viel gemütlicher. Bei der Gemütlichkeit war auch Schnaps mit im Spiel. Der Schnaps – immer ein Klarer – den ich mit dem Schwiegervater nach einigen Runden Schafskopf trank oder wenn er mir seine Sorgen über die linken Ideen seiner Tochter, die auch meine waren, anvertraute. Seine Familie gehörte zu denen, die vor den Russen – den Kommunisten – hierher ins Harzvorland geflohen waren. Unsere vermutete politische Weltsicht weckte unangenehme Erinnerungen und alte Ängste in ihm.

      Den letzten Schnaps, den ich in Bornhausen trank, nahm ich mit St., meinem Schwippschwager aus dem tiefsten Bayern, und dem Onkel O. meiner Frau aus dem nahen Vienenburg im Kammerkrug zu mir. Wir hatten uns dort im Saal mit Freunden und Verwandten zur siebzigsten Geburtstagsfeier meiner Schwiegermutter zusammengefunden. Onkel O. hatte uns an der Theke eine Runde Kümmel bestellt, den es nur hier gab. Eine regionale Spezialität. Sie mundete uns dreien so gut, dass die Flasche am Abend wohl geleert wurde. Als meine Frau uns nachts mit unseren kleinen Kindern in unserer „Ente“ in strömendem Regen auf der Autobahn zurück nach Hannover fuhren – sie saß natürlich nüchtern am Steuer! -, stank es von meinem Atem im Auto wie in einer Kneipe. Wie das Schicksal es wollte, hielt uns die Polizei an. Sie machte uns auf ein defektes Rücklicht aufmerksam und komplimentierte uns zur nächsten Tankstelle abseits der Autobahn. Zu Alkoholgenuss befragten sie uns nicht. Obwohl mein Atem doch ein hohes Maß an Trunkenheit verströmt haben musste.

      Das Grab des Zeichners

      Bevor wir heute weiter zu Fuß in das Nachbardorf Mechtshausen gehen, möchten wir uns noch im dörflichen Postmuseum des Herrn Puhst umschauen. Doch im Museum dieses alteingesessenen Dorfbewohners und ehemaligem Postangestellten, dessen Vorfahren erst Post, dann Pust hießen, finden wir leider keinen Einlass. So entgeht uns der Anblick von Briefen, Briefmarken, Uniformen, Telefonen und vielem mehr aus vergangenen staatlichen Bundespostzeiten. Die Ehefrau des Postmuseumleiters, die auch das vorher von uns besuchte Elterngrab im Auftrag der Familie pflegt, teilt uns an der Wohnungstür mit, dass sie mit ihrem Mann zu einer Beerdigung auf den Friedhof müsse und es daher leider keine Öffnungszeit und Museumsführung für uns geben könne.

      Der November ist in unserem Kulturkreis der Totenmonat. So passt auch unser nächstes Ziel in Mechtshausen. Dorthin gelangen wir von Bornhausen aus per pedes über eine Landstraße, begleitet von herbstlich entlaubten Apfelbäumen. Einige der letzten Früchte sind erst frisch in den Grünstreifen gefallen und werden als Wegzehrung eingesteckt. Dann erreichen wir, auf einem Weg durch Felder wandernd, einen Friedhof. Von hier, am Dorfrand erhaben gelegen,

Скачать книгу